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Unwahrscheinlich tödlich: Tod durch Giftgas aus Putzmitteln

2019 starb der Manager einer US-amerikanischen Bar an einer Chlorvergiftung. Der Stoff entstand durch eine fatale chemische Reaktion in der Küche des Lokals.
Drei Putzmittelbehälter und zwei Putzlappen vor einem hellblauen Hintergrund
In Reinigungsmitteln stecken häufig aggressive Chemikalien – wenn sie miteinander reagieren, können dabei gefährliche Stoffe entstehen.
Eines ist sicher: Irgendwann geben wir alle den Löffel ab. Weniger absehbar ist das Wie. Denn es gibt eine schier unendliche Zahl an Wegen, die einen Menschen ins Grab bringen können – manche von ihnen außergewöhnlicher, verblüffender und bizarrer als andere. In der Kolumne »Unwahrscheinlich tödlich« stellen wir regelmäßig solche Fälle vor, von bissigen Menschen über giftige Reisbällchen bis hin zu lebensgefährlichem Sex.

Beim Putzen ist so einiges zu beachten. Schließlich hantiert man mit zum Teil aggressiven Chemikalien, die Haut, Augen und Atemwege verätzen können. Doch ich muss gestehen: Gelegentlich halte ich mich nicht an alle Empfehlungen, die auf dem Etikett prangen. Meistens kommt man dabei glimpflich davon – aber das ist nicht immer der Fall, wie eine Geschichte aus den Vereinigten Staaten zeigt.

In einer Sportbar in Massachusetts ereignete sich 2019 ein tödlicher Unfall. Er ging auf eine hochgiftige Substanz zurück, die bei der Vermischung industrieller Reinigungsmittel entstanden war. Zuerst hatte ein Angestellter in der Küche eine Flüssigkeit verschüttet und nicht sofort beseitigt. Ein anderer goss »Super 8« darüber, ein Desinfektionsmittel mit acht bis zehn Prozent Natriumhypochlorit. Was er nicht wusste: In der Pfütze befand sich bereits ein weiterer Reiniger namens »Scale Green«, der hohe Konzentrationen an Phosphorsäure und Salpetersäure enthält.

Als der Mitarbeiter die beiden Flüssigkeiten vermengte und sich daran machte, sie aufzuwischen, entwich gelb-grünlicher, beißend riechender Dampf aus der Pfütze. Seine Augen begannen zu brennen und er flüchtete aus der Küche. Daraufhin versuchte der Manager, den Lapsus zu beseitigen. Lange hielt auch er nicht durch. Als er sich schließlich nach draußen schleppte, war es für ihn schon zu spät: Er hatte eine zu große Menge des entstandenen Giftgases eingeatmet. Ein medizinisches Notfallteam brachte ihn ins Krankenhaus, wo er bald darauf verstarb. 13 weitere Personen wurden bei dem Zwischenfall verletzt und mussten stationär versorgt werden, vier blieben über Nacht im Krankenhaus.

Ätzende Mischung

Für sich genommen sind beide Reinigungsmittel – Scale Green sowie Super 8 – bei sachgemäßer Anwendung relativ sicher. Es besteht zwar die Gefahr von Schleimhaut- und Hautreizungen, doch sofern man für ausreichend Luftaustausch sorgt und beim Putzen sowohl Schutzhandschuhe als auch eine Brille trägt, lassen sich die meisten dieser Komplikationen verhindern. Anders sieht es aus, wenn man die Chemikalien miteinander vermischt, wie es hier geschah. Das Natriumhypochlorit in Super 8 reagiert nämlich äußerst heftig mit Säuren, wie sie in Scale Green enthalten sind. Bei den dabei stattfindenden Reaktionen entsteht unter anderem Chlorgas, eine Substanz, die schon im Ersten Weltkrieg als chemischer Kampfstoff zum Einsatz kam. Es verätzt die Atemwege und bei höheren Konzentrationen darüber hinaus die Lunge und führt so zu Atembeschwerden und blutigem Husten bis hin zum Ersticken.

