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Lexikon der Mathematik: Kausalität

Kausalitätsprinzip, die Auffassung, daß eine Erscheinung (Ursache genannt) eine andere Erscheinung (Wirkung genannt) mit Notwendigkeit hervorbringt, wobei die Ursache der Wirkung zeitlich vorausgeht. Sprachlich wird kaum zwischen dem Kausalitätsprinzip und seiner Widerspiegelung in einer Theorie, die gewisse Ausschnitte aus der Wirklichkeit beschreibt, unterschieden.

In abstrakter Formulierung ist Kausalität eine Relation auf einer Lorentz-MannigfaltigkeitM, die die Vorstellung von einer Ursache-Wirkungsbeziehung zwischen zwei Ereignissen präzisiert.

Ereignisse werden die Punkte x, yM genannt. Jeder Punkt xM besitzt eine konvexe Umgebung U, d. h., eine Umgebung derart, daß je zwei Punkte aus U durch genau eine Geodätische verbunden werden können.

Um die Relation, zeitlich vorher’ (bzw., nachher’) definieren zu können, ist es notwendig, eine Zeitorientierung festzulegen. Dazu betrachtet man die Lichtkegel LxTx(M) in den Tangentialräumen Tx(M). Lx besteht aus allen lichtartigen Tangentialvektoren und setzt sich aus zwei Halbkegeln zusammen, die außer der Kegelspitze keine anderen Punkte gemeinsam haben und a priori nicht unterscheidbar sind.

Eine Zeitorientierung auf U besteht darin, daß man für jeden Punkt yU festlegt, welcher der beiden Halbkegel des Lichtkegels Ly der Vergangenheitskegel \({L}_{Y}^{-}\) und welcher der Zukunftskegel \({L}_{Y}^{+}\) ist. Diese Unterteilung muß stetig vom Punkt abhängen, d. h., es muß möglich sein, ein stetiges, nicht verschwindendes Vektorfeld anzugeben, das nur Werte in \(L\mathop{+}\limits_{y}\) annimmt. Auf der ganzen Mannigfaltigkeit M eine stetige Zeitorientierung festzulegen wird i. allg. nicht möglich sein, jedoch stets in einer gewissen hinreichend kleinen Umgebung eines jeden Punktes.

Ist auf U eine Zeitorientierung gegeben, so erhält man gleichzeitig eine Zeitorientierung der Kegel der zeitartigen Vektoren. Man definiert D+(x) als die Menge aller yU, die auf einer zeitartigen, von x ausgehenden zukunftsorientierten Geodätischen γ(t) liegen, d.h., es gilt γ(0) = x, und γ′(0) ist ein zukunftsorientierter zeitartiger Vektor. Ist weiterhin C+(x) die Menge aller Punkte, die auf einer lichtartigen von x ausgehenden zukunftsorientierten Geodätischen liegen, so nennt man \begin{eqnarray}{J}^{+}(x)={C}^{+}(x)\cup {D}^{+}(x)\end{eqnarray} den zukünftigen Abhängigkeitsbereich von x und schreibt x< y für alle yJ+(x). Analog werden D-(x), C-(x) und der vergangene Abhängigkeitsbereich J-(x) = C-(x) ∪ D-(x) definiert.J+(x) ist daher die Menge aller Ereignisse, die als Wirkung von x auftreten können, während J- (x) die Menge aller Ereignisse ist, die x ursächlich beeinflussen können.

Eine zusammenhängende offene Menge U0U heißt Kausalitätsbereich, wenn für zwei beliebige Punkte x1, x2U0 der Durchschnitt J+(x1)∩J(x2) entweder die leere Menge oder ein Kompaktum ist.

Bei der mathematischen Modellierung von Bereichen der Natur kann man sich vom Kausalitätsprinzip leiten lassen, wenn es um die Frage geht, welcher Typ von Gleichungen zur Beschreibung herangezogen werden soll. Beispielsweise schließen hyperbolische partielle Differentialgleichungen eine Deutung im Sinne des Kausalitätsprinzips nicht aus.

Die geometrische Struktur des Minkowski-Raums der speziellen Relativitätstheorie (SRT) im allgemeinen ermöglicht die Widerspiegelung des Kausalitätsprinzips im mathematischen Formalismus, weil sich danach Informationen nur mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten können. Man spricht hier von Einstein-Kausalität. Diese Kausalität wird auch in der Quantenfeldtheorie realisiert, wenn gefordert wird, daß Observable, die zu verschiedenen Punkten auf einer raumartigen Hyperfläche gehören, kommutieren (Kommutator), d. h. gleichzeitig ohne gegenseitige Störung gemessen werden können.

Die Situation ist in der allgemeinen Relativitätstheorie (ART) bedeutend komplizierter, weil in ihr die Topologie der Raum-Zeit beträchtlich von der des Minkowski-Raums der SRT abweichen kann. Es können z. B. Raum-Zeiten geschlossene zeitartige Kurven enthalten, sodaß eine Wirkung zur Ursache ihrer eigenen Ursache werden kann.

Das Kausalitätsproblem war lange vor der Entstehung der Quantentheorie vor allem auch Gegenstand philosophischer Diskussionen. Der Erfolg der Quantenmechanik hat gelehrt, daß die Wirklichkeit wohl nicht so einfach ist, wie sie in der klassischen Physik und Teilen der Mathematik modelliert wird. Insbesondere kann man bei atomaren Erscheinungen nicht mehr von ihrem zeitlichen Ablauf im Raum sprechen. Der zeitliche Aspekt ist aber wesentlicher Bestandteil des Kausalitätsprinzips.

[1] Hawking, S.W.; Ellis, G.F.R.: The Large Scale Structure of the Universe. Cambridge University Press, 1973.
[2] Thirring, W.: Lehrbuch der Mathematischen Physik Bd. I u. II. Springer-Verlag, Wien/New York 1990.

  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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