Synthetische Phagen: Bakterienkiller aus dem Genbaukasten

Das ist die Zukunft. Eine Patientin kommt in die Praxis, das Team nimmt Abstriche oder eine Blutprobe, schickt diese zur Sequenzierung. Wenig später der Bescheid: Ein Bakterium, immun gegen viele Antibiotika, treibt sein Unwesen. Ein Algorithmus konstruiert ein optimales Virus gegen diesen Keim, schickt dessen genetischen Bauplan an eine Firma. Die stellt den synthetischen Bakteriophagen im Labor her und schickt ihn per Kurier zur Praxis. Nur einen Tag nach dem ersten Besuch beginnt die Behandlung.
Das könnte zumindest die Zukunft sein: Bakterien tötende Viren maßgeschneidert hergestellt wie ein modernes Medikament. Der Ansatz soll die Probleme der Bakteriophagen lösen, die zwar seit Jahren als potenzielle Wunderwaffe gegen Infektionen gelten, dieses Versprechen aber nicht einlösen konnten. Bisher nämlich sind sie schwierig einzusetzen, teuer und nicht immer zuverlässig – das Erbe ihrer Herkunft aus der Natur. In der Umwelt gesammelt, einzeln auf ihre Wirksamkeit getestet und individuell verabreicht, passen sie nicht so recht in die Abläufe der Medizin. Moderne Gentechnik soll sie nun in gezielt hergestellte Werkzeuge verwandeln. Doch auf dem Weg dorthin liegen noch zahlreiche wissenschaftliche und regulatorische Hürden.
Die Idee, Phagen als Therapie gegen bakterielle Infektionen zu nutzen, ist älter als die gezielte Anwendung von Antibiotika. Als allerdings Alexander Fleming in den 1930er Jahren die Bedeutung des Penizillins erkannte und damit das Zeitalter der antibiotischen Wirkstoffe einläutete, schienen bakterielle Infektionen so gut wie besiegt. Die Bakterienviren gerieten in Vergessenheit. Zumindest fast.
Doch das Image der Antibiotika als Heilsbringer bröckelte in den vergangenen 20 bis 30 Jahren empfindlich. Schuld daran ist ein eigentlich normaler Teil der Evolution. Wo die Wirkstoffe systematisch Bakterien töten, haben jene Keime einen Vorteil, die aus irgendwelchen Gründen weniger empfindlich sind. Antibiotika und Mechanismen dagegen gibt es seit Jahrmillionen – als Teil des Konkurrenzkampfes der Mikroben untereinander. Die Bakterien haben Strategien entwickelt, um Wirkstoffe an der Zellmembran abzuweisen, sie aus den Zellen herauszuschleusen oder ihren Stoffwechsel so umzugestalten, dass er keine Angriffsfläche mehr bietet. Der menschliche Antibiotikaeinsatz macht diese Eigenschaften zum biologischen Hauptgewinn. Die Zahl der multiresistenten Krankenhauskeime wie Staphylococcus aureus (MRSA) steigt, gegen sie wirkt kaum ein marktübliches Antibiotikum mehr.
Das große Versprechen der Phagen
Seither erlebten die Phagen eine Renaissance, besonders in der öffentlichen Wahrnehmung. In einigen osteuropäischen Ländern, vor allem in Georgien und Russland, waren Forschung und Anwendung der Bakterienviren über die Jahrzehnte weitergelaufen. Nun interessiert man sich auch im Westen wieder für die Organismen. Denn die Bedrohung durch antibiotikaresistente Krankheitserreger wächst. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt eine Liste solcher Keime, die bei der Resistenzentwicklung besonders erfolgreich sind, unter ihnen Staphylococcus aureus, Klebsiella pneumoniae und Pseudomonas aeruginosa. Passenderweise nennt die WHO diesen Steckbrief Kleinstkrimineller ESKAPE, ein Akronym aus den Namen der besonders fiesen Erreger.
Bereits heute sterben weltweit Millionen Menschen an Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen, laut einer 2024 veröffentlichten Studie im Fachmagazin »The Lancet« allein 1,14 Millionen im Jahr 2021. Die Fachleute prognostizieren, dass resistente Krankheitserreger bis 2050 mehr als 39 Millionen Todesfälle verursachen könnten.
