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Leseprobe »Vernetzte Verführungen«: Alles dreht sich um Vernetzung

Die Zukunft der Konsumindustrie und ihrer Verführungsanstrengungen, allen voran die Werbung, liegt im Dunkeln. Diese Unsicherheit verdankt sich der Situation, dass sich die Konsumindustrie, wie die gesamte Gesellschaft schlechthin, in einem tiefgreifenden Transformationsprozess befindet. Dafür werden heute in aller Regel die Digitalisierung und ihre disruptiven Kräfte verantwortlich gemacht. Gemeint ist damit, dass die Digitalisierung die Konsumindustrie, wie wir sie aus dem letzten Jahrtausend kennen, kräftig ins Wanken bringt.
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Wenn wir genau hinsehen, können wir eine Kernunterscheidung erkennen, die für unser Leben sehr bedeutsam ist. An dieser hat sich die gesamte bisherige Diskussion über die Dark Arts der Konsumindustrie, mit denen unserer innerer Dämon beeinflusst werden soll, aufgerieben. Und genau diese für unser Leben so wichtige Unterscheidung lässt die Diskussion auch immer wieder aufs Neue aufflackern. Und zwar betrifft sie unseren Willen. Es geht um unsere Willensfreiheit auf der einen Seite und die Bestimmung unseres Willens durch innere oder äußere Ursachen auf der anderen Seite.

Dank dieser Unterscheidung können die Verführer ihre Gedanken, die sie sich unentwegt über uns, die Verbraucher, machen, auf die eigentliche, für sie wichtigste Frage fokussieren. Und die lautet: Haben die Verbraucher die Hoheit über ihren Willen, um zu kaufen oder nicht zu kaufen? Sind sie also in der Entwicklung ihres Willens zu kaufen autonom?

Die höchste Wichtigkeit dieser Frage ist offensichtlich. Die Verführungsbemühungen der Konsumindustrie kosten viel Geld. Dies will gewinnbringend angelegt sein. Die Verführer wollen daher wissen, ob sie sich bei ihren Investitionsentscheidungen auf kausale Wenn-dann-Zusammenhänge stützen können und wenn ja, auf welche. Nur mit diesem Wissen können Sie unseren Willen zu kaufen ursächlich steuern. Wenn sie dieses Wissen hätten, ist die Konsequenz klar: Ein spezifischer mit Dark-Arts-Wissen gestalteter Kommunikationsprozess würde unseren inneren Dämon in Form einer hinreichenden, kaufauslösenden Hirnfunktion aktivieren und so unseren Willen lenken. Die Erzielung eines definierten Return-on-Investment (RoI) wäre damit kausal planbar.

Wie können wir den Verführern einen Strich durch die Rechnung machen? Wie können wir also unterbinden, dass sie denken, über uns sicheres Wissen in Form kausaler Wenn-dann-Zusammenhänge erhalten zu können? Die zusammenfassende Antwort lautet: Wir müssen bewusst bewusst handeln. Wir müssen uns also über den Bewusstseinsgrad unseres Handelns im Klaren werden. Kaufe ich etwas, weil ich es bewusst will oder aus einer Routine oder gefühlsmäßigen, situativen Verfassung heraus? Alleine dadurch, dass ich mir diese Frage stelle, mache ich mir die Kaufhandlung bewusst und entscheide über ihren Verlauf. Das hilft uns, unsere Willensfreiheit und unsere Autonomie als Verbraucher zu sichern.

Wohlgemerkt, es geht nicht darum, dass wir den Einfluss des Unterbewusstseins auf unsere Handlungen leugnen und damit die Wirksamkeit entsprechender Methoden der Konsumindustrie bezweifeln. Aber das heißt nicht, dass wir uns vor ihnen fürchten müssen. Denn wenn wir wissen, dass wir diesen nicht schutzlos ausgeliefert sein müssen, können wir uns bewusst wehren. Daher möchte ich kurz aufzeigen, was wir ganz grundsätzlich tun können. Hilfreich ist dafür, zunächst einen Blick auf die Ergebnisse der berühmten Experimente von Benjamin Libet zu werfen.

Wir haben es in der Hand!

