Lexikon der Biologie: Bakteriophagen
Bakteriophagen [von *bakterio –, griech. phagos = Fresser], Phagen, Bakterienviren, "Bakterienfresser", Bezeichnung für Viren, die Bakterien(Bacteria) und Archaebakterien(Archaea) infizieren (Virusinfektion) und sich in diesen Wirtsorganismen vermehren. Sie wurden 1915 von F.W. Twort und 1917 von F. d'Hérelle unabhängig voneinander entdeckt. Schon d'Hérelle beobachtete, daß die Infektion mit Bakteriophagen zur Bildung von Plaques in einem Bakterienrasen führt. Spätere Forschungsarbeiten an Bakteriophagen, besonders von M. Delbrück, S. Luria, S. Cohen und anderen, haben entscheidende Grundsteine sowohl für die Molekularbiologie als auch für die moderne Virologie gelegt. – Bakteriophagen gibt es wahrscheinlich für alle Bakterienarten. Je nach den Wirtsbakterien spricht man von Coliphagen (Bakteriophagen des Darmbakteriums Escherichia coli), Salmonellaphagen (Bakteriophagen von Salmonella), Actinophagen (Bakteriophagen von Actinomyceten), Cyanophagen (Bakteriophagen von Cyanobakterien) usw. Über 95% der bislang bekannten Bakteriophagen sind aus einem Kopf- und einem Schwanzteil aufgebaut ( vgl. Abb. ), letzterer dient zur Anheftung der Bakteriophagen an die Bakterienmembran. Die anderen Bakteriophagen besitzen eine kubische, filamentöse oder pleomorphe Form ( vgl. Abb. ). Als Genom enthalten die Bakteriophagen DNA oder RNA, die als Doppel- oder Einzelstrang, linear oder ringförmig vorliegen kann; meist ist eine doppelsträngige, lineare DNA vorhanden. Taxonomisch werden die Bakteriophagen in 13 Familien eingeteilt ( vgl. Tab. ). Kürzlich wurde die Ordnung Caudovirales aufgestellt, die die 3 Familien von Bakteriophagen mit Schwänzen (tailed phages) Myoviridae (Myoviren), Siphoviridae (Siphoviren) und Podoviridae (Podoviren) umfaßt. – Die Vorgänge beim lytischen Infektionszyklus ( vgl. Abb. ) mit Produktion neuer Viruspartikel und Auflösung (Lyse) der Wirtszellen wurden besonders intensiv an T-Phagen wie T4 ( vgl. Abb. ) untersucht. Bakteriophagen, die zur Lyse der Bakterien führen, werden virulent (Virulenz) genannt. Berühren Bakteriophagen ein geeignetes Wirtsbakterium, so kommt es zu einer irreversiblen Anheftung der Bakteriophagen an die Bakterienoberfläche (Adsorption). Die Wirtsspezifität wird durch bestimmte Rezeptorsubstanzen bewirkt, die in der Zellwand (Bakterienzellwand) lokalisiert sind. Einige Bakteriophagen heften sich auch an Zellanhänge, wie Geißeln (Bakteriengeißel) oder Pili, an. Nach der Adsorption wird die DNA in die Wirtszelle injiziert (Penetration;vgl. Abb. ), die Proteinhülle bleibt außerhalb der Zelle – was zuerst 1952 durch M. Chase und A.D. Hershey gezeigt wurde. Die Synthese von Bakterien-DNA wird nach der Infektion sofort eingestellt, Bakterien-RNA- und -Protein-Synthese kommen wenig später zum Stillstand. Dafür wird der Syntheseapparat der Zelle in den Dienst der Bakteriophagen-Vermehrung gestellt. Als erstes treten die sog. frühen Proteine (frühe Gene) auf, Enzyme, die für die Replikation der Bakteriophagen-DNA notwendig sind und die Expression der übrigen Bakteriophagen-Gene (Genexpression) regulieren. Bald nach Beginn der DNA-Replikation kommt es zur Synthese der späten Proteine, der Strukturproteine von Bakteriophagen-Kopf und -Schwanz und zum Ende der Latenzzeit von Lysozym oder Endolysinen, die später zur Freisetzung der neuen Bakteriophagen notwendig sind. In der Reifung vereinigen sich DNA und die Strukturproteine zu den kompletten Bakteriophagen-Partikeln (assembly;Genwirkketten I). Schließlich brechen die Bakterienzellen, die mit Lysozym aufgeweicht wurden, durch den osmotischen Druck explosionsartig auf, und die neugebildeten Bakteriophagen (je nach Bakteriophagen-Stamm zwischen 20 und mehreren hundert Partikeln pro