Streitgespräch zur Grünen Gentechnik: »Wir sollten möglichst viel Chemie durch Genetik ersetzen«
Herr Potthof, warum stehen Sie der Grünen Gentechnik kritisch gegenüber?
Potthof: Rund um den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen gibt es bis heute verschiedene ungeklärte Fragen. Sie betreffen die Ökologie, die Nahrungsmittelsicherheit, den Verbraucherschutz, die Sozioökonomie, zum Beispiel den Patentschutz, und reichen bis hinein in die Kapitalismuskritik.
Gab es in Ihrer Vergangenheit einen konkreten Punkt, an dem Sie zum Schluss gekommen sind, der Grünen Gentechnik gegenüber kritisch eingestellt sein zu müssen?
Potthof: Bis vor gut zehn Jahren wurde die gentechnisch veränderte Maissorte MON810 in Deutschland angebaut. Dieser so genannte Bt-Mais bildet ein Protein aus, das für Insekten giftig ist und mit Pollen hinweggetragen wird. Es beeinflusst die Umwelt über den Acker hinaus. Wie will man das regulieren? Das war für mich eine interessante Frage. Im Gen-ethischen Netzwerk stellten wir dazu Informationen bereit, um möglichst vielen Menschen die Debatte zu ermöglichen. Wir organisierten Veranstaltungen und wurden zu Diskussionsveranstaltungen eingeladen. Und wir haben Bürgerinitiativen unterstützt. An dieser Schnittstelle sehen wir uns immer noch.
Herr Weigel, können Sie verstehen, dass große Teile der Bevölkerung die Grüne Gentechnik ablehnen, wie Umfragen ergeben haben?
Weigel: Auf jeden Fall. Ich habe schon als Jugendlicher in den 1970er Jahren hautnah den Streit um die Lagerung von Atommüll mitbekommen und kann mich noch an die sehr unkritischen und technikgläubigen Positionen der damaligen Atomenergiebefürworter erinnern. Vieles von dem, was seinerzeit versprochen wurde, trat nicht ein, und manche mögen das nun bei der Grünen Gentechnik ebenfalls befürchten. Allerdings weiß auch jeder: Das Ergebnis von Umfragen richtet sich danach, wie die Fragen formuliert werden. Stellt man die Menschen vor die Wahl »Tomate oder Tomate mit Extra-Gen«, dann ist es doch normal, dass sie sich für das Erste entscheiden.
Laien empfinden Gentechnik als unnatürlich. Dabei verändert die herkömmliche Pflanzenzucht das Erbgut viel stärker: Beim Kreuzen werden ganze Genome neu arrangiert; konventionelle Mutagenese mit ionisierenden Strahlen oder Chemikalien erzeugt massenweise Zufallsmutationen. Sind die Risiken herkömmlicher Zucht eigentlich nicht größer als die der Gentechnik?
Potthof: Die konventionellen Züchtungsarten werden wir in jedem Fall weiterhin brauchen und somit auch ihre möglichen Gefahren einkalkulieren müssen. Der Europäische Gerichtshof hat betont, bei der Mutagenese mit Chemikalien und Strahlung werde angenommen, sie sei sicher. Diese Annahme gilt schon seit Jahrzehnten.
Können Sie das nachvollziehen?
Potthof: Ja. Denn ich sehe keinen Anhaltspunkt, konventionell gezüchtete Pflanzen für unsicher zu halten. Mutationszüchtungen werden seit den 1950er Jahren verstärkt angewendet, und seitdem ist nichts Schlimmes passiert. Die offensichtlich nicht gut entwickelten Pflanzen werden aussortiert, und aus dem Rest züchtet man durch Rück- und Weiterkreuzung konkrete Linien. Zwischen dem Bestrahlen oder der chemischen Behandlung und der kommerziellen Nutzung liegen oft fünf bis zehn Generationen.
Aber entstehen bei der ungezielten Mutagenese nicht zahlreiche Zufallsmutationen, die sich im Phänotyp gar nicht bemerkbar machen, deshalb nicht herausgekreuzt werden und somit am Ende auch in der kommerziell genutzten Pflanze vorhanden sind?