Libet hat sich aus neurologischer Perspektive mit der Frage beschäftigt, ob wir einen freien Willen haben. Zu diesem Zweck bat er Versuchspersonen, Willenshandlungen, nämlich eine plötzliche Beugung des Handgelenks, zu einem frei gewählten Zeitpunkt durchzuführen. Die Versuchsperson saß dabei vor einer Uhr, deren Zeiger mit einer Geschwindigkeit von 2,56 Sekunden pro Umdrehung lief. Jede auf dem Zifferblatt markierte Sekunde entsprach in Wirklichkeit etwa 43 Millisekunden. Die Versuchsperson sollte sich mittels der Uhr den Zeitpunkt des Handlungsentschlusses als Zeigerstellung merken und anschließend mitteilen. Während des Experiments waren an dem zu aktivierenden Muskel der Versuchsperson Messelektroden angebracht. So konnte mittels des gemessenen Elektromyogramms (EMG) der Handlungszeitpunkt festgestellt werden. Zudem wurde an der Kopfhaut der Versuchsperson das elektrische Potenzial gemessen, das vor der Muskelaktivierung auftrat.

Die Ergebnisse lassen die Willensfreiheit des Konsumenten bei seiner Kaufentscheidung scheinbar zur Illusion werden. Denn sie zeigen, dass Gehirnprozesse bewusste Handlungen ursächlich bestimmen und der vom Handelnden sich selbst zugeschriebene Willensakt keine kausale Rolle spielt. Der freien Willenshandlung, so der Befund, geht nämlich eine elektrische Veränderung im Gehirn voraus – das so genannte Bereitschaftspotenzial (BP), welches 550 Millisekunden vor der Handlung einsetzt. Die Versuchspersonen wurden sich ihrer Handlungsintention erst 350 –  400 Millisekunden nach dem Beginn des BP bewusst, aber 200 Millisekunden vor ihrer motorischen Handlung.

Die Ergebnisse untermauern damit, dass wir uns in der Tat zurecht vor der Wirksamkeit des Einsatzes von Dark-Arts-Techniken seitens der Verführer fürchten müssten. Entscheidend ist nun jedoch, wie wir selbst und nicht die Verführer unseren Willen beeinflussen können. Denn Libets Schlussfolgerung lautet, dass unser Willensprozess zwar unbewusst eingeleitet wird, aber unserem Bewusstsein die Funktion zukommt, den Ausgang dieses Prozesses der Willensbildung immer noch steuern zu können. Wenn wir zu dem Zeitpunkt, an dem uns erstmalig unser Wille zu handeln bewusst wird, ein Veto einlegen, können wir den Prozess der Willensbildung und somit den Ausgang der Handlung gezielt beeinflussen. Der Schlüssel zur Zähmung unseres inneren Dämons und damit zur Sicherung unserer Autonomie und Souveränität als Verbraucher liegt also darin, sich bewusst zu machen, warum wir etwas kaufen wollen.

Weitere Argumente, die uns Mut machen können, sind:

Unsere Handlungen und damit auch Käufe finden nicht im luftleeren Raum statt. Auch die Kontexte, in denen Handlungen immer eingebettet sind, haben Einfluss auf unseren Willensbildungsprozess.

Unsere Handlungen sind immer das Ergebnis von zahlreichen Wechselwirkungen. Dieser Punkt wird im Untersuchungsdesign von Libet nicht reflektiert. Alle bewussten Handlungen resultieren aus einer komplexen Verkettung von Absichten und Überlegungen in bestimmten Situationen. In diesen Überlegungen verbinden wir Handlungsziele und alternative Mittel zur Zielerreichung und zwar unter Abwägung von Gelegenheiten, Ressourcen und Hindernissen.

Die Ursachen unserer Kaufhandlungen sind nicht unsere Bewegungen, sondern unsere Gründe. Und die beeinflussen wir selbst.

Kaufhandlungen sind komplexer als die plötzliche Beugung des Handgelenks. Stellen wir uns vergleichbar zur Handgelenksbeugung in den Experimenten von Libet einen Verbraucher in einem Supermarkt vor. Ausgehend von dem Befund, dass es ein ursächliches Bereitschaftspotenzial (BP) für die Bewegung des Greifens-nach-einem-Produkt-im-Regal gibt, stellt sich die Frage, ob dieses BP beispielsweise mit den Handlungen variiert,