infizierter Zelle) werden freigesetzt (Lyse;Bakteriolyse). Bei manchen Bakteriophagen erfolgt die Freisetzung ohne Lyse der Wirtszelle durch Penetration durch die Zellwand (Bakteriophagen fd, Qβ und andere). – Die temperenten (gemäßigten) Bakteriophagen können nach Infektion einer Bakterienzelle einen alternativen Entwicklungsweg (Lysogenie) einschlagen, der nicht zur Lyse und Bakteriophagen-Produktion, sondern zur Lysogenisierung der Zelle führt. Dabei wird die Bakteriophagen-DNA als Prophage entweder in das Genom der Zelle integriert und mit dem Bakterienchromosom repliziert oder autonom als Prophagen-Plasmid vermehrt und jeweils bei der Zellteilung auf die Tochterzellen weitergegeben. Bakterien, die einen Prophagen tragen, werden als lysogene Bakterien bezeichnet. Unter bestimmten Bedingungen oder in seltenen Fällen spontan kommt es zur Aktivierung (Induktion) des Prophagen, der dann den lytischen Vermehrungsweg einschlägt. Untersuchungen zur Lysogenie sind hauptsächlich mit den Coliphagen λ (Lambda-Phage) und Mu (Mu-Phage) sowie mit den Phagen P1 und P2 durchgeführt worden (Myoviren). Bei Phagen wie λ erfolgt die Insertion der Prophagen-DNA durch ortsspezifische Rekombination nur an eine oder wenige spezifische Stellen des Bakteriengenoms, während bei Phagen wie Mu zufällige Integrationsstellen vorliegen. Bei Phagen wie P1 persistiert die Prophagen-DNA als Plasmid. Der Besitz eines Prophagen macht die Zelle gegen die Infektion mit einem gleichartigen Phagen immun. Für diese Immunität sind phagenspezifische Repressorproteine verantwortlich, die die Vermehrung des vegetativen Phagen verhindern (beim Coliphagen λ das Produkt des cl-Gens, der λ-Repressor). Sie unterdrücken auch das Ausbrechen des Prophagen aus dem Bakterienchromosom und regulieren damit das lysogene Phagen-Wirt-Verhältnis. Faktoren (wie Ultraviolett), die zur Lyse eines vorher lysogenen Bakteriums führen, inaktivieren den Repressor. – Die Genetik und Molekularbiologie des λ-Phagen sind besonders detailliert untersucht worden. Die dadurch gewonnene Kenntnis ermöglichte es, diesen Bakteriophagen als Vektor zur molekularen Klonierung von DNA zu entwickeln. Der Phage M13 (Inoviren, einzelsträngige DNA-Phagen) hat ebenfalls als Klonierungsvektor große praktische Bedeutung erlangt, da er die Produktion einzelsträngiger DNA ermöglicht. Die in der Familie Leviviridae zusammengefaßten Bakteriophagen wie fr, MS2 und Qβ besitzen mit nur 4 Genen eine der einfachsten Genomorganisationen, die eine autonome Virusreplikation ermöglicht (Leviviren, einzelsträngige RNA-Phagen). Schon d'Hérelle hatte die Idee, Bakteriophagen zur Behandlung von Bakterieninfektionen einzusetzen. Die damaligen Versuche blieben aber erfolglos. Heutzutage wird dieser Therapieansatz wieder aufgegriffen, da er eine Möglichkeit zur Therapie antibiotikaresistenter Keime bieten könnte. Bakteriocine, Femtoplankton, F-Pili, Fraenkel-Conrat (H.), Klug (A.), Leben, Lederberg (J.), Lipopolysaccharid, Replikation, Sanger (F.), Smith (M.); Bakteriophagen I
Bakteriophagen II
E.S.
Lit.:Klaus, S., Krüger, D.H., Meyer, J.: Bakterienviren. Jena 1992.
Bakteriophagen Verlauf der Biosyntheseprozesse in Escherichia coli nach Infektion mit dem Bakteriophagen T 4. Nach dem Eindringen der Phagen-DNA lassen sich in künstlich aufgebrochenen Bakterienzellen für eine gewisse Zeit (Eklipse oder Latenzzeit, siehe unten) keine Bakteriophagen nachweisen. Beginnt das Freisetzen neuer Bakteriophagen deutlich später als das Auftreten reifer Bakteriophagen im Bakterium, so wird der Zeitabschnitt bis zum Auftreten der ersten reifen Bakteriophagen in der Zelle als Eklipse und bis zum Auftreten neuer Bakteriophagen im Medium als Latenzzeit bezeichnet. |
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