Hier kommen Phagen wieder ins Spiel, denn sie töten auch Bakterien, die gegen Antibiotika resistent sind. Zudem gelten sie als robust. Man kann sie in Aerosolen vernebeln und inhalieren, in die Blutbahn injizieren und mittels Creme oder Salbe auf die Haut auftragen.
Der große Vorteil der Phagen ist, dass sie ganz spezifisch eine Spezies oder sogar nur einen bestimmten Stamm einer Bakterienart befallen. Während breit – also gegen viele unterschiedliche Keime – wirkende Antibiotika einen erheblichen Teil der Darmflora niedermetzeln, konzentrieren sich Bakteriophagen auf »ihre« Wirtsbakterien. So können sie gezielt einen krank machenden Keim entfernen, ohne den Rest der Bakteriengemeinschaft in Mitleidenschaft zu ziehen. Sie verursachen nicht nur weniger unangenehme Nebenwirkungen wie Durchfall, sondern erzeugen auch viel langsamer Resistenzen.
Diese hohe Wirtsspezifität ist jedoch zugleich ein Fluch. Denn im Gegensatz zu Breitband-Antibiotika sucht man »Breitband-Phagen« vergebens. Erreicht eine Person mit einer lebensbedrohlichen Infektion die Klinik, bleibt kaum Zeit, um erstens den Keim zu bestimmen, der sein Unwesen treibt, und zweitens einen passenden Phagen zu suchen. Und da man sie bisher auf gut Glück aus der Umwelt aufsammeln muss, kann es durchaus sein, dass bisher kein Virus gegen einen bestimmten Krankheitserreger bekannt ist.
Ein Allzweckwerkzeug für die Biotechnik
Forscherinnen und Forscher arbeiten deshalb daran, Phagen-Baupläne gezielt zu verändern. Sie wollen die Bakterien-Viren so umprogrammieren, dass sie außer ihrem eigentlichen Wirt auch andere Bakterien erkennen. So müsste man ein geeignetes Virus nicht mühsam suchen und isolieren, sondern könnte es einfach bauen. Das verspricht einerseits schnellere, zuverlässigere Therapien. Andererseits könnte es Phagen zu einer Art hochspezifischem Allzweckwerkzeug für die Mikrobiologie machen.
An solchen Techniken tüfteln zum Beispiel Forschende am Institut für Lebensmittel, Ernährung und Gesundheit (IFNH) der ETH Zürich. Der Mikrobiologe Martin Loessner entwickelte bereits vor rund 30 Jahren ein Verfahren, mit dem er Listerien – potenziell gefährliche Lebensmittelkeime – zum Leuchten brachte. Dafür konstruierte er Listeria-Phagen, die nach dem Andocken neben ihrer eigenen DNA auch Gene für ein Enzymsystem injizierten, das mit Hilfe des Proteins Luciferase einen Leuchtstoff produziert. Listerien – und nur die – gaben Licht ab und waren so einfacher nachzuweisen als bisher. Man bezeichnet solche Viren, die bestimmte Bakterien markieren, oft ohne sie zu töten, als Reporterphagen.
Einsatzgebiete für synthetische Phagen
Das bekannteste Anwendungsbeispiel für die künstlichen Viren ist die Medizin. Maßgeschneiderte Phagen gehören zu den aussichtsreichsten Kandidaten gegen multiresistente Erreger. Bei Nutztieren wäre der Einsatz der Phagentherapie ebenfalls denkbar, auch, um den enormen Gebrauch von Antibiotika zu reduzieren – der gleichermaßen Resistenzen bei Bakterien fördert.
In der Lebensmittelbranche könnten designte Phagen gegen Listerien eingesetzt werden. Diese bekannten Krankheitserreger, die etwa in Rohmilch, Fleisch oder küchenfertig abgepackten Salaten ihr Unwesen treiben, können eine Sepsis auslösen. Eine Spezialität von Listeria monocytogenes ist es, sich mit einem zähen Schleim zu umgeben, der sie vor Desinfektionsmitteln schützt. Phagen, die mit bestimmten Enzymen ausgestattet wurden, lösen diesen Biofilm auf und töten gleichzeitig die Keime.
Veränderte Phagen lassen sich als gentechnisches Transportvehikel einspannen. Beispielsweise können sie antibiotikaresistenten Bakterien ein Gen einpflanzen, das die Resistenzgene quasi überstimmt und die Erreger so wieder empfindlich gegen den Wirkstoff macht.