Potthof: Natürlich. Doch die Mutagenese entspricht im Grunde einer intensiveren Form äußerer Einflüsse, mit denen Pflanzen ohnehin konfrontiert sind. Es gibt eine natürliche radioaktive Hintergrundstrahlung, die in manchen Regionen stärker, in anderen geringer ausfällt. Die Sonne sorgt für eine UV-Belastung, die sich mutagen auswirkt. Und es gibt chemische Einflüsse in der Umwelt. Pflanzen und andere Organismen können damit in gewisser Weise umgehen. Sie haben Mechanismen entwickelt, um ihre DNA zu schützen.
Das moderne Genome Editing, beispielsweise mit CRISPR-Cas, funktioniert aber doch viel zielgerichteter als die herkömmliche Mutagenese.
Potthof: Auf den ersten Blick sieht dies vielleicht so aus. Doch auch bei diesen Methoden können die Eingriffe in die DNA erheblich sein. Im Moment können wir zu Sicherheitsaspekten nur bedingt Aussagen treffen. Wir plädieren nicht für ihr Verbot. Es geht uns darum, ob und wie diese Produkte reguliert werden sollen. Meiner Meinung nach sollen sie nach dem Gentechnikrecht der EU reguliert werden. So können wir uns die einschlägigen Dokumente anschauen, die bei den Behörden eingehen, und in zehn Jahren vielleicht sehen, was passiert ist und ob unsere Bedenken überflüssig waren. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist die angebliche Präzision der nur wenige Jahre alten CRISPR-Cas-Technologie lediglich eine Annahme.
Weigel: Diese Debatte geht von Anfang an in die falsche Richtung. Es wird vollkommen unterschätzt, wie »gefährlich« normale Pflanzen sind. Wenn wir dieselben Maßstäbe anlegen würden wie an synthetische Pestizide, dürften wir kaum noch etwas essen. Apfelkerne enthalten Zyanide, in Pfeffer findet sich der Gefahrstoff Capsaicin, rohe Bohnen enthalten giftiges Phasin, in grünen Kartoffeln bildet sich schädliches Solanin, bitter schmeckende Zucchini enthalten toxische Cucurbitacine. Hätte Monsanto diese Lebensmittel, die wir täglich zu uns nehmen, erfunden, würde man längst nach einem Verbot rufen. Pflanzen bilden Toxine aus, weil sie nicht gefressen werden wollen. Und vor diesem Hintergrund ist selbst die normale Pflanzenzucht nicht unbedenklich. Im Gegenteil: Sie ist sogar deutlich gefährlicher als Gentechnik oder Genome Editing, weil man genetische Varianten miteinander mischt und dabei etwas erzeugt, was vorher nicht vorhanden war. Man kann nur schlecht vorhersagen, was dabei passiert.
Potthof: Aber mit der Gentechnik haben wir bislang weniger Erfahrung als mit konventionellen Nutzpflanzen. Daher halte ich es für sinnvoll, dass entsprechend manipulierte Organismen speziell behandelt und gekennzeichnet werden.
Gentechnisch veränderte Pflanzen oder Futtermittel werden in vielen Ländern schon seit sehr langer Zeit eingesetzt, ohne dass negative gesundheitliche Folgen aufgefallen wären.
Potthof: Dass gentechnisch veränderte Pflanzen tatsächlich als Lebensmittel für den Menschen genutzt werden, kommt bisher extrem selten vor: in den USA – in Südafrika mit Abstrichen –, aber dann hört es auch schon auf.
Weigel: Milliarden Tiere erhalten seit Jahrzehnten gentechnisch veränderte Futtermittel. Es existieren keine Hinweise, dass darunter ihre Gesundheit gelitten hätte. Ansonsten hätte dies in epidemiologischen Untersuchungen längst auffallen müssen. Es gibt bis jetzt keinerlei Beweise dafür, dass von gentechnisch veränderten Pflanzen für Mensch oder Tier direkte gesundheitliche Gefahren ausgehen.
Potthof: Es finden sich immer wieder Fütterungsstudien, in denen negative Effekte auftraten. Zudem gab es wiederholt methodisch unsaubere Unbedenklichkeitserklärungen, etwa Sicherheitsüberprüfungen an Hühnern, von denen auf den Menschen geschlossen wurde. Es liegen vielleicht keine Beweise, doch deutliche Hinweise auf Gesundheitsgefahren vor.
