Lexikon der Biologie: Essigsäurebakterien
Essigsäurebakterien, Essigbakterien, Acetobacteraceae, Familie obligat aerober, gramnegativer, stäbchenförmiger Bakterien ( ä vgl. Abb. ) in der α-Unterklasse der Proteobacteria, früher nur mit den Gattungen Acetobacter („echte“ Essigsäurebakterien) und Gluconobacter (= Acetomonas); heute aufgrund molekulargenetischer Merkmale in über 10 Gattungen ( ä vgl. Tab. ) unterteilt. Essigsäurebakterien zeichnen sich dadurch aus, daß sie im Atmungsstoffwechsel aus Zuckern und Alkoholen durch eine unvollständige OxidationKetone und Säuren bilden, die vorübergehend (durch die Peroxidanten) oderals Endprodukt (durch die Suboxidanten) ausgeschieden werden. Besonders wichtig ist die Umwandlung von Ethanol in Essigsäure ( ä vgl. Abb. ; keine Gärung!). Acetobacter-Arten (0,6–0,8 × 1,0–3,0 μm groß) sind unbeweglich oder beweglich mit peritrich angeordneten Geißeln. Gluconobacter (0,6–0,8 × 1,5–2,0 μm groß) ist im Gegensatz zu Acetobacter, wenn beweglich, polar begeißelt; er oxidiert Glucose zu Gluconat (Name!), bildet keinen Film auf Nährlösungs-Oberflächen und zeigt nur geringe Aktivität bei der Umwandlung von Ethanol zu Essigsäure, die er (wie Milchsäure) nicht wieder abbaut. Essigsäurebakterien zeigen eine hohe Säuretoleranz (pH-Wert ca. 4,5, zum Teil tiefer) und geringe peptolytische Aktivität. Sie kommen auf Pflanzen in zuckerreichen, gärenden Säften, vergesellschaftet mit Hefen und anderen Mikroorganismen, vor, z.B. auch im Teepilz (Kombucha-Pilz). Früher waren sie als Verderber von alkoholischen Getränken (z.B. Bier, Wein) gefürchtet; in bestimmten Bieren sind sie jedoch erwünscht (z.B. in belgischem Lambic Bier). Wirtschaftlich wichtig sind Essigsäurebakterien zur Produktion von Essig (Essigsäure), auch (zusammen mit anderen Mikroorganismen) in asiatischen, säurehaltigen Würzmitteln wie „Reisessig“ (Genmai Su), verschiedenen anderen organischen Säuren und in der Biotransformation, z.B. zur Herstellung von Ascorbinsäure. Die Gattung Acetobacter wird in mehrere Arten und viele Unterarten unterteilt und heute teilweise in andere Gattungen eingeordnet (vgl.Tab.). Acetobacterxylinus bildet auf Flüssigkeiten eine Kahmhaut mit Cellulosefibrillen (Bakteriencellulose) aus. Gluconacetobacterdiazotrophicus kann molekularen Stickstoff fixieren und wächst symbiontisch in Zuckerrohr. – Die Essigbildung ist schon über 4000 Jahre bekannt. In Mesopotamien und Ägypten wurden Bier und Wein in offenen Gefäßen stehengelassen, um ein würziges Getränk zu erhalten. Griechen und Römer kannten spezielle Essiggefäße für den Tisch. Persoon erwähnte bereits 1822, daß die Kahmhaut auf sauergewordenem Wein ein lebender Organismus ist, dem er den Namen Mycoderma gab. F.T. Kützing (1837) gelang die Isolation von Essigbildnern aus Essigansätzen; er hielt sie aber für eine Art Alge (Ulvina aceti). Die ersten systematischen Untersuchungen über den Stoffwechsel der Essigbildner wurden von L. Pasteur (1862–1868) gemacht; er hielt sie aber für Pilze und nannte sie nach Thompson (1852) Mycodermaaceti. Erst 1872/1873 wurde erkannt, daß die Essigbildner den Bakterien zuzurechnen sind. E.C. Hansen (1879) klassifizierte diese Bakterien in die Arten Bacteriumaceti, Bacteriumpasteurianum und Bacteriumkützingianum. – Für die biologische Herstellung von Essig werden mehrere Verfahrensweisen angewandt; als Substrat dienen schwach-ethanolhaltige Maischen, von Wein oder anderen alkoholhaltigen Getränken. Es kann auch Getreide- oder Kartoffelsprit oder technischer Alkohol verwendet werden. Alle historischen Verfahren waren Oberflächenverfahren (ohne zusätzliche Luftzufuhr), bei denen die Essigsäurebakterien in flachen Schalen, heute in offenen Fässern, auf verdünntem Wein oder anderen alkoholischen Getränken als Decke (= Essigmutter = Mycodermaaceti = Acetobacterxylinus) wachsen und Ethanol zu Essigsäure oxidieren (z.B. im sog. Orléans-Verfahren). Oberflächenverfahren ergeben besonders aromatische Essigsorten. Bereits im 17. und 18. Jahrhundert, aber auch heute noch, werden die Bakterien im großen Umfang auf festem Trägermaterial (Holzroste, Astwerk, Holzspäne, heute meist Buchenholzspäne) fixiert, um die Oberfläche zu vergrößern (Fessel- Fesseloxidations-, Spanbildner-, Generator-, Schützenbach-Verfahren). In diesen Verfahren werden die normalerweise auf Buchenholzspänen immobilisierten Essigsäurebakterien in einem Holzreaktor (Essig-Generator) von oben mit Ethanol-haltigen Lösungen (z.B. verdünntem Wein) berieselt und von unten belüftet. Innerhalb von 3 Tagen entsteht auf dem Boden des Reaktors ein bis zu 12%iger Speiseessig (Essigsäure). Dieses Verfahren dient vorzugsweise zur Herstellung hochwertiger Essigsorten. Die Hauptmenge des im Handel befindlichen Speiseessigs wird jedoch in Submersverfahren (Bioreaktor, Submerskultur), z.B. im Acetator-Verfahren, produziert, in dem die Essigbildung durch die Essigsäurebakterien in Fermentern unter Durchmischung und starker Belüftung stattfindet (Schnellessigverfahren). In diesen Verfahren beträgt die Substrat-Produktausbeute ca. 90%, das entspricht etwa 150 g Essigsäure pro Liter Maische. Störungen der Essigproduktion können durch bestimmte Hefen (Mycoderma vini) hervorgerufen werden, welche die Substrate im Atmungsstoffwechsel verbrauchen. – In die Verwandtschaftsgruppe der Acetobacteraceae wird heute auch die Gattung Acidiphilium eingeordnet, deren acidophile Arten einen sehr unterschiedlichen Energiestoffwechsel aufweisen; es sind z.B. schwefeloxidierende Bakterien(Acidiphilium acidophilum) oder aerobe phototrophe Bakterien(Acidiphilium rubrum). Biotechnologie.
G.S./J.O.
Essigsäurebakterien
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