Außerdem könnten sie – mit entsprechenden Bindeproteinen ausgestattet – gezielt Krebszellen infizieren und tumortötende Wirkstoffe injizieren. Oder sie transportieren Gen- und Immuntherapeutika sowie Impfstoffe.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert zudem das Projekt NeuroPhage. Fachleute entwickeln Phagen, die nichtinvasiv aktivierbare Nanopartikel ins Gehirn liefern. Diese Partikel senden elektrische Impulse aus, wenn sie mit Ultraschall oder Licht aktiviert werden, und stimulieren dadurch Nervenzellen. Das soll Bewegungsstörungen bei Parkinsonbetroffenen lindern.
Die Molekularbiologie liefert schon lange die passenden Werkzeuge, um sich das perfekte Bakterienvirus zu basteln. Die Schweizer Forschenden nutzen diese Werkzeuge unter anderem, um den Phagen in Funktionshäppchen zu zerlegen, wie Klötze in einem Legobaukasten, aus dem man sich nach Belieben bedienen kann. Im Jahr 2019 etwa präsentierten sie einen genetisch veränderten Listeria-Phagen, der deutlich mehr Listerien-Stämme erkennt als der wilde Vorfahre. Die Arbeitsgruppe hatte die Rezeptorbindungsproteine so verändert, dass aus dem Einzel- ein Generalschlüssel wurde. »Synthetische Phagen sind ein Schritt in der Entwicklung zu mehr Effektivität«, sagt Loessner.
Im Jahr 2023 entwickelte das Team um Loessner und Samuel Kilcher Bakteriophagen, die häufige Erreger von Harnwegsinfektionen erkennen, etwa Escherichia coli sowie Enterococcus- und Klebsiella-Arten. Erneut nutzte es Viren, die die Zielbakterien mit Hilfe des Luciferase-Systems zum Leuchten brachten. Harnwegsinfekte gehören mit geschätzt bis zu 400 Millionen Erkrankungen pro Jahr weltweit zu den häufigsten Gründen, warum Ärztinnen und Ärzte Antibiotika verschreiben. Sie gelten deshalb als Resistenztreiber.
Vor der Behandlung steht die Diagnose
»Bevor wir Patienten mit Harnwegsinfekten phagentherapeutisch behandeln, müssen wir aber erst einmal wissen, welche Bakterien diese Person hat und ob dieser Stamm überhaupt vom Phagen erkannt wird«, erklärt Loessner. Die Bakterien müssen dazu kultiviert und mit dem potenziellen therapeutischen Phagen versetzt werden. Bilden sich im Bakterienrasen bakterienfreie Zonen, so genannte Plaques, zerstört der Phage diesen Stamm. Das nimmt etwa drei bis vier Tage in Anspruch. Viel Zeit also, in der ein Patient im Zweifel ein Breitband-Antibiotikum erhält, um die schmerzhafte Infektion zu kontrollieren.
Hinzu kommt, dass das Verfahren nicht zwangsläufig den besten Phagen liefert. »Die Plaquebildung ist ein umstrittenes Mittel, um die Effektivität von Phagen zu beurteilen«, sagt der Mikrobiologe. Schließlich könnten Phagen Bakterien auch töten, ohne dass dabei neue Phagen entstehen, die wiederum weitere Bakterien infizieren. Und nur die würde man als Plaque sehen, nicht jedoch jene, die möglicherweise den Wirt viel effizienter töten.
Dabei sei es durchaus erwünscht, Phagen zu entwickeln, die sich nicht im Bakterium vermehren. So ließe sich vermeiden, dass Patienten vermehrungsfähige Phagen ausscheiden, die wiederum über Abwässer in die Umwelt gelangen und dort Resistenzen begünstigen. Denn natürlich stehen auch Bakterien den Viren nicht hilflos gegenüber; sie entwickeln Strategien, damit Phagen nicht mehr binden oder Phagen-Erbgut im Zellinneren unschädlich gemacht wird – übrigens die ursprüngliche Funktion der »Genschere CRISPR-Cas«.
Ein diagnostischer Test mit Reporterphagen sei aus diesem Grund genauer – und um einiges schneller. Rund zwei Stunden dauert es laut Loessner von der Urinabgabe des Patienten bis zum Ergebnis. Der gleiche Phage, nun aber ohne das Reportergen, kann dann in der Therapie eingesetzt werden. Diagnose und Therapie in einem Abwasch. Entsprechende klinische Studien laufen am Universitätsspital Zürich.