Laut einer viel zitierten Metastudie, die mehr als 1700 Publikationen einschloss, geht die Nutzung von GV-Pflanzen nicht mit erhöhten Sicherheitsrisiken einher.
Potthof: Sehen Sie sich bitte die dort zitierten Artikel an. Dann werden Sie feststellen, dass sich darunter viele Meinungsartikel befinden oder Arbeiten, die überhaupt nicht geeignet sind, Aussagen über Lebensmittel- und Umweltsicherheit zu treffen.
Weigel: Von Seiten der Gentechnikkritiker werden viele Un- und Halbwahrheiten verbreitet, etwa vom französischen Molekularbiologen Gilles-Eric Séralini. Ich habe ihn angeschrieben und um die Rohdaten seiner – mittlerweile zurückgezogenen – Studie von 2012 gebeten, laut der ein gentechnisch veränderter Mais beziehungsweise das Herbizid Glyphosat angeblich Tumoren bei Ratten hervorruft. Die Daten hat er mir verweigert. Und das zeigt mir, dass der Mann ein Scharlatan ist.
Umgekehrt heißt es, dass »goldener Reis«, der von Wissenschaftlern entwickelt und patentfrei zur Verfügung gestellt wird, auf Grund seines Provitamin-A-Gehalts möglicherweise die Gesundheit von Millionen Menschen erhalten helfen könnte. Dennoch wird er abgelehnt. Warum?
Potthof: Es ist zweifelhaft, ob dieser Reis als technisch funktionierende Nutzpflanze tatsächlich existiert. Eine entsprechende Publikation musste zurückgezogen werden, weil die Untersuchung an Kindern erfolgte, deren Eltern nicht richtig über die Pflanzen informiert wurden; die beteiligten Forscher wurden deshalb von anderen wissenschaftlichen Tätigkeiten eine Zeit lang ausgeschlossen. Eine andere zeigte zuletzt, dass das darin enthaltene Provitamin A nicht stabil ist. Es gibt Schwierigkeiten, gesichert nachzuweisen, dass dieser Reis von Nutzen ist. Wie viel muss man angesichts der geringen Vitaminkonzentration essen? Als der Reis erfunden wurde, gab es Berechnungen, nach denen der Verzehr von mehreren Kilo Reis täglich erforderlich ist.
Weigel: Das ist äußerst irreführend, weil dabei behauptet wurde, die gesamte empfohlene Tagesdosis an Vitamin A müsse aus dem Reis kommen. Schon ein Bruchteil dieser Dosis reicht nämlich aus, um ein Erblinden durch Vitamin-A-Mangel zu vermeiden. Ich finde es Menschen verachtend, dass der goldene Reis noch nicht auf dem Markt ist. Genauso wie es Menschen verachtend ist, dass die Aktivistin Vandana Shiva sagt, die insektenresistente Auberginensorte Bt Brinjal dürfe in Indien nicht auf den Markt kommen. Der Einsatz von Bt Brinjal führt erwiesenermaßen dazu, dass viel weniger Pestizide eingesetzt werden, weshalb sich Kleinbauern viel seltener damit vergiften. Aber darüber können wir vermutlich endlos streiten. Produktiver fände ich es, darüber zu debattieren, welche ökologischen Auswirkungen gentechnisch veränderte Pflanzen haben könnten – zum Beispiel, wenn aus GV-Raps Herbizidresistenzen freigesetzt werden. Das ist zu wenig untersucht worden, meine ich.
Müssen Züchtungen schärfer auf diesen Aspekt hin geprüft werden?
Weigel: Möglicherweise ja. Allerdings müssten wir dann überall die gleichen Maßstäbe anlegen. Manche Kollegen möchten, dass jede neue und damit auch konventionell erzeugte Züchtungen auf ökologische und gesundheitliche Gefahren hin überprüft werden. Dann sollten wir jedoch den Menschen reinen Wein einschenken und eingestehen: Neue Sorten auf den Markt zu bringen, wird viel länger dauern; es wird schwieriger werden, mit einer sich rasch verändernden Umwelt mitzuhalten; und Lebensmittel dürften teurer werden. Sind uns die potenziellen Gefahren wichtiger als die Möglichkeiten, die wir uns nehmen, wenn wir Technologie nicht anwenden? Dann können wir das als Gesellschaft natürlich so entscheiden. Die Wissenschaft sollte immer nur Empfehlungen aussprechen.
