Lexikon der Geowissenschaften: Abflußregime
Abflußregime, Flußregime, jahreszeitlicher Verlauf der Wasserführung in einem Fließgewässer. Das Abflußregime wird von einer Vielzahl von Regimefaktoren bestimmt. Der Niederschlag ist zwar der auslösende Regimefaktor, doch kann er so stark von anderen geographischen, klimatologischen, hydrologischen oder anthropogenen Regimefaktoren überlagert sein, daß er sich im Verlauf der Wasserführung nur noch schwer erkennen läßt.
Für eine vergleichende Betrachtung der Abflußregime ist nicht so sehr das zum Durchfluß gelangende Wasservolumen von Bedeutung, vielmehr steht der typische, über ein Jahr auftretende Durchflußgang im Vordergrund. So wurden für viele Flüsse der Erde monatliche Durchflußkoeffizienten zusammengestellt, um ihre Abflußcharakteristika darzustellen. Die zwölf monatlichen Durchflußkoeffizienten eines Jahres werden gebildet durch die Quotienten aus dem mittleren monatlichen Durchfluß und dem mittleren Jahresdurchfluß. Die mittlere jährliche Wasserführung hat den Durchflußkoeffizienten 1,0. Wenn der mittlere jährliche Durchfluß an einem Pegel 500 m3/s und der monatliche Durchfluß für den September 1250 m3/s beträgt, dann beläuft sich der Durchflußkoeffizient des Septembers auf 2,5. In der Regel werden alle zwölf Koeffizienten der Monatsmittelwerte in einem Diagramm dargestellt. Der Verlauf der so gewonnenen Kurven stimmt mit den Diagrammen der absoluten Durchflußwerte überein und ermöglicht aufgrund seiner Dimensionslosigkeit eine bessere Vergleichbarkeit. Jedoch ist bei den einzelnen Flußgebieten zu beachten, daß i.d.R. unterschiedliche Abflußregime an dem mehr oder minder langen Lauf eines Fließgewässers auftreten. Besonders Flüsse, die meridional fließen, durchstreifen ganz unterschiedliche Klimazonen und ändern demzufolge auch ihr Abflußregime. Es ist daher erforderlich, die Lage des Pegels, auf den sich das dargestellte Regime bezieht, genau anzugeben. Geographische Breiten- und Längenangaben können zusätzliche Hinweise geben. Man erhält so eine Gliederung der Flußgebiete in Anlehnung an die großen Klimazonen der Erde. Im folgenden werden einige typische, überwiegend durch klimatische Gegebenheiten verursachte Abflußregime aufgezeigt. Die Koeffizienten wurden aus langjährigen, monatlichen und jährlichen Mittelwerten der Durchflüsse berechnet. Die Beispiele zeigen einfache und komplexe Abflußregime ( Abb. 1 ).
Zu den einfachen Abflußregimen gehören glaziale, nivale und pluviale Regime. Diese drei Untergruppen werden durch Höhenlage, Morphologie sowie durch ihre Lage zum Ozean modifiziert. Hierdurch treten typische Erscheinungsformen früher oder später bzw. ausgeprägter oder weniger ausgeprägt auf. So können beispielsweise früh- und spätnivale Abflußregime entstehen. Alle drei Regimetypen besitzen nur zwei hydrologische Jahreszeiten: eine Hochwasserzeit und eine Niedrigwasserzeit.
Das glaziale Abflußregime wird bei einer Gletscherbedeckung des Einzugsgebietes von mindestens 20% erzeugt. Das Niederschlagsregime wird vollkommen von Rücklage und Aufbrauch des Eises überlagert. Aus dem Abflußregime ist nicht mehr zu erkennen, wann der Niederschlag gefallen ist. Das glaziale Abflußregime ist in ausgeprägter Form gekennzeichnet durch eine extreme Niedrigwasserperiode während der kalten Jahreszeit und Hochwasserabfluß während der Eisschmelze in den Sommermonaten. Der Winterabfluß stammt von den geringen Wasservorräten im Boden, die im März im Bereich der Alpen nahezu aufgebraucht sind. Glaziale Abflußregime sind nicht nur durch den typischen Jahresgang, sondern, insbesondere in den Herbst- und Frühjahrsmonaten sowie in den niederen Breiten ganzjährig, auch durch starke Tagesschwankungen geprägt.