Auch in Schwimmbädern kommt es immer wieder zu Unfällen, bei denen Chlorgas freigesetzt wird. Hier verwendet man in der Regel besonders hochkonzentriertes Natriumhypochlorit zur Wasserdesinfektion. Die meisten dieser Zwischenfälle verursachen aber nur kurz andauernde Atemwegsbeschwerden bei den betroffenen Badegästen.

Die Stoffe, die in der amerikanischen Sportbar die fatale chemische Reaktion ausgelöst hatten, findet man hier zu Lande unter anderem in normalen Haushaltsreinigern. Meist sind sie zwar deutlich niedriger dosiert. Dennoch gilt der Hinweis, dass man bestimmte Putzmittel niemals mischen und auch nicht direkt nacheinander anwenden sollte, auch nicht bei der privaten Badreinigung. Zu tödlichen Zwischenfällen kommt es hier zum Glück äußerst selten – tatsächlich sterben mehr Menschen daran, unabsichtlich Reinigungsmittel getrunken zu haben. Unangenehm sind die Effekte der Chemikalien aber allemal.

Urin verleiht die besondere Note

Vorsicht ist zudem geboten, wenn man Chlorreiniger in der Toilette anwendet und dann pinkeln muss. Denn der Harnstoff im Urin kann ebenfalls mit dem enthaltenen Natriumhypochlorit reagieren und schleimhautreizende Substanzen erzeugen. Dazu zählt etwa das Trichloramin, das Schwimmbädern ihren charakteristischen »Chlorgeruch« beschert. Ja, Sie lesen richtig: Erst der Urin im Becken gibt dem Pool das bekannte Odeur. Wenn es das nächste Mal im Freibad wieder chlorig duftet, wissen Sie also Bescheid.

Nicht minder gefährlich ist es, Chlorreiniger mit Desinfektionsmitteln auf Peroxidbasis zu mischen. Dabei findet eine heftige (in hohen Dosen geradezu explosive) Reaktion statt, die Wärme und das giftige Chlorgas freisetzt. Um auf Nummer sicher zu gehen, verzichtet man also lieber auf eine ungeahnt reaktionsfreudige Produktmischung – und befolgt sämtliche Anwendungshinweise auf der Verpackungsrückseite.

Chlorgas als chemische Waffe

Gasmasken im Ersten Weltkrieg | Deutsche Soldaten trainieren 1916 den Einsatz von Masken, um sich vor gegnerischen Giftgasangriffen zu schützen.

Die Grabenkämpfe an der Westfront stehen noch heute symbolisch für den Horror des Ersten Weltkriegs. Es war hier, in den Schützengräben nahe der belgischen Stadt Ypern, dass Chlorgas zum ersten Mal als Kampfstoff zum Einsatz kam. Unter der Aufsicht des späteren Nobelpreisträgers Fritz Haber ließen die deutschen Truppen am 22. April 1915 etwa 150 Tonnen des Gifts aus Stahlflaschen aus. Der Wind trug es in Richtung der alliierten Truppen. Weil das Gas schwerer ist als Luft, sickerte es in die gegnerischen Gräben. Hunderte Menschen erstickten qualvoll – sie besaßen noch keine Gasmasken, mit denen sie sich schützen konnten. Im Lauf des Kriegs hielten diese Einzug in die Ausstattung der Bodentruppen beider Seiten. Mancherorts wurden sie sogar unter der Zivilbevölkerung verteilt.

Nach Ende des Kriegs schlossen die ehemaligen Kriegsparteien sowie weitere Staaten mit dem Genfer Protokoll einen Vertrag ab, der den Gebrauch chemischer Waffen untersagte. Bis heute haben ihn 146 Länder unterzeichnet. Trotz des Verbots kommt Chlorgas gelegentlich noch in bewaffneten Konflikten zum Einsatz. Mittlerweile stehen zwar viele effektivere Kampfstoffe zur Verfügung, doch die Chemikalie wird für industrielle Zwecke in großen Mengen produziert und ist deshalb günstig und einfach für nahezu jedermann beschaffbar.

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