Brauchen wir Grüne Gentechnik, um künftig Schritt zu halten mit den Umweltveränderungen, die etwa im Zuge des Klimawandels auf uns zukommen?
Potthof: Es geht eher darum, landwirtschaftliche Systeme stabil und klimaresilient zu machen. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel wird schon seit vielen Jahren der Ruf nach trockentoleranten Sorten laut. Dabei wissen wir im Moment noch gar nicht genau, was uns der Klimawandel abverlangen wird: Mehren sich Wetterextreme, oder wird es bei uns tatsächlich trockener? Und deshalb ist es schwierig, auf der Ebene der Pflanzenzüchtung so vehement anzusetzen. Unlängst ist in Südafrika die bislang einzige Sorte, die wirklich ernsthaft per Gentechnik auf Trockentoleranz hin verändert wurde, krachend durch das Zulassungsverfahren gefallen – weil Monsanto diese Trockentoleranz nicht nachweisen konnte. Insgesamt ist auf dem Gebiet praktisch kein Fortschritt erkennbar.
»Bt-Pflanzen führen zu starker Resistenzbildung bei Insekten«
Christof Potthof
Weigel: Dass sich das Klima beschleunigt verändert, wissen wir, und ich höre von Züchtern, dass wir dann auch schneller in der Entwicklung neuer Sorten sein müssen. Trockentoleranz ist aber in der Tat eines der schwierigsten Merkmale, weil so viele Eigenschaften daran beteiligt sind. Das durch Genome Editing zu verändern, wird kompliziert. Einfacher ist es beispielsweise, Sorten zu entwickeln, die früher blühen.
Ich finde auch, dass es viel wichtiger ist, eine nachhaltige Landwirtschaft auf die Beine zu stellen. Wir sollten dazu möglichst viel Chemie durch Genetik ersetzen. Bt-Pflanzen etwa reduzieren den Einsatz synthetischer Pestizide auf dem Acker, weil diese Pflanzen viel seltener besprüht werden müssen.
Potthof: Allerdings wird das Insektengift in Bt-Pflanzen kontinuierlich exprimiert, und das führt zu einer sehr starken Resistenzbildung bei den Insekten. Den Einsatz von Sprühmitteln hingegen kann man davon abhängig machen, ob tatsächlich Schädlingsbefall vorliegt. Das hat durchaus Vorteile. Zudem bleibt das Bt-Toxin von gentechnisch veränderten Pflanzen nicht einfach in den Gewächsen: Es geht weiter in die Futtermittelproduktion und in die Umwelt. Diese Folgen gehören in eine Risikobewertung und müssen in der Regulierung aufgefangen werden. Denn die Bt-Toxinmenge, die die Pflanzen eines Bt-Maisfelds übers Jahr hinweg produzieren, beträgt ein Vielfaches der Menge, die Bauern üblicherweise spritzen.
Weigel: Im Gegensatz zu synthetischen Pestiziden ist Bt-Toxin ein Gift, das zielgenau nur auf Insekten wirkt. Dass die Resistenzbildung zur Sorge Anlass gibt, stimmt aber natürlich. Das ist jedoch ein generelles Problem, nicht bloß bei Bt-Toxin, sondern auch bei konventionellen Pestiziden.
Wissenschaftler, die an der Grünen Gentechnik arbeiten, beklagen eine starke Verschlechterung des Forschungsumfelds in Deutschland und Europa. Sie hätten beispielsweise keine Möglichkeit mehr, Pflanzen im Freiland zu testen. Stimmt das?
Weigel: Bei meiner eigenen Forschung kann ich schon von einer Behinderung sprechen. Ich möchte ökologische Interaktionen in der Natur verstehen und dazu Genetik einsetzen, einzelne Gene ausschalten und diese Pflanzen draußen testen. Das kann ich in Deutschland nicht. Es ist zwar auf dem Papier erlaubt, doch der Aufwand ist dermaßen groß, dass er de facto einem Verbot gleichkommt. Um die erforderlichen Dokumente für einen Freilandversuch mit einer genomeditierten Pflanze zusammenzutragen, braucht eine promovierte Person etwa ein Jahr. Das ist ein Standortnachteil und wird uns in Deutschland und Europa wissenschaftlich schaden.