  • wenn der Verbraucher am Morgen einen Radiospot gehört hat, in dem das Produkt, nach dem er greift, beworben wird,
  • wenn der Verbraucher nach einem Produkt greift, das sich im Regal in seiner Sichtzone (Augenhöhe) und nicht in der Bückzone befindet,
  • wenn der Verbraucher nach einem Produkt greift, das er regelmäßig seit vielen Jahren kauft.
  • Liegt also allen drei verschiedenen Handlungen ein gleiches Bereitschaftspotenzial zugrunde? Oder sind drei spezifisch unterschiedliche BPs am Werk, die sich nach a) Werbekontakt, b) Produktpräsentation und c) Konsumhäufigkeit differenzieren lassen? Würde es nur ein Bereitschaftspotenzial für alle drei Handlungen geben, da ja alle Handlungen rein physikalisch betrachtet die gleichen Bewegungen realisieren, wäre das Bereitschaftspotenzial lediglich eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Ausführung der Handlung. Gehen wir berechtigterweise des Weiteren davon aus, dass drei verschiedene Handlungen durch die gleiche Körperbewegung ausgeführt werden, können wir beruhigt folgern, dass wir uns vor unserem inneren Dämon nicht fürchten müssen. Er kann in naturalistischer Hinsicht zwar unsere Ursachen von Bewegungen beeinflussen, durch die Kaufhandlungen ausgeführt werden, aber in mentalistischer Hinsicht nicht die Ursachen unserer Kaufhandlungen.

    Wir sind fähig zu erkennen, dass wir auch ohne bewussten Willen handeln können. Und genau diese Erkenntnis schützt uns vor unserem inneren Dämon.

    Und schließlich noch ein Gedankenspiel: Wenn es so wäre, dass unsere Willensfreiheit durch Einflussnahme auf unseren inneren Dämon ausgehebelt werden kann, würde sich ein unauflösbares Erkenntnisdilemma ergeben. Wird die Theorie der unbewussten Determiniertheit unseres Willens auf ihre Entwickler und Verteidiger selbst angewandt, dann wäre konsequenterweise auch die Entwicklung dieser Theorie nicht frei, aus eigenem Willen heraus geschehen. Dies müsse andererseits aber auch für die These der Willensfreiheit gelten. Dies läuft jedoch darauf hinaus, dass es zu ein und derselben Frage zwei sich gegenseitig aufhebende Urteile als Kausalergebnisse unbewusster Vorgänge gäbe. Sind wir frei in unserem Kaufwillen oder haben wir keinen bewussten Einfluss auf ihn? Wie auch immer die Antworten auf diese Frage ausfallen würden. Die Frage bliebe für immer unentschieden, da die Antworten in ihrer Begründung unfreiwillig wären.

    Machen wir uns auf den Weg zu einer Konsumprudenz!

    Zusammenfassend liegt also die Lösung zur Bezwingung unseres inneren Dämons in unserer Fähigkeit des bewussten Handelns. Unsere Autonomie und Souveränität als Verbraucher sichern wir daher mit klugem, im Sinne von bewusstem und damit reflektiertem, konsumtivem Handeln. Wie frei wir in unserem Konsumverhalten sind, es also willentlich steuern können, ist daher abhängig von unserem Bewusstsein über das Wissen, das wir über die Konsumindustrie und unsere Handlungen in den diversen Konsumkontexten haben, in denen wir uns tagein, tagaus befinden. In Analogie zum Konzept der Sozioprudenz, wie es Clemens Albrecht entwickelt hat, kann man sagen, dass wir eine Konsumprudenz ausbilden müssen. Gemeint ist damit, dass wir klug konsumieren und zwar einschließlich unserer klugen Wahrnehmung der Verführungsangebote der Konsumindustrie, wie sie uns täglich begegnen. Albrecht knüpft mit seinen Überlegungen an den Historiker Johann Gustav Droysen an, der vor rund 140 Jahren eine prägnante Formel entwickelt hat, wie sich in unseren Handlungen Determinanten und Entscheidungen vermischen: A =  a +  x.

    »Wenn man alles, was ein einzelner Mensch ist und hat und leistet, A nennt, so besteht dies A aus a +  x, indem a alles umfasst, was er durch äußere Umstände von seinem Land, Volk, Zeitalter usw. hat, und das verschwindend kleine x sein eigenes Zutun, das Werk seines freien Willens ist. Wie verschwindend klein immer dies x sein mag, es ist von unendlichem Wert, sittlich und menschlich betrachtet allein von Wert.«

