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Lexikon der Mathematik: Hilbert, David

deutscher Mathematiker, geb. 23.1.1862 Königsberg, gest. 14.2.1943 Göttingen.

Hilbert wuchs in einer preußischen Beamtenfamilie auf. Nach dem Abitur studierte er an der Universität Königsberg Mathematik, u. a. bei H. Weber, F. Lindemann und A. Hurwitz. Nach der Promotion 1885 in Königsberg erweiterte er seine Kenntnisse in Leipzig und Paris und habilitierte sich 1886 in Königsberg, wo er erst Privatdozent, dann 1892 außerordentlicher Professor wurde. Auf Initiative von F. Klein erhielt er 1895 eine Berufung nach Göttingen, einem der traditionsreichen Zentren der Mathematik in Deutschland. Trotz vieler ehrenvoller Angebote von anderen Universitäten und Akademien blieb Hilbert bis zu seinem Lebensende dort und hatte großen Anteil am Aufstieg Göttingens zu einem führenden Zentrum der Lehre und Forschung in der Mathematik und den theoretischen Naturwissenschaften. Er konnte jedoch nicht verhindern, daß nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten viele seiner namhafte Kollegen vertrieben wurden und somit ein Teil seines Lebenswerkes zerstört wurde.

Hilbert gilt neben H. Poincare als der bedeutendste und universellste Mathematiker am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit seinen Forschungen hat er die Entstehung neuer Forschungsgebiete in der Mathematik grundlegend mitbestimmt und zahlreiche Gebiete auf ein höheres Entwicklungsniveau gehoben.

Hilberts Forschungsinteressen lassen sich relativ klar voneinander abgrenzen. Er begann mit Arbeiten zur Invariantentheorie, einem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr aktuellen Gebiet. Dabei erzielte er 1890 mit der Lösung des Hauptproblems der Invariantentheorie den ersten spektakulären Erfolg. Er bewies, daß jedes System algebraischer Formen in n Variablen ein endliches Basissystem besitzt. Entscheidend war dabei sein neues methodisches Vorgehen, hatten bisher die führenden Invariantentheoretiker versucht, die endlichen vollen Invariantensysteme für immer kompliziertere Formensysteme zu konstruieren, so verzichtete Hilbert auf die konkrete Konstruktion und wies unter Einbeziehung algebraischer Überlegungen „nur“ die Existenz eines solchen Systems nach. Damit stand Hilbert im Gegensatz zu den vorherrschenden Auffassungen über eine mathematische Beweisführung, sodaß sein Resultat zunächst skeptisch betrachtet wurde. Sehr bald sollte er jedoch diese neue Sichtweise in der Mathematik etablieren. Gleichzeitig begründete Hilbert bei diesen Untersuchungen die Theorie der Polynomideale und leitete den nach ihm benannten Basissatz ab. Nach dem weiteren Ausbau dieser Methoden konnte er 1893 auch eine Methode zur Ermittlung eines vollständigen Invariantensystems formulieren.

Bereits zuvor hatte er begonnen, sich auf zwei neue Disziplinen zu konzentrieren, die Zahlentheorie und die Geometrie, wobei erstere zunächst im Mittelpunkt stand. Die Bitte der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, eine Übersicht über den Stand der algebraischen Zahlentheorie zu geben, führte zur Zusammenarbeit mit H. Minkowski und 1897 zu Hilberts sog. „Zahlbericht“. Die Arbeit erlangte eine ähnliche Bedeutung für die Entwicklung der Zahlentheorie wie Gauß’ „Disquisitiones arithmeticae“. Hilbert faßte die Resultate zusammen, analysierte die Beweise, füllte Lücken, gab den Ergebnissen eine logische, für weitere Forschungen günstige Darstellung und schuf eine systematische Bezeichnungsweise. Er behandelte die Dedekindsche Theorie der Zahlkörper, Galois-Erweiterungen, quadratische Zahlkörper, Kreisteilungskörper und Kummersche Körper. Nach Abschluß des Berichts nahm er die Studien zu den Grundlagen der Geometrie wieder auf, trug im Wintersemester 1989/99 über die Elemente der Euklidischen Geometrie vor und publizierte 1899 die Schrift „Grundlagen der Geometrie“. Mit diesem Werk brachte Hilbert praktisch die bis in die Antike zurückreichenden Bemühungen um den axiomatischen Aufbau einer Disziplin, speziell der Geometrie, auf neue Art zum Abschluß. Er trennte konsequent das Mathematisch-Logische vom Sinnlich-Anschaulichen und plädierte dafür, daß auch bei geometrischen Überlegungen keine räumlichen Vorstellungen benutzt werden dürfen. Zugleich schuf er die Anfänge der modernen axiomatischen Methode, wie sie in Verbindung mit den strukturbetonenden Auffassungen in der Algebra am Anfang des 20. Jahrhunderts entstand.

