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Lexikon der Mathematik: Leibniz, Gottfried Wilhelm

deutscher Universalgelehrter, geb. 1.7.1646 Leipzig, gest. 14.11.1716 Hannover.

Der Sohn eines Moralprofessors der Leipziger Universität besuchte ab 1661 die Universität seiner Heimatstadt als Student der Rechte. Er wurde 1664 Magister, vervollkommnete seine Kenntnisse in Jena und promovierte 1666 in Altdorf. Im gleichen Jahr trat er dem Geheimbund der Rosenkreuzer in Nürnberg bei, wurde deren Sekretär und befaßte sich mit alchemistischen Experimenten. Das Interesse an der Alchemie bewahrte Leibniz lebenslang. Durch die Bekanntschaft mit dem Diplomaten J.Chr. von Boineburg (1622–1673) gelangte er in den diplomatischen Dienst des Mainzer Kurfürsten. Im Auftrag des Kurfürsten sollte er Frankreich von einer Aggression deutscher Länder abhalten und wurde nach Paris geschickt. Die diplomatische Mission in Paris scheiterte, aber Leibniz, der sich von 1672–76 mit Unterbrechungen in der französischen Hauptstadt aufhielt, erhielt dort entscheidende wissenschaftliche Anregungen und wurde zum Mathematiker. Entscheidenden Einfluß hatte auf ihn Christiaan Huygens.

Die wissenschaftlichen Erfolge Leibniz’ waren anfänglich bescheiden, er bestimmte die Summen einiger unendlicher Reihen und faßte die Idee zum Bau einer Rechenmaschine. Ein Aufenthalt in London wurde wissenschaftlich fast zum Fiasko, obwohl er in die Royal Society aufgenommen wurde. Nach Paris zurückgekehrt, machte er die entscheidende Entdeckung zur Vervollkommnung seiner Rechenmaschine (1674) und eignete sich in atemberaubendem Tempo die Mathematik seiner Zeit an. Erst diese Kenntnisse ermöglichten ihm im Oktober 1675 den entscheidenden Durchbruch, die Entdeckung des „Calculus“, der Leibnizschen Form der Infinitesimalrechnung. Er führte das Zeichen „d“ und das Integralzeichen ein, erkannte ihre gegeseitige Beziehung und fand das „charakteristische Dreieck“. Ein erstes Ergebnis der Anwendung des Calculus war die „Leibniz-Reihe“.

Nach dem Tod seines Gönners Boineburg hatte Leibniz in Paris keine geeignete Stellung finden können und mußte 1676 die Stadt verlassen. Bei seiner Reise nach Hannover machte er in London Station und sah Newtonsche Papiere zur Infinitesimalrechnung (Fluxionsrechnung) ein. Dies führte später zu dem unsäglichen Prioritätsstreit über die Erfindung der Infinitesimalrechnung, der weniger zwischen Newton und Leibniz, sondern mehr zwischen ihren Anhängern ausgetragen wurde.

In Hannover war Leibniz als Bibliothekar, Historiker des Welfenhauses und juristischer Berater des Herzogs tätig, ohne jedoch jemals die verdiente Anerkennung zu finden. Erst ab etwa 1682 äußerte sich Leibniz wieder zu mathematischen Problemen. In der Leipziger Zeitschrift „Acta eruditorum“ veröffentlichte er jetzt endlich 1682 seine Reihe für π/4, das Konvergenzkriterium für alternierende Reihen und 1684 seine epochale Abhandlung „Nova methodus …“, die viele Grundlagen der Differentialrechnung enthielt. Zwei Jahre später folgte in „De geometria recondita …“ das Fundamentale zur Integralrechnung einschließlich des Integralzeichens. Hier behandelte Leibniz nur bestimmte Integrale, erst 1694 untersuchte er unbestimmte Integrale. In späteren Arbeiten und in seinem umfangreichen Briefwechsel, z. B. mit Johann I Bernoulli, hat er viele Einzelresultate zur Infinitesimalmathematik mitgeteilt (Integration von Differentialgleichungen, Enveloppen), grundlegende Begriffe wie transzendent, Konstante, Variable, Funktion eingeführt und diskutiert. Er regte in vorbildlicher Weise andere Mathematiker an, den neuen Kalkül auf physikalische und technische Probleme anzuwenden. Der Leibnizsche „Calculus“ sowie viele seiner Bezeichnungen und Symbole (Indizes, Determinantenschreibweise, Proportionenschreibweise) setzten sich überaus schnell auf dem europäischen Kontinent durch und bewirkte dort eine „mathematische Revolution“, deren Hauptvertreter die Bernoullis waren.

Leibniz besaß ein unvergleichliches Verständnis für die Wahl geeigneter Symbole zur (formalen) Behandlung wissenschaftlicher Fragen. Aus seinem Nachlaß kennen wir daher auch ausgedehnte Untersuchungen zur formalen Logik.

Die mathematischen Untersuchungen Leibniz’ bildeten nur einen (kleinen) Teil seines Lebenswerkes. In rastloser Tätigkeit hat er auf philosophischem Gebiet, in der Erkenntnistheorie, beim Kausalitätsproblem, und durch die Monadenlehre grundlegende Beiträge geliefert. Die Lehre von der „prästabilierten Harmonie“ verband alles zu einem geschlossenen Weltbild. Sogar seine vielverspottete Meinung von der Erde als der besten aller möglichen Welten hat im Lichte neuer kosmologischer Forschungen ihren Platz gefunden.

Leibniz mischte sich in die Diskussion physikalischer Fragen (Kraftbegriff) ein, machte technische Vorschläge, korrespondierte über pharmazeutische Angelegenheiten und regte die Erforschung Rußlands und Chinas an. Er war einer der Begründer der auf Quellenstudium gegründeten Geschichtsforschung und des modernen Bibliothekswesens. Auf seine Anregung geht die Gründung der Akademien der Wissenschaften in Berlin und St. Petersburg zurück.

Leibniz wurde als erstem Bürgerlichen in Deutschland ein Denkmal gesetzt: 1787 stellte man in Hannover eine Marmorbüste mit der Inschrift „Genio Leibniz“ auf.

  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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