Warkus' Welt: Krank oder gesund?
Hat es Sie auch erwischt? Und wie fühlen Sie sich damit? Wie jedes Jahr werden in der Erkältungssaison launige Betrachtungen darüber angestellt, dass die einen bei leichtem Infekt angeblich sofort todkrank spielen, während sich die anderen selbst mit vernichtenden Kopf- und Gliederschmerzen noch zur Arbeit schleppen (was auch immer das bringen mag). Bei der Debatte stehen seit jeher auch die Geschlechter im Fokus: Männer gelten vielen als tendenziell wehleidig, gleichzeitig macht man ihnen immer wieder den Vorwurf, sie kümmerten sich zu wenig um ihre Gesundheit. Frauen hingegen werden als belastbar und unverwüstlich angesehen – aber auch das bringt nicht immer nur Vorteile mit sich. Letztlich kann man über das Thema vermutlich eine eigene Kolumne schreiben (eine befreundete Ärztin versicherte mir beispielsweise, dass Wehleidigkeit ihrer Erfahrung nach nichts mit dem Geschlecht zu tun hat, dafür umso mehr mit dem Beruf), deshalb soll es hier nun um den Krankheitsbegriff gehen.
Dass wir Wörter wie »Hypochonder« oder »Männergrippe« kennen, zeigt, dass Krankheit schon umgangssprachlich eine objektive und eine subjektive Komponente hat. Man kann sich krank fühlen, ohne krank zu sein; und man kann sich schwer krank fühlen, aber nur leicht erkrankt sein.
Es gibt viele Abweichungen vom statistischen Durchschnitt, die keine Krankheiten sind – zum Beispiel schwanger oder sehr muskulös zu sein
Doch was genau verbirgt sich dann hinter dem Wort »krank«? Wenn uns unser Gefühl in diesem Fall trügen kann, wäre eine naheliegende Annahme, dass sich Krankheit vielleicht ausschließlich über prüfbare und messbare Zustände definieren lässt. So funktioniert Medizin, wie wir sie aus Alltag und Medien kennen: Beobachtungen (eine sichtbare Schwellung im Rachen oder Bakterien unter dem Mikroskop) und Messungen (Fieber, Blutdruck) liefern Daten, auf deren Basis Ärzte eine Diagnose stellen. So ist es möglich, dass man sich nicht nur krank fühlen kann, ohne krank zu sein, sondern auch krank sein kann, ohne sich krank zu fühlen. Bekanntlich haben schon Menschen erst in der Arztpraxis aus heiterem Himmel erfahren, dass sie an einer schweren Krankheit leiden.
Nun sind aber nicht alle Beobachtungen, die man am menschlichen Körper machen kann, Zeichen einer Krankheit. Dazu muss schon etwas beobachtet werden, das einer Abweichung von einem gewissen Normalzustand entspricht. Doch was heißt schon normal? Es gibt viele Abweichungen vom statistischen Durchschnitt, die keine Krankheiten sind – zum Beispiel schwanger oder sehr muskulös zu sein. Damit eine Abweichung das Kriterium »Krankheit« erfüllt, muss sie also offenbar in irgendeiner Hinsicht negativ sein.
Mehr als eine "technische Störung"
Bei vielen Teilen des menschlichen Körpers lassen sich Normalität und negative Abweichung recht einfach bestimmen, indem man so von ihnen spricht, als seien sie planmäßig zu einem bestimmten Zweck erschaffen worden: Blutgefäße sind dazu da, dass Blut durch sie hindurchströmt. Wenn sie verstopfen, liegt eine Störung vor. Einige Krankheiten lassen sich aber nicht so einfach als technische Störung beschreiben, und in der Medizingeschichte gibt es viele unrühmliche Beispiele von bestimmten menschlichen Zuständen und Verhaltensweisen, die zwar als Krankheiten und Störungen beschrieben wurden, aber keine sind, zum Beispiel die Homosexualität, die bis weit ins 20. Jahrhundert hinein bei Fachleuten und Laien als Krankheitsbild galt. Umgekehrt gibt es zahlreiche Zustände, die heute als Krankheit anerkannt sind, aber lange Zeit bestritten oder verharmlost wurden, weil man keine zu Grunde liegende »technische Störung« finden konnte oder anerkennen wollte – etwa die Posttraumatischen Belastungsstörungen, die Soldaten während des Ersten Weltkriegs erlitten.
Ist Krankheit dann möglicherweise vielleicht einfach das, was Ärzte therapieren? Diese Definition bringt ebenfalls gewisse Schwierigkeiten mit sich, da Ärzte auch Behandlungen durchführen, denen keinerlei Krankheit zu Grunde liegt – zum Beispiel Geburtshilfe, Sterilisationen, Schönheitsoperationen oder die Erstellung von Ernährungsplänen für den Leistungssport.
Es gibt in der Tat eine große und sehr rege philosophische Diskussion darüber, was sich eigentlich hinter den Begriffen »Krankheit« und »Gesundheit« verbirgt – unter anderem zwischen »Objektivisten«, die glauben, dass man Krankheit völlig ohne Bezug auf das Befinden der Patienten definieren kann und sollte, und ihren Gegnern, die das anders sehen. An dieser Debatte beteiligen sich Mediziner mit sehr praxisnahen Überlegungen genauso wie politische Denker, die die Art und Weise, wie wir darüber entscheiden, was gesund und was krank ist, als typisch und prägend für das gesamte Gesellschaftssystem sehen.
Insgesamt lässt sich beobachten, dass sich wie so oft die Begriffe, mit denen wir im Alltag am lockersten operieren, als die am schwierigsten zu fassenden entpuppen. Das gilt für »Krankheit«, »Gesundheit« oder zum Beispiel auch – womit wir wieder beim Anfang wären – für »männlich« und »weiblich«. Das ist allerdings ein Thema für einen anderen Text.
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