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Angemerkt!: Gefährliche Pseudomedizin

Können Milchzuckerkügelchen Malaria bekämpfen? Nein, meint Martin Ballaschk in seinem Kommentar: Es ist ein Spiel mit dem Leben der Patienten.
Mücke
Die "Homöopathen ohne Grenzen" sind eine Organisation, die sich von den "Ärzten ohne Grenzen" den Namen und das Ziel der humanitären Hilfe in Krisengebieten und medizinisch unterversorgten Ländern geliehen hat. Wie ihre berühmteren Kollegen wollen sie die Welt ein wenig besser machen und nehmen dafür einige Strapazen auf sich. Eigentlich bewundernswert, doch verteilen die Homöopathen ohne Grenzen an Stelle von erprobten Medikamenten wirkstofffreie Milchzuckerkügelchen an Menschen in Sierra Leone und Sri Lanka.

Kritik an der Organisation ist nicht neu, denn schließlich wirken entsprechende Präparate allenfalls wie ein Placebo – anerkannte wissenschaftliche Belege ihrer Heilkraft fehlen bislang. Bedürftige hätten deshalb vernünftige Medizin verdient, so der Tenor der Kritiker. Befürworter der Homöopathie beriefen sich dagegen darauf, dass ihre Alternative immerhin durch den ausübenden Homöopathen Trost und Zuwendung spendet. Denn auch wenn die Kügelchen keinen spezifischen Effekt haben, so schadeten sie doch immerhin nicht.

Doch bei genauerer Betrachtung steht außer Diskussion, dass die Tätigkeit der Homöopathen ohne Grenzen überaus schädlich ist. Auf ihrer Webpräsenz bekennen sie sich zur Lobbyarbeit in Sierra Leone und zur intensiven Nutzung von Kontakten in die Regierung dieses immer noch vom vergangenen Bürgerkrieg gezeichneten Landes. Sie versprechen dem Gesundheitsministerium "bezahlbare und effektive Alternativen zur Gesundheitsversorgung" und treffen dabei auf offene Ohren. Und damit besteht tatsächlich die Gefahr, dass die "Homöopathen ohne Grenzen" aktiv den Einsatz "schulmedizinischer" Maßnahmen be- und verhindern und infolgedessen die für die Homöopathie aufgewendeten Ressourcen für den Aufbau eines modernen Gesundheitssystems verloren gehen. Zugleich untergraben sie möglicherweise langfristig auch das Vertrauen der dort lebenden Menschen in moderne, wissenschaftlich begründete Maßnahmen.

Erschwerend kommt hinzu, dass das Weltbild vieler Homöopathen oftmals von einer profunden Abneigung gegen die "Schulmedizin" geprägt ist. Vor 200 Jahren, als die Homöopathie aufkam, mag es unter Umständen von Vorteil gewesen sein, Placebos zu schlucken, anstatt sich von den damaligen Ärzten behandeln zu lassen. Die vorwissenschaftliche Medizin hat mit ihren Aderlässen und der Kauterisierung von Wunden den Patienten oftmals effektiver umgebracht als die Krankheit selbst. Diese Ablehnung hat sich aber bis heute gehalten, auch wenn die moderne Medizin kaum etwas mit der damaligen gemein hat. Diese antiquierte Weltsicht dürfte wohl auch in Sierra Leone verbreitet werden, obwohl die dortige Situation natürlich unvergleichlich schlechter ist als bei uns im reichen Europa. Während sich Globulischlucker hier zu Lande auf dem Sicherheitsnetz der Normalmedizin ausruhen können, sind die Menschen in Sierra Leone auf sich allein gestellt. Es ist jedenfalls eine Illusion, Malaria mit Zucker heilen zu können, wie die Homöopathen ohne Grenzen behaupten.

Wohin die Reise führen kann, wenn Regierungen auf Alternativmedizin statt schulmedizinische Therapien setzen, belegt Südafrika. Unterstützt durch HIV-Leugner und einen Hersteller von Vitaminpräparaten setzte das Land unter Thabo Mbeki im Kampf gegen das HI-Virus lange Zeit statt auf nachgewiesen erfolgreiche antiretrovirale Therapien auf einen Mix aus Knoblauch, Olivenöl und hoch konzentrierten Vitaminen: In der Folge starben 300 000 Menschen unnötig an Aids. Das darf sich in Sierra Leone nicht wiederholen.

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