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Springers Einwürfe: Zwischen Laien und Experten

Im Meinungsstreit um die Corona-Pandemie wird, je länger die Seuche dauert, die Übersicht immer schwieriger.
Wissenschaft im Dialog

Nach anderthalb als quälend lang erlebten Jahren, in denen die Menschheit mühsam wieder lernen musste, mit einer Pandemie zu leben, könnte man erwarten, das während dieser Zeit rapide gewachsene Wissen über Covid-19 und optimale Bekämpfungsmaßnahmen ergäbe ein klares, unstrittiges Bild. Doch so sehr das für die unterdessen gewonnenen epidemiologischen Erkenntnisse zutreffen mag, so wenig stimmt es paradoxerweise für die gesellschaftlichen Konsequenzen.

In Deutschland standen sich anfangs zwei separate, aber dennoch zum Dialog bereite Instanzen gegenüber: einerseits die akademische Forschung, paradigmatisch präsent durch den Virologen Christian Drosten, und auf der anderen Seite die Politik, verkörpert durch die Bundeskanzlerin – als Physikerin offenbar natur­wissen­schaftlichen Argumenten zugänglich. Was für ein Segen das war, machte jeder Blick über den Atlantik zum damaligen US-Präsidenten unmittelbar augen­fällig.

Bald trübte sich die Perspektive ein, und der Austausch zwischen Expertise und politischem Handeln wurde konfus. Während die meisten Infektionsforscher für eine Lösung nach dem Vorbild asiatischer Länder wie Taiwan oder Südkorea plädierten und somit für eine strikte »No-Covid«-Strategie mit konsequentem, dafür hoffentlich zeitlich begrenztem Lockdown, hoben viele Politiker die wirtschaftlichen Kosten und sozialen Folgen solcher Maßnahmen hervor. Immer dringender forderten sie ständig wechselnde, nach Ort und Zeit gestaffelte Einschränkungen – und waren bereit, dafür in letzter Konsequenz sogar ein unabsehbar langes Hin und Her zwischen Auf- und Zusperren in Kauf zu nehmen. Neue Impfstoffe würden den Eiertanz abkürzen – da, wo es sie gab.

Parallel dazu erhob sich ein Stimmengewirr von selbst ernannten Corona-Deutern. Alle möglichen Vorgehensweisen, Zwischenlösungen und Kompro­misse können sich unterdessen auf einschlägige ­»Experten« berufen. Die sozialen Medien offerieren ein ganzes Arsenal von Juristen, Ärzten und Professoren, welche die gängige Auffassung vom Ernst der Pandemie je nachdem stützen oder relativieren, in Zweifel ziehen oder glatt bestreiten. Das reicht von Thesen, die das Coronavirus als Abart des Grippeerregers ver­harmlosen, über Verfechter eines Laisser-faire mit vermeintlich von selbst eintretender Herdenimmunität bis hin zu einer extremen Position, die das Virus als chinesische Biowaffe dämonisiert.

Umstrittenes Diskussionspapier

Letzteres propagierte im Februar 2021 ein international hoch angesehener Experimentalphysiker an der Universität Hamburg. Roland Wiesendanger hatte im Lauf des Jahres 2020 nebenher zahlreiche Fach- und Zeitungsartikel sowie Internetbeiträge gesammelt, die nach seiner Überzeugung beweisen: »Eine Forschungsgruppe am virologischen Institut der Stadt Wuhan hat über viele Jahre hinweg gentechnische Manipulationen an Coronaviren vorgenommen mit dem Ziel, diese für Menschen ansteckender, gefährlicher und tödlicher zu machen.« So stand es wörtlich in einer Pressemitteilung der Universität. Die Veröffentlichung war anscheinend mit dem Unipräsidenten abgesprochen, erntete allerdings schon am nächsten Tag sowohl vom zuständigen Dekanat als auch von der Studierendenvertretung vehementen Protest: Die angebliche Studie sei ohne wissenschaftlichen Wert.

Solche Vorgänge demonstrieren, dass sich die Unterscheidung zwischen Experten und Laien bei einem so hochgradig politisierten Thema wie Covid-19 nicht mehr gar so einfach treffen lässt. Ein renommierter Physiker mag wie im Hamburger Fall ein Fachmann für Rastertunnelmikroskopie und somit für besonders winzige Objekte sein. Das stempelt ihn aber noch lange nicht zur Autorität für das zugegebenermaßen ebenfalls sehr kleine Coronavirus.

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