Unwahrscheinlich tödlich: Tod durch Menschenbiss
Körperlicher Verfall, Infektionen und monströse Bisse – das ist der Stoff, aus dem Horrorgeschichten sind. Im folgenden Kolumnentext findet sich nicht nur eines dieser Merkmale, sondern alle drei zugleich. Noch dazu gehen die beschriebenen infizierten Bisswunden, die Glieder zerfallen lassen, vom gruseligsten Raubtier von allen aus: Homo sapiens. Menschliche Bisse haben es in sich, und dabei muss der Angreifer nicht einmal ein Zombie oder Dracula sein.
Der Grund dafür sind Bakterien, die beim Biss in die Wunde gelangen. Selbst Verletzungen, die anfänglich unspektakulär wirken, können sich als tickende Zeitbombe entpuppen, wie ein Fallbericht aus dem Jahr 2011 zeigt. Ein 37-jähriger Südafrikaner war mit einer ungefähr Ein-Cent-Stück-großen, drei Tage alten Bissverletzung ins Krankenhaus gekommen. Er klagte über starke Schmerzen in seinem Unterarm; dieser war deutlich angeschwollen und aus der Wunde sickerte eine eitrige Flüssigkeit. Seine Vitalwerte lagen zu dem Zeitpunkt noch im normalen Bereich und er hatte kein Fieber. Das medizinische Team untersuchte die Wunde und entdeckte unter seiner Haut umfangreiche Schäden. Dort befand sich bereits eine Ansammlung von Gas und eine erhebliche Menge abgestorbenes Gewebe. Es identifizierte auch die Ursache: Tief in seinem Arm wimmelte es von Bakterien der Arten Serratia marcescens und Streptococcus pyogenes.
Vorsicht vor rosa Zähnen
Erstere wächst unter anderem in Ablagerungen auf menschlichen Zähnen. Der Keim verleiht dem Gebiss von Trägern eine schwach rotorange Färbung. Eine ganze Reihe von Krankheiten steht mit ihm in Verbindung, von Blasenentzündungen und Augenerkrankungen bis hin zu Wundinfektionen. Oft lassen sich diese nur schwer behandeln, weil die verfügbaren Antibiotika kaum oder gar nicht gegen den Erreger wirken.
Streptococcus pyogenes fühlt sich wohl auf menschlicher Haut und in Schleimhäuten. Das Bakterium ist bekannt für sein Potenzial, eine »nekrotisierende Fasziitis« auszulösen (googeln Sie besser keine Bilder, wenn Ihr Magen eher empfindlich auf abfaulende Körperteile reagiert). Bei der Krankheit, unter der auch der südafrikanische Patient litt, dringen Keime in die Weichteile unter der Haut ein und breiten sich dort aus. Zum Teil geht das rasend schnell – und das Ausmaß der Schäden bleibt lange verborgen. Denn während an der Oberfläche zu Beginn nur eine gerötete, geschwollene Stelle zu sehen ist, kann das Gewebe darunter bereits abgestorben sein. Daher kommt auch die umgangssprachliche Bezeichnung der Auslöser als »Fleisch fressende Bakterien«.
Ärztinnen und Ärzte müssen schnell handeln, um solche Infektionen aufzuhalten. Betroffene bekommen in der Regel hochdosierte Antibiotika, häufig ist auch eine Operation nötig. Die dabei durchgeführte »Wundtoilette« entfernt großflächig totes und verletztes Gewebe. Ist der Be- und Verfall weit fortgeschritten, bleibt oft nur noch die Amputation. Andernfalls kann es zu einer lebensbedrohlichen Blutvergiftung (Sepsis) kommen. Und als wäre das nicht schlimm genug, schütten einige Keime, darunter S. pyogenes, auch noch Stoffe aus, die rote Blutkörperchen zerstören. Gehen zu viele zu Grunde, setzt das dem Sauerstofftransport im Körper zu. Gewebe im gesamten Körper nehmen dann Schaden, was zu Multiorganversagen führen kann.
Biss zum Ableben
Sowohl Serratia marcescens als auch Streptococcus pyogenes gedeihen im menschlichen Mundraum. Zusammen mit unzähligen weiteren potenziell krank machenden Bakterien der Haut- und Mundflora sind sie der Grund dafür, dass Menschenbisse mitunter böse Folgen haben. Eine nekrotisierende Fasziitis entsteht dabei aber nur selten; in der Fachliteratur sind nicht mehr als eine Hand voll solcher Fälle beschrieben. Häufiger treten sie nach Tierbissen, Insektenstichen, Injektionen oder in Folge von offenen Abszessen auf. Insgesamt schätzt man die Fallrate auf etwa 1 pro 100 000 Menschen – in Deutschland wären das rund 900 Betroffene pro Jahr. Gemäß Untersuchungen von Patienten, die im Krankenhaus behandelt wurden, sterben etwa 15 bis 30 Prozent an den Folgen.
Der gebissene Südafrikaner zählt zu dieser Gruppe. Nachdem die Mediziner und Medizinerinnen bei ihm die nekrotisierende Fasziitis diagnostiziert hatten, machten sie sich daran, das geschädigte Gewebe chirurgisch zu entfernen. Während der Wundtoilette erlitt der Patient einen septischen Schock und daraufhin einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Das Team schaffte es, ihn wiederzubeleben, doch sein Zustand besserte sich nicht mehr. Zwei Tage nachdem er das Krankenhaus betreten hatte, war er tot.
Kindermund und schwere Wund'
Etwas mehr Glück hatte 2016 ein türkischer Patient, dessen Tochter ihn unabsichtlich in den Finger gebissen hatte. Zwar schickte man ihn erst noch mit einem Antibiotikarezept nach Hause. Als er zwei Tage später zur Kontrolle erschien, hatte sich die Infektion aber weiter ausgebreitet. Daraufhin bekam er eine umfangreiche Wundtoilette, bei der Gewebe aus seinem gesamten Unterarm entfernt werden musste (wieder der Hinweis: Die Bilder in der Studie sind kein hübscher Anblick). In sechs weiteren Eingriffen wurde unter anderem ein Teil seines Unterarms amputiert. Insgesamt verbrachte der Mann zehn Tage auf der Intensivstation. In der Zeit versagte einmal sein Herz und er musste wiederbelebt und künstlich beatmet werden. Schlussendlich erholte er sich und konnte das Spital verlassen.
Man kann vor allem eins tun, um sich vor Fleisch fressenden Bakterien zu schützen: für gute Wundhygiene sorgen. Das gilt natürlich nicht nur dann, wenn man von einem Mitmenschen gebissen wird. Jede tiefe, kleinflächige Wunde – sei es durch eine Nadel, einen Dorn, eine Kralle oder einen Zahn – sollte man gründlich mit Wasser und Seife waschen und anschließend desinfizieren. Im Zweifelsfall lässt man selbst unscheinbare Verletzungen besser ärztlich untersuchen, vor allem dann, wenn diese stark schmerzen, anschwellen und rot werden. Dunkle Verfärbungen, die sich um die Wunde herum bilden, können darauf hindeuten, dass das darunterliegende Gewebe bereits abstirbt. Wer zuvor noch gewartet hat, sollte spätestens jetzt abklären lassen, was hinter den Beschwerden steckt.
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