    Entscheidend ist nun, dass Menschen lernen können und wir damit x, unsere menschliche Handlungsfreiheit, beeinflussen können. Wenn wir nämlich die Determinanten unseres Handelns kennen, können wir sie uns bewusst und damit zu Bestandteilen unseres Entscheidungsspielraums machen. Dies gilt natürlich nicht für alle. So können wir beispielsweise nicht über die Determinante der neuronalen Struktur unseres Gehirns entscheiden. Nichtsdestotrotz können wir Kraft unseres Bewusstseins aber auf unsere Handlungsfreiheit einwirken. Albrecht schlägt daher vor, die Formel von Droysen zu erweitern: A =  a +  (x +  y). Dieses verschwindend kleine x in der Formal von Droysen ist keine fixe Größe. Wir können sie verändern und zwar durch unser Wissen über die Bedingtheiten unseres Handelns und über die Mittel, wie wir auf x einwirken können. Dafür steht das y – für alles, was wir »lernen können, um unsere Handlungsmöglichkeiten zu erweitern – nicht zuletzt Wissen über a.« y ist also die reflexive Ebene unseres Handelns.

    Wie oben bereits geschrieben: die Ebene des bewusst bewussten Handelns. Hier wird uns bewusst, dass wir bewusst handeln. Dadurch erweitern wir unser Wissen und können uns so willentlich neue Handlungsoptionen erschließen. Und das gilt selbstverständlich auch für unser Wissen über die Verführungskünste der Konsumindustrie, unsere Reaktionen auf deren Verführungsangebote, unsere Willensfreiheit bezüglich Kaufentscheidungen und damit über das Ausmaß und die Steuerungsmöglichkeiten unserer Autonomie und Souveränität als Verbraucher. Zusammengefasst. Wir müssen lernen, klug zu konsumieren.

    Alles dreht sich um Vernetzung!

    Und daran hat sich, wie der Cambridge Analytica Case eindrucksvoll zeigt, bis heute nichts geändert. Die Redeweise von den Dark Arts der Konsumindustrie, so lässt sich daher bislang festhalten, ist die moderne Fortsetzung des Mythos deterministischer, geheimer Verführung. Aber die neuen, heutigen Verführungstechniken zielen weniger auf unser Unterbewusstsein.

    Stattdessen ist es ein anderes Merkmal, das die Dark Arts der Konsumindustrie heute im Gegensatz zu ihren früheren Verführungsformen auszeichnet. Und dieses Merkmal ist das der Vernetzung, wie ich es beispielhaft mit dem datenvernetzen psychografischen Microtargeting aufgezeigt habe.

    Worin liegt der Unterschied? Damals sorgten sich die Menschen, dass die Konsumindustrie über Methoden verfügt, sie geheim, ohne ihr Wissen zu etwas zu verführen, was sie eigentlich gar nicht wollen.

    Heute wissen oder ahnen zumindest die Menschen, dass die Konsumindustrie über Methoden verfügt, mittels Technologien und Datenvernetzung ein Wissen über den Einzelnen zu erzielen, auszunutzen und weiterzureichen, ohne dass dies für den Einzelnen noch nachvollziehbar ist. Diverse Studien bestätigen diese Befürchtungen der Verbraucher. Auch seitens der Politik wird die Dark-Arts-Gefahr gesehen und unter dem Stichwort des Rechts auf Privatsphäre behandelt. So hat Timo Wölken, Mitglied des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments und Mitgestalter des Digital Services Act (DSA)  – ein gesetzlicher Rahmen, der die Grundlage schaffen soll, um die einzelnen europäischen Märkte im Bereich der Digital Services zu stärken – in einem Bericht für die Europäische Kommission festgestellt, »dass die allgemeine und unterschiedslose Sammlung personenbezogener Daten bei jeder Nutzung eines digitalen Dienstes unverhältnismäßig stark in das Recht auf Privatsphäre eingreift, da die Online-Aktivitäten eines Individuums tiefe Einblicke in sein Verhalten erlauben und Manipulation ermöglichen«. Woelken geht in seinem Bericht soweit, dass er die EU- Kommission auffordert, »Optionen für die Reglementierung der gezielten Werbung zu prüfen, einschließlich einer allmählichen Abschaffung, die in einem Verbot mündet.«