Potthof: Na ja! Wir hören immer von Firmen, sie würden weggehen und ihre gentechnikrelevanten, pflanzenbiologischen Aktivitäten in die USA verlagern. Die BASF hat um das Jahr 2012 diesen Schritt tatsächlich vollzogen und ihre Pflanzenbiotechnologie in die Staaten verlegt – inklusive der wissenschaftlichen Arbeitsplätze in dreistelliger Anzahl. Doch drei, vier Jahre später hat das Unternehmen seine Pflanzenbiotechnologie global um die Hälfte reduziert. Offensichtlich war nichts von dem eingetreten, was sich die BASF von dem freundlichen Regulierungsumfeld versprochen hatte. Darüber wird aber kaum geredet. Später kaufte die Firma ein umfangreiches Portfolio von Bayer – etablierte Technologien rund um glufosinatresistente Pflanzen. Natürlich lässt sich mit herbizidtoleranter Soja viel Geld verdienen in Nord- und Südamerika. Doch ist das auch ein nachhaltiges Landwirtschaftskonzept für uns? Wohl eher nicht.
Weigel: Herr Potthof, wo gibt es denn mehr Probleme mit herbizidtoleranten Unkräutern, in Europa oder in Nordamerika? In Europa! Und warum? Weil hier das Land teurer und die Landwirtschaft intensiver ist; es werden mehr Hilfsmittel eingesetzt und mehr Herbizide verspritzt. Und deshalb treten bei uns mehr Probleme mit Toleranzbildung bei Unkräutern auf, auch ohne den weit verbreiteten Einsatz von herbizidresistenten Nutzpflanzen. Die Diskussion geht einfach am Thema vorbei. Und das gilt ebenso im Hinblick auf Genome Editing: Momentan nutzen die großen Firmen es, um genetische Veränderungen zu finden, die einen positiven Effekt haben. Aber weil sie wissen, dass sie die Genomeditierung nicht einsetzen können, behandeln sie die Pflanzen hinterher mit klassischer Mutagenese – Strahlen und Chemikalien –, um genau dieselbe Veränderung wiederzufinden. Und das kommt dann auf den Markt.
Eine häufige Kritik an der Grünen Gentechnik lautet, deren Patente seien in der Hand weniger multinationaler Konzerne. Denn GV-Pflanzen zu entwickeln und durch die Zulassung zu bringen, ist mit hohen Kosten und großem Zeitaufwand verbunden. Könnte das Genome Editing mit CRISPR-Cas, das relativ schnelle und kostengünstige Erbgutveränderungen erlaubt, dieser Monopolisierung entgegenwirken?
»Herkömmliche Pflanzenzucht ist gefährlicher als Gentechnik«
Detlef Weigel
Weigel: Die ursprünglichen Patente für die Technologie liegen nicht bei Konzernen, sondern bei akademischen Einrichtungen. Diese verlangen sehr viel Geld dafür, was ich überaus kritisch sehe. Daher geht die Frage an die Politik: Muss man bestimmte grundlegende Patente und Erfindungen nicht allen zugänglich machen? In der Medizin ist das so. Sollte es nicht ebenso im Bereich der Züchtung gelten? Ebenso meine ich: Derjenige, der sagt, mit CRISPR-Cas herbeigeführte genetische Veränderungen seien spontanen Mutationen gleichzusetzen, darf auch keinen Patentschutz für CRISPR-editierte Sorten verlangen. Wir haben in Europa den Sortenschutz, und ich finde, dass dieser reichen muss.
Potthof: Es gab verschiedene Initiativen, auch innerhalb der Wissenschaft, die versucht haben, dem Patentwesen in Bezug auf die Methoden zu Leibe zu rücken. Soweit ich weiß, ist das alles bisher grandios gescheitert, weil die Wissenschaft keinen Konsens findet. Deshalb gründet man lieber mit Unterstützung der Wissenschaftsorganisationen und ihrer Patentagenturen Start-ups, um sich unternehmerisch zu betätigen und nach einigen erfolgreichen Jahren von großen Firmen übernommen zu werden. Dann landet das früher oder später doch bei den mächtigen Konzernen, einschließlich der Patente für Genome Editing. CRISPR-Cas wird sich niemals als das gentechnische Werkzeug des kleinen Mannes etablieren. Der Zug ist lange abgefahren – und daran hat die Wissenschaft ihren Anteil.
