Lexikon der Biologie: Archaebakterien
Archaebakterien [von *archae –, griech. baktērion = Stäbchen], Archaeobakterien, Archaea (früher auch Metabakterien oder Mendocutes genannt), Bezeichnung für die Vertreter einer Abstammungslinie der Prokaryoten, die wie "normale" Bakterien (Eubakterien) aussehen, sich aber von dieser zweiten prokaryotischen Abstammungslinie in wesentlichen Eigenschaften unterscheiden wie diese ihrerseits von den Eukaryoten. Die Abtrennung der Archaebakterien von den "normalen" Bakterien und die Einordnung der Lebewesen in die beiden prokaryotischen Ur-Reiche Archaebakterien und Eubakterien sowie in das Ur-Reich der Eukaryoten wurden von Woese und Mitarbeitern (1977/78) vorgeschlagen. Heute werden die drei phylogenetischen Entwicklungslinien (Domänen) als Eucarya, Bacteria sowie Archaea bezeichnet ( vgl. Abb. ) und die Archaea in zwei Hauptlinien (Euryarchaeota und Crenarchaeota; vgl. Tab. ) unterteilt (Woese, 1987). Aufgrund genetischer Bestimmungen (Klonierung von 16S-rRNA) von Proben aus heißen Quellen des Yellowstone-Parks (USA) wurden jüngst (1994) noch nicht kultivierbare Archaebakterien-Stämme nachgewiesen, die möglicherweise einer dritten Abstammungslinie ( vgl. Abb. ) zugeordnet werden müssen (als Korarchaeota benannt). Die Aufteilung der Archaebakterien erfolgt aufgrund der Ähnlichkeit bzw. der Unterschiede in der Zusammensetzung der Oligonucleotide und/oder der Basensequenz der 16S-rRNA (SAB-Wert). Der molekulare Stammbaum, der durch den mathematisch-statistischen Vergleich der Nucleotidsequenzen aufgestellt wurde, konnte in den letzten Jahren durch viele biochemische und strukturchemische Merkmale gestützt werden. – Wichtige Unterscheidungsmerkmale zwischen Archaebakte- rien und Bacteria (Eubakterien) sind: 1) die Zusammensetzung und Anordnung der Bausteine in Untereinheiten der ribosomalen RNA (hauptsächlich 16S-rRNA). 2) der Aufbau der DNA-abhängigen RNA-Polymerase und von Komponenten der Translation. 3) Die Zellwände der Archaebakterien enthalten kein Murein (Peptidoglykan) und sind sehr unterschiedlich zusammengesetzt (z. B. Pseudomurein, Glykoproteine, Proteine). Der andere Aufbau der Zellwände und die molekularen Eigenschaften eines Teils des genetischen Systems, das Ähnlichkeit mit dem eukaryotischer Zellen aufweist, zeigen sich auch darin, daß verschiedene Antibiotika keine Hemmwirkung haben (z. B. Penicillin, Chloramphenicol, Kanamycin, Rifampicin), das Diphtherietoxin dagegen wirksam ist. 4) Die Membranlipide enthalten anstelle der Fettsäureglycerinester normaler Bakterien Glycerinether mit verzweigten Ketten (Isoprenoidlipide). 5) Archaebakterien weisen besondere Stoffwechselwege auf und enthalten zum Teil ungewöhnliche Coenzyme. – Die Bezeichnung "Archaebakterien" soll darauf hinweisen, daß die in diesem Ur-Reich zusammengefaßten Prokaryoten Merkmale besitzen, die den Bedingungen während der Frühzeit des Lebens (Leben) auf der Erde ( ä chemische und präbiologische Evolution ) angepaßt scheinen und die schon archaischen prokaryotischen Zellen eigen gewesen sein können. Die Archaebakterien, die teilweise stoffwechselphysiologisch als Relikte aus der Urzeit des Lebens, aber nicht als Vorfahren der Eubakterien angesehen werden, wachsen meist unter ungewöhnlichen, heute als extrem angesehenen Lebensbedingungen. So werden einige Formen in vulkanisch aktiven Zonen gefunden, kochenden Schwefelquellen in "Schwarzen Rauchern" (black smokers; schwefeloxidierende Bakterien) der Tiefsee, aus denen metallsulfidreiches Wasser ausströmt, und brodelnden Schlammlöchern, in denen der Säure-(pH-)Wert unter 2,0 liegt (z. B. Sulfolobus, Acidianus, Pyrodictium;Sulfolobales, thermophile Bakterien). Andere Formen wachsen im Faulschlamm (Methanbakterien,methanbildende Bakterien) oder auf glühenden Kohlehalden (Thermoplasma). In Salzseen und Salinen leben die salzliebenden Halobakterien. Einige Archaebakterien sind auch Symbionten im tierischen Verdauungstrakt oder finden sich als Endo- bzw. Episymbionten in und auf Protozoen (methanbildende Bakterien). Der Stoffwechsel kann aerob, fakultativ anaerob oder obligat anaerob sein. Es gibt obligat oder fakultativ chemolithoautotrophe Arten (Chemolithotrophie), die aerob Schwefel (So) oxidieren oder anaerob So als Elektronenakzeptor anstelle von O2 nutzen und H2 als Elektronendonor verwerten (thermophile Bakterien). Chemoorganoheterotrophe Formen (Chemoorganotrophie) können anaerob auch So als Elektronenakzeptor bei der Oxidation organischer Substrate verwerten. Halobakterien besitzen neben ihrer heterotrophen Lebensweise auch die Fähigkeit, in einer einfachen Photosynthese mit Hilfe des Farbstoffs Bakteriorhodopsin (Purpurmembran) Stoffwechselenergie zu gewinnen. Die autotrophen Arten fixieren normalerweise CO2 im Acetyl-CoA-Weg oder im reduktiven Citratzyklus (Kohlendioxidassimilation). Einige Formen können auch molekularen Stickstoff (N2) assimilieren. – Die Archaebakterien gewinnen für die Grundlagenforschung und angewandte Forschungsrichtungen wegen ihrer besonderen Stoffwechselwege und der Fähigkeit, bei hohen Temperaturen und unter stark sauren Bedingungen zu wachsen, immer stärker an Bedeutung. Sie könnten auch weitere wichtige Informationen über die Evolution der Organismen liefern (Evolution der Eucyte). Biotechnologisch werden Methanbakterien zur Gewinnung von Biogas genutzt. Aufgrund der Besonderheiten vieler Archaebakterien ist es sehr wahrscheinlich, daß sie in Zukunft als Quelle neuartiger Natur- und Wirkstoffe dienen werden. Besonders interessant ist dabei auch die Gewinnung hitzestabiler Enzyme. So wird die aus Thermus aquaticus gewonnene hitzestabile DNA-Polymerase (Taq-DNA-Polymerase) für viele genetische Untersuchungen in der PCR-Technik (Polymerase-Kettenreaktion) eingesetzt. Das von Halobakterien gebildete photochemisch aktive Pigment Bakteriorhodopsin könnte für verschiedene optisch-analytische Anwendungen eingesetzt werden. Bakterienmembran, Gram-Färbung.
G.S.
Lit.:Kates, M., Kushner, D.J., Matheson, A.T. (eds.): The Biochemistry of Archaea (Archaebacteria). Amsterdam 1993.
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