Das Problem mit der Zulassung
Zugelassen sind therapeutische Phagenpräparate aktuell allerdings weder in Deutschland noch in der EU. Da die Bakteriophagen alle aus der Natur kommen, scheitern sie an den hohen regulatorischen Hürden für Biologika, also biologische Arzneimittel. Die Bedenken: Die Protokolle, die aus der Umwelt gewonnenen Phagen für eine Therapie herzustellen, seien nicht ausreichend standardisierbar, eine hohe Qualität und Reinheit der Produkte sei darum kaum zu erreichen. Theoretisch müsste nämlich jeder wirtsspezifische Phage einzeln geprüft und zugelassen werden.
Ein im Jahr 2023 veröffentlichter Bericht zur Technikfolgenabschätzung listet weitere Probleme auf. Zumindest anfangs kämen Phagentherapien hauptsächlich für solche Patientinnen und Patienten in Frage, die nicht auf Antibiotika ansprechen. Das sind in der Summe zwar viele Menschen, betrachtet auf jeden Erreger und Phagen aber vergleichsweise kleine Gruppen. Das macht die einzelne Therapie extrem teuer. Zugleich kritisiert der Bericht jedoch die regulatorischen Herausforderungen, die »auf unflexiblen, weitgehend auf eindeutig definierte, unveränderliche Wirkstoffkombinationen und Standardtherapien ausgerichteten Zulassungsrahmen in der EU« beruhen.
Für Deutschland empfiehlt der Bericht einen Blick nach Belgien. Dort können Ärzte und Ärztinnen routinemäßig für einzelne Personen Phagentherapien verordnen, die dann in spezialisierten Apotheken individuell hergestellt werden. In Deutschland dagegen ist eine Anwendung therapeutischer Phagen nur als so genannter individueller Heilversuch möglich, wenn etablierte Therapien erfolglos verliefen.
Bisher fehlen der Phagentherapie auch gute Wirksamkeitsnachweise durch große klinische Studien. Zumindest an der Studienlage arbeiten verschiedene Forschungseinrichtungen. Im Projekt Phage-4cure beispielsweise testen Forschende einen inhalierbaren Phagen-Cocktail. Er soll Patienten und Patientinnen mit zystischer Fibrose helfen. Betroffene haben häufig zähen Schleim in ihrer Lunge, der nicht nur das Atmen erschwert, sondern zudem Krankheitserregern Nährboden bietet. Einer dieser Keime ist Pseudomonas aeruginosa. In Mäusen gelang es der Virusmischung, die Bakterien einzudämmen. Klinische Studien an Betroffenen starteten im Herbst 2023.
Neue Techniken machen Hoffnung
Ebenfalls auf Pseudomonas aeruginosa haben es Phagentherapien abgesehen, die in verschiedenen Phasen der klinischen Testung stecken, etwa des National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) sowie der US-amerikanischen Biotech-Firmen BiomX und Armata Pharmaceuticals. In den kommenden Jahren wird sich zeigen, wie erfolgreich diese Phagen sind. Diese Studien nutzen wildtypische Phagen, also solche, die nicht gentechnisch verändert wurden.
Synthetische Phagen sehen sich ihrerseits hohen Hürden bei der Zulassung gegenüber. Dass sie prinzipiell funktionieren, zeigten Forschende aus den USA und Großbritannien bereits im Jahr 2019 in einer Einzelfallstudie. Ein 15-jähriger Patient mit zystischer Fibrose litt unter einer Infektion mit Mycobacteroides abscessus, der gegen zahlreiche Antibiotika resistent war. Das Forschungsteam veränderte drei Phagen so, dass der Keim den Phagen wehrlos gegenüberstand und sie ihn effektiver zerstörten. Nach einem halben Jahr Therapie war der Patient den multiresistenten Erreger los.
»Es ist ein ständiges Armdrücken zwischen Virus und Wirt«Katharina Höfer, Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie
Fachleute sind sich einig darin, dass Designer-Phagen das Potenzial haben, die Medizin zu verändern. »Bio-engineerte« Phagen sind unempfindlicher gegen Umwelteinflüsse, erkennen Wirtsbakterien breiter, überwinden deren Resistenzmechanismen effizienter oder töten schneller und effektiver. Oder sogar alles gleichzeitig.
