Freistetters Formelwelt: Der letzte Flug der Mir
Mein erster Kontakt mit einer Raumstation fand vor fast genau 30 Jahren statt. Am 2. Oktober 1991 rollte unser Physiklehrer einen Fernsehapparat in den Klassenraum. Die österreichischen Nachrichten sendeten live aus Baikonur. Dort startete an diesem Tag eine Sojus-Rakete, um Franz Viehböck im Rahmen der »Austromir«-Mission zur russischen Raumstation Mir zu bringen. Es war sein erster Flug in den Weltraum und das erste Mal überhaupt, dass ein Österreicher ins All flog. Damals war ich 14 Jahre alt und sehr beeindruckt.
Zehn Jahre später war ich immer noch beeindruckt, diesmal allerdings von der Wissenschaft, mit der man sich der Mir entledigt hatte. Mittlerweile hatte ich gelernt, dass es gar nicht so einfach ist, ein künstliches Objekt dauerhaft in einer stabilen Umlaufbahn um die Erde zu halten. Das liegt unter anderem an dieser Formel:
Sie beschreibt die Widerstandskraft D, die die Bewegung von Satelliten, Raumstationen und anderen Himmelskörpern behindert. D hängt von der Dichte ρ der Atmosphäre ab, der Bewegungsgeschwindigkeit v, der quer zur Bewegungsrichtung stehenden Querschnittsfläche A des Objekts und einem Strömungswiderstandskoeffizienten Cd. Überraschend an dieser Formel ist nicht unbedingt die dahinterstehende Mathematik, sondern mehr die Tatsache, dass sie bei einem Objekt wie der Raumstation Mir überhaupt zur Anwendung kommt.
Am höchsten Punkt ihrer Umlaufbahn befand sich die Mir immerhin fast 400 Kilometer über der Erdoberfläche. Wie dicht kann da die Atmosphäre noch sein und wie groß der Strömungswiderstand? Immerhin handelt es sich ja um eine Station im Weltall, das gerne als luftleer beschrieben wird. Und das ist es auch; zumindest dort, wo man sich weit genug von großen Himmelskörpern wie der Erde entfernt befindet.
Runter kommen sie immer
Die Atmosphäre unseres Planeten hat keine scharfe Grenze. Die Dichte der Luft nimmt ab, je weiter man sich vom Erdboden entfernt. Doch sie reicht weiter hinauf, als man es sich gemeinhin vorstellt. Das Wetter spielt sich zwar in den untersten rund 15 Kilometern ab, der Troposphäre. Danach folgen aber die Stratosphäre, die Mesosphäre, und ab etwa 100 Kilometer Höhe beginnt die Thermosphäre, die bis auf zirka 500 Kilometer hinaufreicht. Dort befinden sich auch viele Satelliten, die ISS und damals eben die Mir.
Dort gibt es noch Luftmoleküle; die mittlere freie Weglänge – also die durchschnittliche Distanz, die ein Molekül zurücklegen kann, bevor es mit einem anderen kollidiert – liegt jedoch bei mehreren Kilometern. Trotzdem beeinflusst diese extrem dünne Atmosphärenschicht die Bewegung von Satelliten und Raumstationen. Die regelmäßigen Zusammenstöße mit den Luftteilchen führen zu einem Absinken der Umlaufbahn.
Würde man nichts unternehmen, würden Satelliten irgendwann immer näher an die Erde rücken. Die ISS, die sich ebenfalls in der Thermosphäre befindet, muss daher immer wieder durch andockende Raumfahrzeuge angehoben werden. Sonst würde ihr das passieren, was der Mir am 23. März 2001 passiert ist.
Nach dem Entschluss, die Station aufzugeben, ließ man die Atmosphäre ihre Arbeit tun. Der Strömungswiderstand rückte die Mir bis auf ungefähr 220 Kilometer an die Erdoberfläche heran. Mit einem angedockten Raumfahrzeug wurde sie dann kontrolliert noch weiter in die Atmosphäre hineingeschoben.
Die größere Dichte der Luft sorgte für ein noch schnelleres Absinken der Station, bis der Widerstand der Lufthülle zu groß für die Mir wurde und sie auseinanderbrach. Zum Teil verglühten die Trümmer, und die restlichen – immerhin noch 1500 mit insgesamt fast 40 Tonnen Masse – stürzten in den Pazifik. Dort liegen sie jetzt auf halbem Weg zwischen Australien und Chile auf dem Grund des Ozeans. Nicht unbedingt umweltfreundlich. Aber Mülltrennung existiert bei Raumstationen leider noch nicht.
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