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Lexikon der Geographie: Geomantik

Geomantik, Geomantie, geomancy, Erdweissagung. Seit der Mitte des 19. Jh. wird der Begriff Geomantik von westlichen Wissenschaftlern für das chinesische Feng-shui (Wind und Wasser) oder das koreanische pungsu verwendet. Unter Feng-shui versteht man die Kunst oder Wissenschaft, für Städte, Häuser, Verkehrswege und Grabstätten die richtigen Standorte so auszusuchen, dass diese mit den Lebenskräften der Natur (ch'i) im Einklang sind.
Spätestens seit dem 2. Jh. v. Chr. haben die Chinesen die Erde als lebenden Organismus betrachtet, vergleichbar mit dem Körper des Menschen. Von der Erde wird angenommen, dass sie atmet und Adern hat, durch die das ch'i, die Lebenskraft (Lebensessenz) fließt. Weil die Lebenskraft der Erde nicht an jedem Standort gleich groß ist, müssen Geomanten den besten Ort aussuchen. Das Gegenteil von ch'i ist sha, ein schädlicher Wind (eine schädliche Ausdünstung). Sha kann durch ungünstige landschaftliche Konfigurationen, gerade Linien oder schlechte Konstellationen von Kompassrichtungen entstehen.
Die Lebenskraft hat zwei Ströme, die als Yang und Yin bezeichnet werden. Yin beherrscht die Erde, es symbolisiert das Weibliche, Dunkle, Weiche, Kalte, Stillstehende oder Destruktive. Yang beherrscht den Himmel, es repräsentiert das Männliche, die Kräfte des Lichts, das Feuer, Warme, Harte, Bewegliche und Konstruktive. Berge, Hügel, hohe und steile Böschungen sind männlich (Yang); Täler, Schluchten und runde Höhenrücken sind weiblich (Yin). Yang und Yin wirken komplementär aufeinander und müssen im richtigen Verhältnis (z.B. 3:2) zueinander stehen. Die besonders günstigen Standorte, welche sehr hohe Lebensenergien (ch'i) haben und deshalb Glück, Gesundheit und Reichtum bringen, liegen dort, wo sich Lebensadern der Erde kreuzen und wo männliche und weibliche Geländeformen (Ying und Yang) in einander übergehen.
Aus Sicht der Feng-shui Meister hat das Wasser die größte Bedeutung, weil es das ch'i festhält. Die zweitwichtigste Bedeutung hat der Wind, der nicht zu stark wehen sollte, weil sich sonst das ch'i verflüchtigt. Änderungen in der Relation zwischen Wind und Wasser werden für Erfolge und Misserfolge verantwortlich gemacht.
Während die energiespendenden Adern in Windungen angelegt sind, folgen die negativen Kräfte (sha) geraden Linien. Bergketten, Straßen oder Flüsse, die in geraden Linien verlaufen, haben negative Einflüsse und sollten nicht auf einen in Frage kommenden Standort zeigen. Wenn der Grundriss einer Stadt aus geraden Linien bestand (chinesische Stadt), musste zumindest die Umgebung so beschaffen sein, dass die ungünstigen Einflüsse gerader Linien aufgehoben wurden.
Einen ungünstigen Standort kann man durch die Anlage eines Grabens (Teichs) oder das Pflanzen von Baumreihen aufwerten. Zu den wichtigsten Regeln gehörte u.a., dass Gebäude auf geneigtem, gut entwässertem Gelände angelegt werden, dass Berge, Hügel oder Bäume auf der Nordseite des Hauses liegen sollten, damit sie Schutz vor den schädlichen Winden aus dem Norden bieten, dass der Eingang in eine Stadt oder in ein Haus immer im Süden liegt, dass Geländeformen, die Yang repräsentieren, immer im Osten und jene, die für Yin stehen, im Westen liegen sollten. Der Süden war, als Quelle der Wärme, des Lichtes und Lebens, die bevorzugte Himmelsrichtung, während mit dem Norden wegen der kalten Winde eine negative Konnotation verbunden war. Deshalb sind alte chinesische Karten nach Süden orientiert. Um sich vor den unheilbringenden Winden aus dem Norden schützen zu können, sollte eine Stadt im Norden von einem Berg umgeben sein oder ein Haus auf der Nordseite einen Bambushain haben.
Vom Geomanten oder Feng-shui-Meister wird erwartet, dass er aufgrund seiner intuitiven Fähigkeiten und seiner Kenntnis bestimmter Theorien aus der Anordnung und Form von Bergen, Hügeln, Geländekanten, Ebenen, Flüssen und dem Lauf der Gestirne etc. herauslesen kann, in welchem Maße ein Standort von den positiven und negativen Kräften der Natur beeinflusst wird.
Früher hätte kein chinesischer Bauer ein Haus gebaut oder eine Grabstätte errichtet, ohne den Rat von Geomanten eingeholt zu haben. Die Geomantik übte in ganz Ostasien einen großen Einfluss auf das Siedlungsbild und die Landschaftsgestaltung aus.
Als die europäischen Kolonialmächte in China gerade verlaufende Straßen, Eisenbahnen und Telegraphenleitungen bauten, hat dies wegen der Verletzung von Feng-shui-Regeln zahlreiche Konflikte ausgelöst. Nach der kommunistischen Revolution (1949) wurde in China Feng-shui bekämpft. Die Dienste von Feng-shui-Experten werden jedoch heute wieder in Anspruch genommen, selbst beim Bau von Hochhäusern.

PM

Lit: [1] DEGE, E. (1984): Geomantische Raumwahrnehmung und Stadtplanung in Ost-Asien. In: Verhandlungen des Deutschen Geographentags, Bd. 44, S.268-281. – Stuttgart. [2] FEUCHTWANG, St. (1974): An anthropological analysis of Chinese geomancy. – Vientiane. [3] SKINNER, St. (1982): The Living Earth Manual of Feng-Shui. – London.

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Grafik:
Mathias Niemeyer (Leitung)
Ulrike Lohoff-Erlenbach
Stephan Meyer

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