Lexikon der Geowissenschaften: Deckenbau
Deckenbau, Strukturstil, der von weiten, flachen Überschiebungen bzw. Decken geprägt ist. Deckenbau in unterschiedlich ausgeprägter Form kennzeichnet alle Orogene. Einzelne weite Überschiebungen waren etwa seit Mitte des 19. Jh. aus den Alpen, den Appalachen und den schottischen Kaledoniden beschrieben worden, aber die Bedeutung dieses Strukturstils für den gesamten Bau von Gebirgen wurde noch nicht erkannt. Ein wichtiger Anstoß kam von M. Bertrand, der im Jahr 1883 bis dahin als Ausdruck von Falten betrachtete Lagerungsverhältnisse in Glarus als Effekt einer flachen Überschiebung mit vielen Kilometern Transportweite deutete ( Abb. 1 ). Danach setzte sich das Konzept des Deckenbaus schnell in den Alpen und in anderen Gebirgen durch. Tektonische Klippen und Fenster (z.B. das von Termier erkannte Tauernfenster) wurden dabei wichtig für die Ermittlung von Überschiebungsweiten und die Rekonstruktion inzwischen großenteils erodierter Decken. Aus dem Bau der Alpen ( Abb. 2 ) wurde die generelle Vorstellung abgeleitet, daß Decken an nach außen verflachenden Überschiebungsbahnen aus einer steil einfallenden "Wurzelzone" ausgequetscht würden. Der tektonische Transport von im Verhältnis zu ihrer Dicke sehr ausgedehnten Gesteinskörpern über weite Entfernungen wurde aber lange Zeit als "mechanisches Paradox" betrachtet. Vielfach wurde angenommen, daß Decken nicht durch Schub bewegt werden könnten, sondern nur durch Körperkräfte, die auf jeden Punkt der Decke wirken. Das führte zur Idee von Gleitdecken, die sich auf einer schwach in Transportrichtung geneigten Unterlage von der Schwerkraft angetrieben bewegen sollten. Für längere Zeit war dies ein beherrschendes Konzept zur Mechanik der Deckenbewegung. Gegen gravitativen Deckentransport spricht jedoch, daß sehr viele Bahnen von Deckenüberschiebungen gegen die Transportrichtung der Decke einfallen. Diese Beobachtung und andere bewirkten schließlich, daß die Hypothese der durch Schub bewegten Decken wieder an Bedeutung gewann. Hubbert und Rubey (1959) zeigten, daß abnormal hoher (höher als hydrostatischer) Druck der Porenflüssigkeit in Gesteinen, wie er in vielen Bohrungen in Sedimentbecken angetroffen wird, die Scherfestigkeit erheblich herabsetzt. Eine Zone von Überdruck an der Basis würde deshalb den tektonischen Transport geringmächtiger Gesteinskörper durch Schub ermöglichen. Chapple (1978) wies darauf hin, daß die meisten größeren Decken und Deckenstapel im Profilschnitt annähernd die Form von Keilen haben, die sich in Transportrichtung verjüngen. Die Keilform kommt durch interne Deformation der Decke bzw. durch die Stapelung einzelner Decken zustande. Der Keil, dessen Gesamtfestigkeit nach hinten (entgegen der Transportrichtung) durch den vergrößerten Querschnitt zunimmt, kann schließlich ohne weitere Deformation geschoben werden. Die Ideen von Chapple wurden weiterentwickelt zur "Theorie der kritischen Keilform" (Falten- und Überschiebungsgürtel). In vielen Fällen ist die Scherfestigkeit an der Basis des Deckenstapels durch stratigraphisch vorgegebene Schwächezonen (z.B. Evaporit- oder Tonsteinhorizonte) oder überhöhten Fluiddruck vermindert.
Wichtig für die Mechanik von Deckenstapeln ist außerdem, daß die einzelnen Überschiebungen in der Regel in Transportrichtung fortschreitend angelegt werden. Die älteren Decken werden dadurch weitgehend passiv auf den jüngeren mittransportiert (Huckepack- oder Piggyback-Sequenz der Deformationsausbreitung), und die tieferen Decken haben sich nie alleine, sondern nur zusammen mit dem gesamten Stapel bewegt. Durch Anlage jüngerer Strukturen unter älteren Decken werden diese häufig insgesamt zusammen mit ihrer Unterlage gefaltet ("Deckenfaltung" mit Bildung von Deckenmulden und Deckensätteln in älteren Arbeiten; Decke). Auch der früher als "Wurzelzone" verstandene Bereich steil einfallender Strukturen in den Alpen wird heute durch späte Deformation des gesamten Deckenstapels erklärt.
Eine Deckenabwicklung, das heißt die Rückformung eines Deckenbaus in den ursprünglichen, nicht deformierten Zustand, folgt v.a. geometrischen und faziellen Kriterien. Als geometrisches Grundprinzip gilt, daß strukturell höhere Decken weiter transportiert sind als strukturell tiefere. Für die sedimentären Fazies gleichalter Gesteine sollte sich nach der Rückformung eine plausible Abfolge ergeben, z.B. ein allmählicher Übergang von Flachwasser- zu Tiefwassersedimenten. Der Bewegungsablauf metamorpher Decken wird auch mit Hilfe von Druck- und Temperaturdaten und radiometrischen Datierungen eingegrenzt. [JK]
Deckenbau 1: Struktur in den Glarner Alpen (Schweiz), in der ursprünglichen Deutung als "Doppelfalte" mit zwei Antiklinalen entgegengesetzter Vergenz (a) und in M. Bertrands Deutung als einheitliche, nach Norden gerichtete Überschiebung (b). Deckenbau 1:
Deckenbau 2: Deckenbau der Zentralen Alpen und Südalpen im Profil. Um eine Vorstellung des gesamten Deckenstapels vor der Abtragung zu geben, sind die ostalpinen Decken von weiter östlich ins Profil projiziert. Ihre heute erodierten Äquivalente in der gezeigten Profilebene hätten einen etwas abweichenden inneren Bau, und ihre basale Überschiebung wäre nicht flach, sondern über dem Aar-Massiv gefaltet. Deckenbau 2:
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.