Ungeachtet ihrer strengen Gentechnikauflagen führt die EU jährlich etwa 35 Millionen Tonnen gentechnisch veränderte Futtermittel ein, insbesondere Soja. Von den damit erzeugten tierischen Produkten ernähren wir uns täglich. Wie passt das zusammen?
Potthof: Im Laden sieht man normalerweise nicht, dass Produkte von Tieren stammen, die gentechnisch verändertes Futter erhalten haben. Die Nutztierwirtschaft in Deutschland und Europa hat sich sehr stark abhängig gemacht von Soja. Einer der Gründe dafür war die BSE-Krise, wegen der das Verfüttern tierischer Proteine etwa an Rinder verboten wurde. Sobald Kunden im Laden die Möglichkeit haben, als gentechnikfrei gekennzeichnete tierische Produkte zu kaufen, tun sie das. Das gilt – zum Beispiel – für Deutschland, aber ebenso für die USA.
Wir sind im Moment an einem Punkt, wo fünf verschiedene Herbizidtoleranzen in eine Sojapflanze eingeführt worden sind. Das würde man mit konventioneller Züchtung nie hinbekommen, das geht nur mit Gentechnik. Die Gentechnik stellt uns diese Art von Pflanzen bereit, was zur Folge hat, dass man fünf verschiedene Herbizide als Tankmischung auf Abermillionen Hektar Anbaufläche ausbringt. Hinsichtlich der Risikobewertung ist das ein absolutes Desaster, weil man Kreuzwirkungen erhält, Cocktaileffekte und so weiter.
Ist das nicht generell ein Problem modernen Wirtschaftens und des Konsumentenverhaltens?
Weigel: Es gibt nichts umsonst. Wenn wir Sorten nutzen, die weniger ertragreich sind, dann brauchen wir mehr landwirtschaftliche Nutzfläche und können beispielsweise weniger Wälder erhalten. Das Soja-Problem ist nicht nur eines der Gentechnik; es geht hier um viel grundlegendere Dinge, bei denen wir als Gesellschaft entscheiden müssen, was wir wollen. Wollen wir billiges Fleisch oder nicht? Genügen unsere Tierschutz- und Arbeitsschutzgesetze? Muss Deutschland das drittgrößte landwirtschaftliche Exportland der Welt sein?
Herr Potthof, unter welchen Bedingungen wäre die Nutzung Grüner Gentechnik für Sie in Ordnung?
Potthof: Was sollte ich gegen eine gute gentechnisch veränderte Pflanze, die mehr Ertrag bringt, trockentolerant ist, keine Herbizid- und Pestizidbehandlung braucht, denn bitteschön einzuwenden haben? Aber bislang sehe ich das nicht. Ich habe mir hunderte Dossiers von gentechnisch veränderten Pflanzen angeschaut und verfolgt, welche Gewächse tatsächlich den Sprung auf den Markt geschafft haben. Bis jetzt fällt das alles sehr dürftig und vage aus. Wenn jetzt manche so tun, als würde sich mit Genome Editing plötzlich alles ändern, macht mich das skeptisch. Ich warte lieber die konkreten Ergebnisse ab, statt auf die Versprechungen zu vertrauen.
Herr Weigel, ist die Wissenschaft mitschuldig am schlechten Ruf der Grünen Gentechnik, speziell in Deutschland?
Weigel: Absolut, ja. Wir können auf Gentechnik verzichten. Doch das bedeutet dann mehr Landverbrauch – was sich allerdings wiederum durch geringeren Fleischkonsum kompensieren ließe. Das Thema ist also komplex und muss dementsprechend so kommuniziert werden. Einfach nur zu suggerieren, ohne Grüne Gentechnik würde die Welt verhungern, was manche Kollegen zumindest in der Vergangenheit leider getan haben, ist und bleibt kontraproduktiv.
Das Gespräch führten die »Spektrum«-Redakteure Daniel Lingenhöhl und Frank Schubert.
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