    Diese Forderung ist durchaus ernst zu nehmen. Anfang 2021 hat sich eine fraktionsübergreifende Gruppe von EU-Parlamentarierinnen und Parlamentariern zusammengefunden, die die Initiative »Tracking-Free Ads Coalition« gegründet haben. Ihr Anliegen ist es, Werbung, die uns auf Basis von Tracking und Microtargeting »ausspioniert«, gesetzlich zu verbieten. Unterstützung bekommt die Initiative von Wojciech Wiewiórowski, dem European Data Protection Supervisor (EDPS), der die europäischen Gesetzgeber ebenfalls auffordert, ein Verbot von datenbasierter Targeting-Werbung zu prüfen:

    »Furthermore, the European legislators should consider a ban on online targeted advertising based on pervasive tracking and restrict the categories of data that can be processed for such advertising methods.«

    Verführer verfangen im eigenen Netz

    Sogar die Verführer und die Online-Medien selbst stehen heute vor der schwierigen Herausforderung, Transparenz, Nachvollziehbarkeit sowie Rechts- und Datensicherheit bei der Produktion und Distribution ihrer eigenen Medienangebote sicherzustellen. Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum aus 2020 befasst sich mit Third-Party (TP)-Cookies, die über Websites an die Nutzer ausgespielt werden. 10.000 Websites wurden auf ihre jeweiligen Third-Party-Trees (TPT) untersucht. Dabei handelt es sich um eine Metrik, die die hierarchischen Beziehungen zwischen den einzelnen TP-Cookies einer Website aufzeigt, die diese bei dem Visit eines Nutzers ausspielt. An folgendem Beispiel machen die Autoren der Studie die Problematik deutlich:

    Auf adidas.com ist ein Skript eingebettet, dass Content von Adobe lädt (3rd party). In diesem ist wiederum ein Skript von Tealium (4th party) integriert, das wiederum ein Skript von Akamai (5th party) lädt. Das Einbetten eines einzelnen TP-Cookies kann also zur Integration einer nicht-bestimmbaren Menge weiterer TP-Cookies führen, was ein äußerst ernst zu nehmendes Risiko in den Bereichen Datenschutz und Sicherheit darstellt.

    Interessant ist auch das Ergebnis, dass der Website-Betreiber keinesfalls das Augenmerk seiner Traffic-Messungen nur auf die Landing Page seiner Website richten darf. Die Studie zeigt, dass die Subsites einer Website weitaus mehr TP-Cookies laden (über 45 %) und ausspielen als die Landing Page einer Website.

    Weitere, in der Tat Besorgnis erregende Ergebnisse der Studie, die den Dark-Art-Mythos heutiger vernetzter Verführungen der Konsumindustrie nähren, sind:

  • 99 % der Cookies auf Websites dienen dazu, Benutzer zu verfolgen oder gezielte, individualisierte Werbung auszuspielen.
  • 72 % der Cookies werden von vierten Parteien gesetzt, die heimlich über Trojaner, in Form von Cookies Dritter, auf den Rechner des Nutzers geladen werden.
  • Fast 62 % der TP-Cookies, die Cookies einer weiteren Partei beinhalten (Trojaner), wechseln diese Partei in Abhängigkeit von den geladenen unterschiedlichen Subsites.
  • Über 18 % der Cookies stammen von einer fünften oder sogar noch weiteren Partei, also von tieferen Trojanern.
  • Sie wissen alles über uns

    Geheime Datengewinnung und Ausspionieren des Menschen ist ja nun keineswegs eine neue Erscheinung. Einmal mehr ist es Vance Packard gewesen, der auch auf diesen Punkt früh hingewiesen hat. In seinem Buch The Naked Society beschrieb er 1964 die Bedrohung der Freiheit des Einzelnen durch technologische Entwicklungen und zwar in Form der Überwachung mittels diverser elektronischer Geräte sowie durch den Handel mit Informationen über die Menschen. Es ist verwunderlich, wie nah an den heutigen Zuständen Packards rund 60 Jahre alte Situationsbeschreibung ist.

    Zweifelsohne sind aber heute im digitalen Zeitalter die Techniken weitaus ausgereifter. Unternehmen können auf Daten aus sozialen Medien zugreifen, wie Likes, Kommentare, Fotos oder Videos (inkl. Standortangaben). Sie können über unterschiedliche Websites hinweg anhand von Cookies Surf-Profile erstellen und vermarkten oder anhand von Apps oder Wearables wie beispielsweise Fitness Trackern oder Smart Watches weitere, sehr persönliche Daten sammeln. Dies alles und vieles mehr, beispielsweise situationsspezifische Daten wie der Aufenthaltsort, können heute genutzt werden, um über die Vernetzung der Daten unsere Einstellungen zu Ereignissen, Produkten und Services zu ermitteln, um aktuelle Bedürfnisse und konsumrelevantes individuelles Handeln zu prognostizieren und um schließlich die Verführungsangebote passgenau auf uns zuzuschneiden.

