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Lexikon der Geographie: Gerinnebettmuster

Gerinnebettmuster, Flussbettmuster, kleinräumigere Ausprägung der Erscheinungsform des Gerinnegrundrisses. Es beschreibt und erklärt das Muster der Abflussbahnen auf einem Talboden. Dieses entwickelt sich unter den gegebenen Rahmenbedingungen aus dem Prozesswirkungsgefüge Fluvialerosion, Fluvialtransport und Fluvialakkumulation. Letztere resultieren aus dem Zusammenspiel der Faktoren Relief (v.a. Tallängsprofil, Talquerprofil), Flussfracht, Gestein (v.a. Gesteinslagerung und -härte), Klima, Vegetation, menschliche Einflussnahme und mögliche Rückkopplungsmechanismen. Grundsätzlich muss unterschieden werden zwischen einfadigen und mehrfadigen Gerinnebetten bzw. einfadigen Flussläufen und mehrfadigen Flussläufen. Einfadige können gestreckt (gestreckter Flusslauf) oder mäandrierend (mäandrierender Flusslauf) ausgebildet sein. Mehrfadige können als verwilderter Flusslauf oder als verzweigter Flusslauf vorliegen ( Abb. 1). Auf einem breiten Talboden, d.h. ohne seitliche Beeinflussung der Hänge, bleiben Gerinne einfadig-gestreckt, wo nur wenig oder keine Seitenerosion auftritt. Dagegen zieht ein mäandrierender Fluss (Mäander) lokale Ufererosion, insbesondere an den Prallhängen, nach sich. Verwilderung beinhaltet häufige Uferverlagerungen mit Zerstörung von Biegungen, sodass die Gerinne breit und seicht sind. Verzweigte Gerinne haben i.A. stabile Ufer und mehrere Einzelgerinne, die sich in ihrer Lage nur wenig verändern. Die Abbildung 2 gibt Unterscheidungskriterien für Gerinnebettmuster wieder. Ein Umschwung von Gerinnen ohne laterale Migration, also gestreckten und inaktiv gekrümmten Gerinnen, zu aktiven mäandrierenden oder verwilderten findet statt bei: a) zunehmender Strömungsenergie, die aus zunehmendem Abfluss bei gleichbleibendem Längsgefälle, zunehmendem Längsgefälle bei gleichbleibendem Abfluss oder einer Kombination beider resultiert; b) einem zunehmenden Quotienten von Gerinnebreite zu Gerinnetiefe bei bordvollem Abfluss, der i.A. mit einer zunehmenden Ufererodierbarkeit und/oder einer zunehmenden Geröllfracht zusammenhängt; c) einer zunehmenden Menge und Korngröße der Flussfracht.
Rosgen stellte 1994 eine Fließgewässerklassifizierung von 41 Gerinnetypen vor, die, ausgehend vom Gerinnebett- und Ufermaterial, folgende gerinnegeometrischen Größen berücksichtigt ( Abb. 3): a) den Quotient aus maximaler Überflutungsbreite zu Gerinnebreite bei bordvollem Abfluss (Üb/Gb) als ein Maß für die seitliche Begrenzung der Gerinne durch die Talbodenbreite; b) die Sinuosität, die die Intensität des Mäandrierens wiedergibt und sich über den Quotienten aus Gerinnelänge zu Tallänge oder Gerinnelängsgefälle zu Tallängsgefälle berechnen lässt; c) den Quotient aus Gerinnebreite zu Gerinnetiefe bei bordvollem Abfluss (Gb/Gt), der die Gerinneform zusammenfasst; d) Gefälle des Wasserspiegels in Prozent (Wg) als Maß für die Strömungsenergie.
Die überwiegende Zahl aller Gerinne fällt in die Typen A bis D der von Leopold 1994 aufgestellten Kategorisierung:
A=einfadig-gestreckte Gerinne, B=einfadig-schwach gekrümmte Gerinne, C=einfadig-mäandrierende Gerinne, D=mehrfadig-verwilderte Gerinne. Die selteneren restlichen Typen E bis G beschreiben die folgenden Gerinne: E=Gerinne, die bei geringem Längsgefälle einfadig mäandrieren, F=Gerinne, die bei geringem Längsgefälle und sehr standfesten Ufern einfadig mäandrieren, G=Gerinne, die bei mittlerem Längsgefälle und sehr standfesten Ufern einfadig-eingetieft verlaufen.
Klassifikationen werden üblicherweise auf typische Gerinneabschnitte bezogen, da bereits ein Fluss mittlerer Lauflänge verschiedene Gerinnetypen aufweisen und ein Wechsel von einem Typ zum anderen abrupt auftreten kann. Die Untersuchung von Gerinnebettmustern momentan noch weitgehend natürlicher, d.h. vom Menschen unbeeinflusster Flüsse ermöglicht ein umfassendes Verständnis der fluvialen Morphodynamik, d.h. der formbildenden Prozesse, in einem Einzugsgebiet. Nach dem Prinzip des Aktualismus ist es darüber hinaus möglich, aus Formen und der sie aufbauenden Sedimente Rückschlüsse auf vorzeitliche Prozesse, Klima- und Abfluss- und Umweltbedingungen zu ziehen. Die Talauen fast aller mitteleuropäischen Flüsse sind heute von vielfältigen direkten und indirekten anthropogenen Einflüssen geprägt. Die Rekonstruktion von Gerinnebettmustern leistet, z.B. über die Entwicklung von Leitbildern, einen wichtigen Beitrag für geplante Renaturierungs- und Revitalisierungsmaßnahmen (Revitalisierung von Gewässerläufen) und für den Hochwasserschutz (Laufform).

OB

Lit: [1] KNIGHTON, D. (1998): Fluvial forms and processes. A new perspective. – London. [2] LEOPOLD, L.B. (1994): A view of the river. – Cambridge. [3] ROSGEN, D.L. (1994): A classification of natural rivers. Catena, 22: 169-199.


Gerinnebettmuster 1: Gerinnebettmuster 1: Klassifikation von Gerinnetypen I.

Gerinnebettmuster 2: Gerinnebettmuster 2: Unterscheidungskriterien von Gerinnebettmustern.

Gerinnebettmuster 3: Gerinnebettmuster 3: Klassifikation von Gerinnetypen II (Üb=max. Überflutungsbreite; Gb=Gerinnebreite bei bordvollem Abfluss; Gt=Gerinnetiefe bei bordvollem Abfluss; Wg=Gefälle des Wasserspiegels).
  • Die Autoren

Redaktion:
Dipl.-Geogr. Christiane Martin (Leitung)
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Grafik:
Mathias Niemeyer (Leitung)
Ulrike Lohoff-Erlenbach
Stephan Meyer

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