Freistetters Formelwelt: Was man für Zeitreisen braucht
Wer gerne Sciencefiction-Bücher liest, weiß: Es ist nicht einfach, ein Universum zu erschaffen. Man muss jede Menge Kapitel darauf verwenden, die Zukunft glaubwürdig darzustellen oder überzeugend das Leben auf anderen Himmelskörpern zu beschreiben. In der Kosmologie dagegen ist die Erschaffung eines neuen Universums im Wesentlichen eine Sache der Mathematik. Hier reicht dafür eine Zeile voller Symbole. Zum Beispiel diese hier:
Man findet sie in der Arbeit »An Example of a New Type of Cosmological Solutions of Einstein's Field Equations of Gravitation«, die Kurt Gödel im Jahr 1949 veröffentlichte. Sie enthält eine von ihm gefundene neue Lösung der Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein. Die einsteinschen Feldgleichungen beschreiben die Krümmung der Raumzeit in Abhängigkeit der im Raum enthaltenen Energie und Masse. Oder anders gesagt: Mit einer Lösung dieser Gleichungen kann man das gesamte Universum beschreiben, zumindest in einer grundlegenden geometrischen Art und Weise. Es gibt aber mehr als nur eine Lösung, und damit auch mehrere »Universen«, die sich beschreiben lassen.
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Die Zeile voller mathematischer Symbole aus Kurt Gödels Arbeit definiert eine Lösung der Gleichungen. Darin tauchen die vier Koordinaten x0, x1, x2 und x3 der Raumzeit auf, deren Beziehung zueinander als Maß für die Geometrie des Universums betrachtet werden kann. Gödels Universum ist ein ganz besonderer Ort. Es besteht aus unzähligen gleichmäßig im Raum verteilten und dort herumwirbelnden Teilchen. Im Vakuum des Raums dieses Universums steckt Energie, es existiert dort also eine kosmologische Konstante. Gödel hat die Verteilung der Teilchen und die kosmologische Konstante exakt aufeinander abgestimmt, um seine Lösung zu erhalten.
Zeitreisen
Im Gödel-Universum ist etwas möglich, was man ansonsten nur in der Sciencefiction-Literatur findet: Zeitreisen. Etwas wissenschaftlicher ausgedrückt, findet man dort so genannte geschlossene zeitartige Kurven. Eine normale geschlossene Kurve ist leicht vorzustellen, im dreidimensionalen Raum ist das jeder Weg, bei dem man nach einer gewissen Zeit wieder am Ausgangspunkt der Reise landet. Im Gödel-Universum aber gibt es geschlossene Kurven in der vierdimensionalen Raumzeit. Das heißt, dass man nach einer Reise nicht nur wieder dort ankommt, wo man losgegangen ist, sondern auch zu genau dem Zeitpunkt, an dem man gestartet ist. Man kann entlang dieser Kurven also in die Vergangenheit reisen.
Gödel hat damit gezeigt, dass die einsteinschen Feldgleichungen nicht immer im Einklang mit unserem intuitiven Verständnis von Zeit sein müssen. Die Vergangenheit ist für uns nicht zugänglich, sie existiert nicht mehr und wir haben keine Möglichkeit, sie zu erreichen oder zu beeinflussen. Die allgemeine Relativitätstheorie ist in der Lage, unser eigenes Universum sehr gut zu beschreiben. Man kann damit aber auch offensichtlich alternative Kosmen darstellen, in denen Dinge möglich sind, die unseren Vorstellungen von der Welt widersprechen.
Gödels Universum kann nicht unser Universum sein. Wir können uns die wirbelnden Teilchen seines Kosmos zwar als die rotierenden Galaxien vorstellen, die wir am Himmel beobachten. Damit dann aber geschlossene zeitartige Kurven existieren können, müsste unser Universum auch als Ganzes rotieren; darüber hinaus wissen wir außerdem, dass sich der reale Kosmos ausdehnt; etwas, was man im Gödel-Universum nicht beobachten kann. Die Naturgesetze, zumindest so wie wir sie dank der allgemeinen Relativitätstheorie derzeit verstehen, lassen die Möglichkeit der geschlossenen zeitartigen Kurven zu. In unserem Universum wird von dieser Möglichkeit allerdings kein Gebrauch gemacht.
Zeitreisen werden weiterhin nur in der Sciencefiction möglich sein. Die hat darüber hinaus den Vorteil, dass man kein Studium der Mathematik benötigt, um sie zu genießen.
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