    Die Situation ist sehr ernst zu nehmen. Mittlerweile haben sich die Gerichte der Sache angenommen. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Juni 2020 untersagt nun Facebook seiner Datensammelwut pauschal nachzugehen. Wer ein Facebook-Konto hat, musste bislang der Sammlung seiner Daten zustimmen. Dies galt jedoch nicht nur für Daten, die bei der Facebook-Nutzung anfallen. Auch wurden Nutzungsdaten von WhatsApp und Instagram, die beide zum Facebook-Konzern gehören, sowie von anderen Diensten zur Wissensanhäufung über den jeweiligen Nutzer miteinander verknüpft. Gemäß dem Urteil muss Facebook den Nutzern nun eine Wahlmöglichkeit lassen und die Zustimmung des Nutzers zur Datensammlung aktiv einholen.

    An einem trüben Novembersonntag finde ich in meinem Postfach eine Mail von einem berühmten Vergleichsportal zur Buchung von Reise-Unterkünften. Nennen wir es VBRU. Im Betreff steht »Spanien – nur für Dich!« Da ich Spanienfan bin und jedes Jahr um diese Jahreszeit meinen Urlaub für das kommende Jahr plane, macht mich die Mail neugierig. Ich lösche sie daher nicht sofort, wie ich es mittlerweile mit allen Mails von Unternehmen mache, die ich spontan als Werbung identifiziere. Ich klicke die Mail an und bin überrascht. Da steht: »Hier ist Deine persönliche Spanienreise – bei Nichtbuchung erhältst Du 50 Euro!« Der Link bringt mich auf eine ansprechend, im spanischen Look gestaltete Subsite bei vbru.com (vbru.com/joerg-tropp), auf der ich auch ein Foto meiner letzten Spanienreise finde, das ich auf meinem Instagram-Account gepostet habe. Meine Überraschung wird noch größer. Denn begrüßt werde ich dort mit »Hola Jörg! Leider musstest Du im letzten Frühjahr Deine Spanienreise wegen der Corona-Pandemie absagen. Hier ist Deine Reise noch einmal.« Aufgelistet sind flexibel kombinierbare Hin- und Rückflüge nach Malaga zu unterschiedlichen Daten im April und Mai und dazu jeweils passend eine Unterkunft – und zwar genau das Hotel und die Zimmerkategorie, wie ich es für meinen geplant gewesenen Aufenthalt im letzten Jahr gebucht hatte – aber nun 15 % günstiger als letztes Jahr. Natürlich alles mit Best-Preis-Garantie! Ich buche noch am selben Abend.

    Zwei Tage späte finde ich in meinem Postfach ein Päckchen von amazon. Komisch, denke ich, ich habe doch überhaupt nichts bestellt. Ich öffne es und finde als Geschenk eingepackt den neusten Krimi von Susanne Hottendorff mit dem Titel »Tödlicher Sherry: Kommissarin Juana ermittelt in Andalusien«. Dabei liegt eine Karte »Viel Spaß mit Deiner Urlaubslektüre. Bei Nichtgefallen einfach kostenlos zurücksenden! Dein vpru.com-Team«. Bestens, dachte ich als Susanne Hottendorff-Fan und freute mich auf die Lektüre unter der Sonne Andalusiens im nächsten Jahr.

    Seitdem werde ich immer pünktlich van amazon informiert, sobald ein neuer Krimi von Susanne Hottendorff oder ein anderer Spanien-Krimi erschienen ist.

    Dark Arts – Fingerprinting: Unsere exakte Identifizierung

    Näher an dem Überwachungsszenario von Vance Packard als dieses Beispiel eines heute alltäglichen, datenbasierten Verführungsversuchs ist die äußerst datenschutzbedenkliche Methode des Device Fingerprinting. Jedoch distanzieren sich davon sowohl Google mit seinem Chrome-Browser als auch Mozilla mit seinem Firefox-Browser. Besonders das aktive Fingerprinting, bei dem ein Programmcode direkt auf unserem Gerät ausgeführt und Informationen mittels Javascript oder Flash gezielt ausgelesen werden können, erinnert an die Szenarien in George Orwells Buch 1984. Dieses Buch wird übrigens auch von Vance Packard als Referenzwerk angeführt.