Hilberts nächster bedeutender Beitrag zur Entwicklung der Mathematik war sein Vortrag auf dem 2. Internationalen Mathematikerkongreß in Paris am 8.8.1900. Darin formulierte er aus den damals bestimmenden Zweigen der Mathematik 23 offene Probleme, deren Lösung er besonders bedeutsam für das weitere Fortschreiten der Mathematik hielt (Hilbertsche Probleme). Zugleich äußerte er wichtige Gedanken zur Einheit der Mathematik, zum Verhältnis der Mathematik zu den Naturwissenschaften und zu anderen wissenschaftstheoretischen Fragen. Der Vortrag hat sehr stimulierend auf die Mathematikentwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewirkt, in deren Verlauf die Aktualität der meisten Probleme bestätigt wurde.

Nicht zuletzt angeregt durch den stürmischen Aufschwung der Physik widmete sich Hilbert in den folgenden beiden Jahrzehnten der Analysis und der mathematischen Physik. Er gab eine ersten strengen Beweis des Dirichlet-Prinzips, an den sich ein Ausbau der Variationsrechnung anschloß. Aus der intensiven Beschäftigung mit der Theorie der Integralgleichungen, speziell den Fredholmschen Arbeiten, ging unter Beteiligung von E. Schmidt u. a. die Theorie linearer Operatoren in einemunendlich-dimensionalen Raum, dem Hilbertraum, hervor. Dazu gehörten auch eine allgemeine Theorie der Eigenwerte und Eigenfunktionen symmetrischer Integraloperatoren und vielfältige Anwendungen auf Randwertaufgaben und Eigenwertprobleme von Differentialgleichungen bis hin zur Bestimmung einer linearen Differentialgleichung bei vorgegebener Monodromiegruppe. In der theoretischen Physik fanden Fragen der kinetischen Gastheorie und die Verwendung des Hamilton-Prinzips in der Allgemeinen Relativitätstheorie das besondere Interesse Hilberts. Die zahlreichen Resultate und Anwendungen der Mathematik in der Physik bildeten den Inhalt des zweibändigen Buches „Methoden der mathematischen Physik“, das er zusammen mit R. Courant verfaßte (1. Band 1924, 2. Band 1937).

In der Anfang der 20er Jahre beginnenden letzten Schaffensperiode untersuchte Hilbert Probleme der Grundlegung der Mathematik und knüpfte an Fragen an, wie sie sich aus der Begründung der axiomatischen Methode und den Antinomien der Mengenlehre ergeben hatten. Bereits in dem Pariser Vortrag hatte er die Widerspruchsfreiheit der Axiome der Arithmetik als eine offene Frage benannt. Er hatte erkannt, daß er nicht wie bei der Begründung der Geometrie Widerspruchsfreiheit, Vollständigkeit und Unabhängigkeit der Axiome durch Zurückführung auf ein geeignetes Modell nachweisen konnte. Die Lösung für all die Schwierigkeiten suchte Hilbert in einer formalistischen Auffassung der Mathematik. Er entwickelte einen entsprechenden Logikkalkül des formalen Schlie-ßens, den er 1928 zusammen mit W. Ackermann in einem Lehrbuch darstellte, und hoffte, auf dieser Basis einen finiten Beweis für die Widerspruchsfreiheit der Mathematik, insbesondere für das Operieren mit unendlichen Mengen und die Schlußweisen der Analysis, geben zu können. Die Widerspruchsfreiheit definierte er dabei als die Unmöglichkeit, in dem gegebenen Axiomensystem mit den Regeln des formalen Logikkalküls eine Aussage und ihre Negation ableiten zu können. 1931 zerstörte jedoch K. Gödel die Hilbertschen Hoffnungen und zeigte, daß die Widerspruchsfreiheit einer hinreichend ausdrucksfähigen Theorie nicht mit den Mitteln der Theorie allein erfolgen kann. Auch wenn Hilberts Programm zu den Grundlagen der Mathematik nicht völlig realisierbar war, so haben seine Ideen auch auf diesem Gebiet sehr stimulierend gewirkt. In dem von Hilbert gemeinsam mit seinem Schüler P. Bernays verfaßten zweibändigen Buch „Grundlagen der Mathematik“ (1934,1939) fanden seine diesbezüglichen Resultate eine systematische Zusammenfasung.

  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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