Die Abflußcharakteristika der nivalen Abflußregime werden, ähnlich wie bei den glazialen Abflußregimen, ebenfalls durch Rücklage der Niederschläge, zumeist Schnee, und deren Aufbrauch durch Abschmelzvorgänge gebildet. In Abhängigkeit von Höhenlage und geographischer Lage tritt das nivale Regime als spätnivales, frühnivales bzw. auch als nivales Regime des Berglandes oder des Tieflandes auf. Im Gebirge dringt die Schneeschmelze allmählich von den tieferen zu den höheren Bereichen vor, was i.d.R. zu längeren Zeiten mit erhöhtem Abfluß führt. Extreme Hochwässer sind hier aber sehr selten. In Tiefländern dagegen wird häufig das gesamte Einzugsgebiet vom Temperaturanstieg erfaßt, so daß es hier zu weitaus extremeren Abflüssen kommt. Die Koeffizienten des abflußstärksten Monats liegen i.d.R. über vier.
Die pluvialen Regime, auch Regenregime genannt, werden in ozeanische und tropische Regenregime unterteilt.
Im ozeanischen Regenregime sind Januar bis März die abflußstärksten Monate. Im Spätsommer herrscht dagegen meist Niedrigwasser. Ursache für dieses Verhalten ist zum einen, daß auch im Winter der Niederschlag überwiegend in flüssiger Form fällt, so daß keine Abflußverzögerung durch Schnee eintritt, und zum anderen die hohe Verdunstung während der Vegetationsperiode.
Das tropische Regenregime wird durch die Lage der Regenzeit geprägt. Mit zunehmender Entfernung vom Äquator und damit verbundenem Wechsel von Regenzeit und Trockenzeit infolge der Verschiebung der innertropischen Konvergenz tritt es in ganz unterschiedlicher Form auf. Die abflußstärksten Monate (auf der Nordhalbkugel im Juli, August oder September, auf der Südhalbkugel im Februar, März oder April) entsprechen den gleichzeitigen zenitalen Niederschlagsmaxima. Am Ende der Trockenzeit treten dagegen die Abflußminima auf. In der Nähe des Äquators kann es vielfach zu zwei Abflußmaxima infolge der zweigipfligen, zenitalen Niederschlagskurve kommen. In den Randgebieten der Tropen wachsen die beiden Maxima häufig zu einem Abflußmaximum zusammen.
Die komplexen Abflußregime werden wiederum unterteilt in komplexe Regime ersten und zweiten Grades.
Bei den komplexen Regimen ersten Grades geht das typische Abflußverhalten auf verschiedene Ursachen zurück. Diese Regime können mehrere Maxima und Minima haben. Im allgemeinen ist ihre Wasserführung ausgeglichen und sie können in mehrere Untertypen unterteilt werden: a) Der nivale Übergangstyp hat im Juni ein erstes Maximum, das durch die Schneeschmelze verursacht ist. Ein zweites Maximum tritt häufig Ende des Jahres infolge der Winterregen auf. b) Ebenfalls zwei Maxima und Minima hat das nivo-pluviale Regime. Das erste Maxima (April/Mai) ist i.d.R. höher als das zweite Herbstmaximum. c) Bei dem pluvio-nivalen Regime spielt die Schneeschmelze lediglich eine untergeordnete Rolle. Sie wirkt verstärkend auf die Frühjahrsmaxima, so daß diese meist höher sind als die Herbstmaxima, die nur durch den Niederschlag ausgelöst werden. Insgesamt ist dieses Regime weitverbreitet, allerdings ist es durch eine mehr oder minder ozeanische, kontinentale oder mediterrane Lage unterschiedlich regional ausgeprägt.
Die komplexen Regime zweiten Grades treten praktisch bei allen größeren Flußeinzugsgebieten auf, die den unterschiedlichsten Regimefaktoren ausgesetzt sind. So hat der Rhein zunächst ein glaziales und nivales Regime. Im Unterlauf verstärken sich die ozeanisch geprägten pluvialen Regimefaktoren immer mehr ( Abb. 2 ). Dies bewirkt insgesamt im Unterlauf eine sehr ausgeglichene Wasserführung, die auch wirtschaftlich, z.B. für die Schiffahrt, von erheblicher Bedeutung ist.
Es ist des öfteren versucht worden, die Abflußregime weiter zu unterteilen. Dies trägt jedoch kaum zu einer Übersichtlichkeit bei. Praktisch jedes Fließgewässer hat sein eigenes Regime, das durch die Vielzahl seiner Faktoren festgelegt ist. Im Lauf eines Fließgewässers gelegene Seen können den Durchflußgang stark verändern; i.d.R. werden durch sie Hochwasserspitzen gekappt und der Niedrigwasserabfluß angehoben. [KHo]
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.