Tierschutz: Haltlose Vorwürfe
Im Rahmen seismischer Untersuchungen erzeugen die Wissenschaftler auf dem Wasser extrem laute Schallwellen von bis zu 260 Dezibel. Diese könnten bei Walen und Robben massive Gehörschäden verursachen und somit Nahrungssuche, Paarung und Kommunikation der Tiere erschweren, so der Vorwurf. Und die Naturschutzorganisationen gehen noch weiter: Weil die Forscher von deutschen Behörden keine Genehmigung für ihr Vorhaben bekamen, führten russische Kooperationspartner die Messungen in der Antarktis durch. Grundlage dieses Vorwurfs könnte unter anderem eine Aussage von Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, aus dem Jahr 2000 sein. Er deutete damals an, dass deutsche Meeresforscher unter anderer Flagge arbeiten könnten, sollte das Umweltbundesamt entsprechende Vorhaben nicht genehmigen.Wilfried Jokat, Geophysiker am AWI, nimmt im Interview Stellung zu diesen Anschuldigungen.
Herr Jokat, warum sind derartige Experimente in der Antarktis überhaupt notwendig?
Wilfried Jokat: Generell ist die Seismik eines der wichtigsten Instrumente in der Geophysik, um herauszufinden, wie der tiefe Untergrund aussieht. Uns geht es dabei nicht, wie WWF und WDCS suggerieren, um das Auffinden von Öl- und Gasvorkommen, sondern um Grundlagenforschung. Wir interessieren uns für die Struktur der tiefen Erdkruste und wollen sehen, inwieweit diese durch Vulkanismus bei der Trennung von Kontinenten die Erdschichten modifizierte. Wir suchen nach den Ursachen für die Kontinentaldrift: Welche Prozesse trieben die Platten auseinander? Wie stark war der Vulkanismus? Daraus können wir dann auf die Temperaturen im Erdmantel zurückschließen.
Laut WWF verwenden Sie für diese Untersuchungen Airguns, die durch Explosionen extrem laute Schallwellen erzeugen. Die Echos geben dann Aufschluss über die Bodenstruktur. Gibt es dazu keine Alternativen?
Mit 250 Dezibel sind es eigentlich noch recht leise Airguns, die wir bei dieser Messung in der Antarktis verwenden. Die Schallwellen setzen sich in der Erdkruste fort und werden von unseren Geräten aufgezeichnet. Sie registrieren damit Schallimpulse, die im Rahmen des Experiments in jedem Fall ausgesendet werden. Die Messungen dieser Schallwellen erfolgt mit unseren Geräten rund 30 Stunden. Danach zeichnen die Geräte natürliche Erdbeben für weitere 14 Tage auf. In diesem Zeitraum führt das russische Forschungsschiff die Tests in größerer Entfernung von unseren Geräten fort. Alternativen zur Seismik gibt es keine, zumindest nicht mit vergleichbarer Auflösung, die wir für die Beantwortung dieser Fragen benötigen.
Was sagen Sie zu den Vorwürfen von WWF und WDCS, Sie würden damit Wale und Robben schädigen?
Grundsätzlich reden wir hier über Lärm im Wasser – und dass dieser Lärm Säugetiere beeinflussen kann, steht nicht zur Debatte. Die Frage ist allerdings, in welcher Entfernung und in welchem Frequenzbereich die Tiere geschädigt werden könnten. Der WWF beschreibt vollkommen richtig die Emission in einem Meter Abstand zur Airgun. Der Schalldruck fällt jedoch sehr stark mit der Distanz ab: In 500 Meter Entfernung liegt er bereits deutlich niedriger.
Es gibt einige Beobachtungen seitens englischer Schiffe in der Nordsee, dass bestimmte Großwale seismischen Versuchen großräumig ausweichen. Andere Tiere wie beispielsweise Robben schwimmen sogar an die Schiffe heran, wenn gemessen wird. Entweder nehmen sie diesen Schall nicht wahr, oder er stört sie nicht. Der Eindruck, dass die hohen Schallpegel kilometerweit getragen werden, wie es die Berichte des WWF suggerieren, ist nicht korrekt. Die Schallpegel sind in 100 bis 200 Metern so weit abgefallen, dass sie bei Weitem nichts mehr mit der Größenordnung von 250 Dezibel zu tun haben.
Stimmt es, dass Sie die Forschungen quasi an russische Kollegen ausgelagert haben, Sie die Ergebnisse aber selbst verwenden, obwohl derartige Experimente Ihrem Institut von deutschen Behörden nicht genehmigt wurden?
Wir haben beim Umweltbundesamt keinen Antrag zu diesen Messungen gestellt. Da wir hier eine Kooperation mit einem russischen Partner durchführen, unterliegen die Messungen den russischen Gesetzen. In diesem Fall werden die Messungen mit einer russischen Genehmigung durchgeführt, und wir sind Gast auf diesem Schiff. Wir sind daher gegenüber dem Umweltbundesamt lediglich anzeigepflichtig und haben es im letzten September auch von unserem Experiment in Kenntnis gesetzt. Wir sind hier nicht ausgewichen. Unser Schiff war in den letzten 25 Jahren nur ein einziges Mal in diesem Teil der Antarktis. Damals konnten wir Messungen, die wir bereits im Jahr 2007 angefangen hatten, nicht durchführen, weil das Eis zu dicht war. Mit dieser Kooperation versuchen wir nun, dieses Forschungsvorhaben zu beenden. Das ist ein normales Verfahren in der Antarktis, bei dem wir gemeinsame Infrastrukturen nutzen, damit nicht jedes Land eine eigene Expedition auf die Beine stellen muss.
Treffen Sie Vorsorge zum Schutz der örtlichen Wale, damit sie nicht unter dem Lärm leiden?
Grundsätzlich führen wir auch vor Ort Walbeobachtungen durch, da wir aus dieser Region bisher noch keine Daten dazu haben. Ich kenne im Moment aber nicht im Detail die russischen Vorgaben, also kann ich auf diese Frage keine konkrete Antwort geben.
Herr Jokat, wir danken Ihnen für das Gespräch.
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