Lexikon der Biologie: einzelsträngige DNA-Phagen
einzelsträngige DNA-Phagen, Einzelstrang-DNA-Phagen, ss-(single stranded-)DNA-Phagen, Phagen, die eine einzelsträngige, ringförmige DNA als Genom besitzen. Aufgrund der Morphologie der Viruspartikel lassen sich die einzelsträngigen DNA-Phagen in zwei Gruppen einteilen: die isometrischen, ikosaederförmigen Phagen (Coliphagen ΦX174, G4, S13, Familie Microviridae,Microviren; das Virion hat einen Durchmesser von 26-32 nm und ist aus 12 Capsomeren mit knopfartigen Spikes aufgebaut; die DNA besteht beim Phagen ΦX174 aus 5386 Nucleotiden und enthält 10 Gene A–K; ä vgl. Tab. und ä vgl. Abb. ) und die fadenförmigen Phagen (Coliphagen fd, f1, M13, Familie Inoviridae,Inoviren; Virion mit 6 nm Durchmesser und 760–1950 nm Länge; die DNA besteht bei den Coliphagen aus ca. 6400 bis 6900 Nucleotiden und enthält 10 Gene). Bei den ikosaederförmigen einzelsträngigen DNA-Phagen erfolgt die Adsorption an die Bakterienzellwand, und die Nachkommenphagen werden unter Lyse der Zelle freigesetzt, während die fadenförmigen einzelsträngigen DNA-Phagen an die Pili männlicher Bakterien adsorbieren und die neugebildeten Phagen ohne Absterben der Wirtszelle kontinuierlich ausgeschleust werden. Durch die Sequenzanalyse von ΦX174-DNA wurde zum erstenmal gezeigt, daß die in einer Virus-DNA enthaltene Information mit großer Ökonomie genutzt werden kann, indem bestimmte DNA-Abschnitte für zwei völlig unterschiedliche Proteine codieren (überlappende Gene); bei der Translation wird die gleiche Nucleotidsequenz in zwei gegeneinander verschobenen Triplettrastern (Raster) abgelesen (ävgl. Abb.). Bei ΦX174 ist z. B. Gen B vollständig in Gen A enthalten und Gen E in Gen D. Zusätzlich tritt eine Überlappung vom Terminationscodon des einen Gens mit dem Startcodon des folgenden Gens bei den Genen A und C, C und D, D und J sowie B und K auf. Die DNA-Replikation erfolgt bei allen einzelsträngigen DNA-Phagen in ähnlicher Weise und verläuft in drei Phasen ( ä vgl. Abb. ): 1. Bildung einer doppelsträngigen ringförmigen DNA (replikative Form, RF-DNA) durch Synthese eines komplementären Minus-Strangs am infizierenden Plus-Strang (= Virion-DNA); diese Synthese wird von Wirtsenzymen katalysiert; 2. Replikation der RF-DNA zur Bildung von Tochter-RFs (nach dem rolling-circle-Prinzip); diese Replikation wird durch eine phagenspezifische Endonuclease, das A-Protein, initiiert; 3. asymmetrische Synthese von einzelsträngiger Plus-Strang-Phagen-DNA an den RF-DNAs und Verpackung in die Capside; durch Anlagerung von Phagenproteinen an die neusynthetisierte DNA wird die Synthese des komplementären DNA-Strangs verhindert; das A-Protein spaltet die Einzelstrang-DNA in Stücke mit einheitlicher Genomlänge. Der Minus-Strang der replikativen Form dient als Matrize zur mRNA-Transkription. – Verschiedene Vertreter der filamentösen einzelsträngigen ss-DNA-Phagen und von ihnen abgeleitete Systeme finden aufgrund einiger Besonderheiten Anwendung bei molekularbiologischen Fragestellungen. Da die filamentösen ss-DNA-Phagen keine definierte Länge besitzen, können sie variable Mengen an DNA aufnehmen. Dieser Umstand, zusammen mit dem wirtszellerhaltenden Ausschleusungsmechanismus der Nachkommen und der Möglichkeit, die DNA dieser Phagen als Einzelstränge (über Phagen-Partikel aus dem Medium) oder Doppelstränge (als replikative Form innerhalb der Wirtszellen) zu isolieren, machen sie zu einem oft benutzten Klonierungs-Vektor. Isolierte doppelsträngige Phagen-DNA (RF-DNA) kann wie Plasmide zu Klonierungen von Fremd-DNA in bestimmte, für Phagen nicht essentielle Bereiche ihres Genoms benutzt und durch Transformation wieder in Wirtszellen eingeschleust werden. Die aus Phagenpartikeln isolierte einzelsträngige DNA kann direkt für Sequenzierungen nach der Kettenabbruchmethode von F. Sanger (M13-Methode) benutzt werden. Weiterhin werden auf filamentösen einzelsträngigen ss-DNA-Phagen aufbauende Systeme zur ortsspezifischen Mutagenese einzelner Basen innerhalb bekannter DNA-Fragmente eingesetzt. Bakteriophagen, Viren; ä Desoxyribonucleinsäuren II , Replikation der DNA I, Transkription – Translation.
E.S./E.G.
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