Freistetters Formelwelt: Wann Fakten nicht mehr zählen
Manche Diskussionen über Wissenschaft finde ich höchst erstaunlich. In einer idealen Welt sollte die Forschung Fakten liefern, anhand derer Menschen rationale Entscheidungen treffen. Aber so läuft es natürlich in der Realität nicht, wie man leider leicht feststellen kann, wenn man über Themen wie den menschengemachten Klimawandel oder die Corona-Pandemie diskutiert. Da kann die Wissenschaft noch so eindeutige Daten liefern: Bei der Interpretation verstellt viel zu oft die eigene Überzeugung den Blick auf die Tatsachen.
Ein Beispiel: Eine Hautcreme hat bei 223 Menschen zu einer Verschlechterung eines Ausschlags geführt, bei 75 wurden die Beschwerden besser. Bei einer Kontrollgruppe die keine Creme benutzte, verschlechterte sich der Zustand von 107 Personen, und bei 21 wurde der Ausschlag besser.
Das sind erstmal nur Daten; interessant wird es bei der Interpretation. Welche Aussage trifft zu: »Menschen, die die Creme benutzt haben, zeigten mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Verbesserung als die, die sie nicht benutzt haben« oder »Menschen die die Creme benutzt haben, zeigten mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Verschlechterung als die, die sie nicht benutzt haben«?
Um die Aufgabe zu lösen, braucht es eigentlich nur eine simple Formel:
Sie beschreibt die relative Häufigkeit hn eines Ereignisses A und um sie zu berechnen, muss man nur zwei Zahlen miteinander dividieren: die absolute Häufigkeit Hn des Ereignisses mit der gesamten Anzahl der zu Grunde liegenden Menge. In unserem Fall bedeutet das: Von 298 Personen (223 + 75), die die Creme benutzt haben, zeigten 75 eine Verbesserung. Die relative Häufigkeit beträgt also etwa 0,25 oder 25 Prozent.
Die gleiche Rechnung liefert 75 relative Häufigkeit für die Verschlechterung. In der Kontrollgruppe lauten die Zahlen 16,4 Prozent und 83,6 Prozent. Der Anteil der Menschen, deren Ausschlag besser wurde, ist also dort größer, wo die Creme verwendet wurde. Zum gleichen Ergebnis kann man auch kommen, wenn man einfach die Verhältnisse 75 / 223 und 21 / 107 miteinander vergleicht.
Rechenschwäche bei unerwünschten Ergebnissen
Das wäre natürlich noch keine ausreichende statistische Studie, um über die Wirksamkeit eines echten Medikaments zu entscheiden. Die Zahlen wurden aber als Beispiel in einer wissenschaftlichen Arbeit aus Australien zur Erforschung von »motivated numeracy« verwendet. Also der Hypothese, dass Menschen eher richtig rechnen, wenn das zu erwartende Ergebnis ihren Überzeugungen entspricht.
Das Beispiel mit der Hautcreme diente als »neutrale« Kontrolle. Die eigentliche Frage bezog sich auf den Zusammenhang zwischen sinkenden CO2-Emissionen und dem Abschalten von Kohlekraftwerken. Dafür wurden genau die gleichen (fiktiven) Zahlenwerte wie im Hautcreme-Beispiel verwendet, und die Versuchspersonen der Studie wurden nach ihrer Sympathie für zwei politische Parteien ausgewählt: die eher klimafreundlichen Australien Greens und die rechtspopulistische One Nation.
Bei der Frage nach der Interpretation der neutralen Hautcreme-Daten unterschied sich die Anzahl der richtigen oder falschen Antworten bei beiden Gruppen nur wenig. Bei der ideologisch aufgeladeneren Frage zu den CO2-Emissionen zeigte sich dagegen eine starke Polarisierung. Im Fazit der Arbeit schreiben die Autoren: »Unsere Ergebnisse legen nahe, dass es selbst für Menschen mit großer Rechenkompetenz weniger wichtig sein kann, eine korrekte Antwort zu geben, als eine inkorrekte Antwort von der sie sich wünschen, dass sie richtig wäre.«
Dieses Resultat sollten all jenen zu denken geben, die probieren, die Ansicht von anderen Menschen nur mit dem Hinweis auf Fakten zu ändern. Es sind leider nicht alle bereit, den Daten bedingungslos bis zu ihrem Resultat zu folgen. Echte Überzeugungsarbeit braucht mehr als nur die richtige Formel.
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