Freistetters Formelwelt: Nach Ihnen!
Gerade habe ich mir eine Kleinigkeit zu essen gemacht. Nichts Außergewöhnliches; nur eine Portion Kartoffelpüree. Dazu habe ich die Kartoffeln zuerst geschält, dann gekocht und danach zerstampft. Die Reihenfolge war wichtig: Hätte ich die Kartoffeln zuerst gestampft, dann gekocht und danach geschält, wäre ich nicht nur wesentlich länger beschäftigt gewesen; das Resultat hätte vermutlich auch lange nicht so gut geschmeckt. Als ich dagegen am Morgen mein Frühstück zubereitet habe, war die Reihenfolge egal. Ob ich zuerst die Milch und dann mein Müsli in eine Schüssel gebe oder umgekehrt, spielt für den Geschmack keine Rolle.
Geht es nicht um die Zubereitung von Nahrungsmitteln, sondern um Mathematik, dann hat man es bei Fragen zur Reihenfolge mit der »Kommutativität« zu tun. Eine Operation ist genau dann kommutativ, wenn folgende Formel gilt:
Der »·« in der Formel muss dabei nicht zwangsläufig für die Multiplikation stehen. Er bedeutet ganz allgemein eine so genannte »binäre Verknüpfung«, also eine Operation, bei der zwei Elementen ein drittes Element als Resultat zugeordnet wird. Handelt es sich bei a und b um reelle Zahlen, dann kann diese Verknüpfung zum Beispiel die Addition oder die Multiplikation sein. Beide Operationen sind in diesem Fall kommutativ: Es spielt keine Rolle, ob ich etwa 7 + 3 rechne oder 3 + 7 – das Resultat ist identisch. Die Subtraktion dagegen ist, wie auch die Division, nicht kommutativ. Das Ergebnis der Rechnung 7 – 3 unterscheidet sich deutlich von der Berechnung von 3 – 7, und sieben Drittel sind etwas anderes als drei Siebtel.
Komplizierter wird die Angelegenheit auch dann, wenn die Operanden a und b keine Zahlen sind, sondern beispielsweise Matrizen. In einer Matrix sind mathematische Ausdrücke in einer Tabelle zusammengefasst, und man kann mit ihr genauso rechnen wie mit normalen Zahlen, sofern man sich an die richtigen Regeln hält.
Teleskope sind nicht kommutativ!
Will man etwa zwei Matrizen miteinander multiplizieren, dann bildet man den ersten Eintrag in der ersten Spalte der resultierenden Matrix aus der ersten Zeile der ersten Matrix und der ersten Spalte der zweiten Matrix (die jeweiligen Zahlen werden zuerst multipliziert und dann addiert). Der zweite Eintrag der ersten Spalte der Ergebnismatrix entsteht aus der ersten Zeile der ersten und der zweiten Spalte der zweiten Matrix, und so weiter. Die Beschreibung des Vorgangs klingt komplizierter, als die konkrete Durchführung ist – aber man sieht auch so sofort, dass es auf die Reihenfolge ankommt, in der die Matrizen multipliziert werden; diese Operation ist hier nicht kommutativ.
Für mich als Astronom ist das auch intuitiv offensichtlich. Das erste Mal ausführlichen Kontakt mit Matrizenmultiplikation hatte ich während meines Studiums, als ich in einer Vorlesung die »Matrizenoptik« erklärt bekam. Dabei geht es um die mathematische Beschreibung von Lichtstrahlen, die durch diverse optische Bauteile fallen. Jedes Element – eine Linse, ein Spiegel oder ein Prisma – wird dabei durch eine so genannte Transfermatrix beschrieben, der Lichtstrahl selbst durch einen Vektor. Um ein optisches System mit verschiedenen Bauteilen zu beschreiben, muss man der Reihe nach die verschiedenen Matrizen multiplizieren. Und da es selbstverständlich einen großen Unterschied macht, in welcher Reihenfolge ein Lichtstrahl beispielsweise die Bauteile eines Teleskops durchläuft, ist es enorm wichtig, die Matrizen in der richtigen Reihenfolge zu multiplizieren.
Alle Probleme lassen sich aber auch durch eine korrekte Anwendung des Kommutativgesetzes nicht lösen. Ob etwa beim Teetrinken zuerst die Milch und dann der Tee in die Tasse kommt oder umgekehrt, ist eine Frage, die vor allem in Großbritannien immer noch heftige Diskussionen auslösen kann. George Orwell hat darüber ebenso geschrieben wie zahlreiche Wissenschaftler – bis heute ohne definitives Ergebnis. Meinen Nachmittagstee werde ich heute am besten ganz ohne Milch zubereiten.
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