Freistetters Formelwelt: Die unfassbare Ellipse
Als Astronom habe ich eine ganz besondere Beziehung zu Ellipsen. Immerhin bewegen sich die Planeten unseres Sonnensystems ja auf elliptischen Bahnen. Trotzdem steht die Ellipse immer ein wenig im Schatten des Kreises. Der besticht durch seine Symmetrie, und man kann ihn sich sehr einfach vorstellen.
Aber die Ellipse hat mehr zu bieten, als es zuerst den Anschein hat. Eine mathematisch korrekte Ellipse ist nicht einfach nur ein »länglicher Kreis«, sondern die Menge aller Punkte, bei denen die Summe der Abstände von zwei vorgegebenen Punkten gleich ist. Da wird die Vorstellungskraft schon ein wenig mehr gefordert.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.
Bleiben wir bei den Planeten. Die Erde bewegt sich entlang einer Ellipse um die Sonne. Eine Umrundung dauert etwa 365,25 Tage. Doch welche Strecke legt die Erde dabei zurück? Oder mathematisch gefragt: Wie berechnet man den Umfang einer Ellipse? Verwirrenderweise gibt es dafür keine Formel. Beziehungsweise gibt es die schon; sie liefern nur keine exakten Werte.
Diese Gleichung stammt vom indischen Mathematiker Srinivasa Ramanujan. Seine mathematische Intuition ist legendär und sein Werk voll mit Formeln, bei denen bis heute niemand weiß, wie er sie gefunden hat. Das gilt auch für obige Berechnung des Umfangs einer Ellipse, in der a und b ihre große und kleine Halbachse angeben. Die findet man, indem man eine Gerade durch die Brennpunkte zieht. Der Abstand vom Mittelpunkt der Ellipse – genau auf halber Strecke zwischen den Brennpunkten – zu den Schnittpunkten der Gerade mit der Ellipse ist die große Halbachse. Die kleine Halbachse erhält man, wenn man durch den Mittelpunkt eine Linie senkrecht zur großen Halbachse zieht und den Abstand zur Ellipse misst.
Ramanujans Näherungsformel für den Umfang ist sehr genau, aber eben nicht exakt. Er war sogar in der Lage, den Fehler abzuschätzen – mit einer weiteren rätselhaften Formel. Auch andere haben sich an Approximationen versucht, zum Beispiel der Unterhaltungsmathematiker Matt Parker. In einem Video auf seinem Kanal »Stand-up Maths« erklärte er, zwar deutlich weniger genial zu sein als Ramanujan, dafür hätte er jedoch das, was der vor mehr als 100 Jahren verstorbene Inder nicht hatte: einen Computer.
Mit Computer auf Ellipsenjagd
Parker schrieb ein Programm, das sich auf die Suche nach einer Formel machte. Keine schlechte Strategie, denn mit ausreichend Rechenaufwand kann man fast beliebig genaue Näherungen finden. Allerdings lernt man mit solchen numerischen Methoden meist nicht so viel über das zu Grunde liegende Phänomen wie aus Formeln, die echte Beziehungen zwischen den Parametern angeben.
Und oft ist der rechnerische Aufwand den Zuwachs an Genauigkeit auch nicht wert. Hat man es nicht mit sehr ausgeprägten Ellipsen zu tun, dann reicht in vielen Fällen schon die simple Näherung U ≈ π (a + b). Das erinnert sehr an die bekannte Formel zur Berechnung des Kreisumfangs, die man ja auch so darstellen kann: U = π (r + r). Womit sich eine berechtigte Frage stellt: Wieso kann man beim Kreis den Umfang exakt angeben, nicht aber bei einer Ellipse? Immerhin ist ein Kreis ja nur ein Spezialfall oder anders gesagt: Auch ein Kreis ist eine Ellipse, bloß dass in diesem Fall a = b = r ist.
Tatsächlich täuscht uns hier die mathematische Symbolik. Denn hinter dem Gleichheitszeichen in der Formel für den Kreisumfang steht die Zahl Pi. Und die ist bekanntermaßen irrational: Sie kann bei der Berechnung zwar im Prinzip beliebig genau, doch nie numerisch exakt angegeben werden. Ein Kreis unterscheidet sich also nicht von der Ellipse – bei der man natürlich auch eine »exakte« Formel angeben kann, in der dann aber ein so genanntes »elliptisches Integral zweiter Art« auftaucht, das sich in geschlossener Form nicht lösen lässt. Am Ende ist man auch hier wieder auf numerische Näherungen angewiesen.
Schreiben Sie uns!
1 Beitrag anzeigen