    Beim Fingerprinting wird ein Abdruck der Systemeinstellungen zur Profilerstellung der Nutzer erstellt. Dazu werden auf unseren Computern, Smartphones, Tablets oder anderen Endgeräten (Devices) gespeicherte Informationen, beispielsweise zu installierten Schriften, Bildschirmauflösung, Plugins, Treibern, Browserversionen, MAC- oder IP-Adressen ausgelesen. Beim Besuch einer Website werden diese Informationen auf dem Server des Website-Betreibers gespeichert und beim nächsten Visit mit den gespeicherten Daten – dem Fingerprint – abgeglichen. Die Identifizierung des Nutzers erfolgt dabei relativ genau. Denn die Kombination der Vielzahl an individuell veränderbaren Einstellungsoptionen ergibt in ihrem Gesamtbild ein relativ einzigartiges Nutzerprofil.

    Dark Arts – Face recognition: Unsere Gesichter führen zu unseren Daten

    Die Vorstellung, dass unsere eigenen Gesichter als Türöffner zu unseren Daten dienen, ist erschreckend – aber realisierbar. Stellen Sie sich vor, Sie sind in der Computer-Abteilung eines Elektromarkts und werden von einem Verkäufer, den Sie noch nie zuvor gesehen haben, persönlich mit Ihrem Namen begrüßt. Anstelle der sich anschließenden, obligatorischen, allgemeinen Frage, ob er Ihnen weiterhelfen könne, fragt der Verkäufer Sie, ob die Bluetooth-Verbindung zwischen Ihrem Kopfhörer und Ihrem Computer nun funktioniert, oder ob er Ihnen dabei behilflich sein kann. Sie fragen sich, woher der Verkäufer Sie kennt und weiß, dass Sie in der letzten Woche dieses Problem hatten? Er trägt eine Augmented-Reality-Brille, die es ihm ermöglicht, Sie in Echtzeit über ihr Gesicht zu identifizieren und Daten über Sie aus dem Internet und den sozialen Medien zu erhalten. (Letzte Woche posteten Sie in einem sozialen Medium, ob Ihnen jemand bei dem Anschluss Ihres Kopfhörers weiterhelfen kann.)

    Technisch möglich ist dies durch eine mobile Gesichtserkennungssoftware, wie beispielsweise Clearview AI (https://clearview.ai/). Mit der App wird auf eine Datenbank zugegriffen, in der rund drei Milliarden öffentlich zugängliche Fotos aus sozialen Medien gespeichert sind und die der Identifizierung des Gegenübers dienen. Besonders US-Sicherheitsbehörden nutzen die Technologie. Vergleichbar analysiert und speichert die polnische Suchmaschine Pimeyes (https://pimeyes.com/) Gesichter auf Fotos, die von Nutzern hochgeladen werden. Laut eigenen Angaben der Suchmaschine geht es dabei nicht um die Identifizierung von Personen, sondern darum, erkennen zu können, wo Fotos der Nutzer ohne ihr Wissen im Netz veröffentlicht werden.

    Die Nutzung der Face-Recognition-Technologie ist weltweit sehr unterschiedlich verbreitet. Während in China das biometrische Gesichtsprofil der Person (Face-ID) vollkommen selbstverständlich für Einlasskontrollen zu Messen genutzt wird, ist in Europa die Verarbeitung biometrischer Daten zur eindeutigen Identifikation einer natürlichen Person nur unter Berücksichtigung der engen Grenzen des Artikel 9 der DSGVO, § 22 BDSG möglich. Es wäre aber zu prüfen, ob diese Grenzen tatsächlich eng genug gesteckt sind, damit die Konsumindustrie über die Erkennung unserer Gesichter keinen ungewollten Zugriff auf unsere Daten erhalten kann.

    Diese Prüfung ist durchaus dringlich. Auch hier ist es das Prinzip der Vernetzung, das ein genaues Hinsehen einfordert – nicht nur betreffend die Vernetzung von Daten, sondern auch die von Organisationen. So ist Facebook -Aufsichtsratsmitglied Peter Thiel Investor von Clearview AI. Die Ernsthaftigkeit der Facebook-Forderung, dass Clearview AI mit dem Scraping von Daten von Facebook- und Instagram-Nutzern aufhören soll, da dies die Facebook-Richtlinien verletze, bleibt somit abzuwarten.

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