Dabei helfen auch lernende Algorithmen, die mit Daten tausender Phagen-Bakterien-Interaktionen gefüttert werden. Solche Modelle könnten vorhersagen, wie effektiv und effizient ein konstruierter Phage ein bestimmtes Bakterium erkennt und tötet.
Daten wie diese stammen aus der Grundlagenforschung, etwa wie genau Phage und Wirt auf molekularer Ebene interagieren. Das erforscht Katharina Höfer mit ihrer Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg: Wie dockt der Bakteriophage an, wie umgeht er Resistenzmechanismen, wie tötet er, und wo liegen all diese Informationen im Viren-Erbgut? »Wir suchen einzelne Bausteine, die es dem Phagen erlauben, seinen Wirt lahmzulegen«, sagt die Biotechnologin.
Bakteriophagen-Bausätze aus der Natur
Diese Bausteine könnten eine Blaupause sein für einen synthetischen Phagen. Man kann einzelne Teile hinzufügen, andere herausnehmen, ersetzen – Phagen-Lego quasi. Am Ende stünde ein für den jeweiligen Zweck optimiertes Virus, das in all seinen Eigenschaften und Bestandteilen klar definiert ist. Damit fiele eine ganz entscheidende regulatorische Hürde weg, die für natürliche Phagen bisher kaum überwindbar war.
Auch die Herstellung der Viruslösungen, bisher ein Zulassungshindernis, soll bald den Sicherheitsanforderungen der Behörden genügen. Phagen brauchen derzeit ihr Wirtsbakterium, um sich zu vervielfältigen. Vermehrungsfähige Viren und krank machende Bakterien in einem Herstellungsprozess für potenzielle Humantherapeutika, das macht die Regulierungsinstanzen nervös. Abhilfe bieten zellfreie Transkriptions-Translations-Systeme (TXTL).
Dabei landet die – möglicherweise zuvor von einem Algorithmus konstruierte – DNA in einem Reaktionsgefäß mit isolierten Enzymen und Ribosomen, die den Erbgutstrang automatisch ablesen und dann in mRNA und Proteine umsetzen. Ebenfalls automatisch setzt sich der Phagenkopf zusammen, packt die DNA hinein, Phagenschwanz dran, fertig – ganz ohne Wirtszelle. Was klingt wie Sciencefiction, ist längst Realität. Das Münchner Biotech-Start-up Invitris beispielsweise bietet auf diese Art und Weise hergestellte Phagen an.
Auf dem Weg hin zur breiten Anwendung liegen aber noch einige Stolpersteine. Die Bestandteile der zellfreien Phagenfabrik etwa stammen ursprünglich aus Bakterien. Diese Phagen-Vermehrungsmaschinerien unterscheiden sich jedoch von Spezies zu Spezies, die im Labor verwendeten Enzyme und Komplexe eignen sich deshalb nicht automatisch für jeden Phagen. Doch das Prinzip der biotechnischen Phagenfabrik funktioniert und bringt die Vision der vollständig künstlichen Bakterienkiller einen weiteren Schritt näher.
Katharina Höfer mahnt jedoch, man dürfe – bei aller durchaus angebrachten Euphorie für synthetische Phagen – die wilden Verwandten nicht vergessen. Sicher könne man per Baukasten synthetische Phagen kreieren, indem man ihnen neue Eigenschaften einpflanze. »Aber wir können nur reinpacken, was wir kennen«, sagt Höfer. Und die beste Designerin sei immer noch die Natur, die ständig neue Dinge erfinde. »Es ist ein ständiges Armdrücken zwischen Virus und Wirt«, stellt die Biotechnologin fest. Eine Koevolution, die rasant ablaufe.
Mit »Natur« meint sie dabei allerdings keine rauschenden Bäche am Waldrand. Phagen kommen dort vor, wo ihre Wirte leben. Wenn man einen passenden Bakteriophagen für den Krankenhauskeim Staphylococcus aureus suche, müsse man Klinik-Abwässer durchleuchten, sagt Höfer. »Phage hunting« lautet der Fachbegriff für die systematische Jagd nach neuen Phagen. Auch die genetisch veränderten Phagen, die bei der Therapie des 15-jährigen Patienten mit zystischer Fibrose zum Einsatz kamen, hatten ihren eigentlichen Ursprung in der Natur. Sie basierten auf Bakteriophagen, die unermüdlichen Virenjägern ins Netz gingen – in Bodenproben und einer verschimmelten Aubergine.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.