Lexikon der Mathematik: Poisson, Siméon
Mathematiker und Physiker, geb. 21.6.1781 Pithiviers (Loiret), gest. 25.4.1840 Paris.
Poisson war der Sohn eines ehemaligen Soldaten, dieser hatte nach dem Ausscheiden aus der Armee einen niedrigen Beamtenposten erhalten. Der Vater unterrichtete seinen Sohn selbst. Nach der Revolution wurde der Vater Distriktspräsident von Pithiviers. Diese Stellung benutzte er, um seinem Sohn den höheren Bildungsweg zu erschließen. 1796 wurde Poissson in die Ecole Centrale von Fontainebleau aufgenommen. Dort fiel er durch Fleiß und enorme mathematische Begabung auf. 1798 wurde er Schüler der Ecole Polytechnique in Paris, wo ihn besonders Lagrange und Laplace förderten.
Neben starken Interessen für das kulturelle Leben von Paris galt seine Aufmerksamkeit besonders der Analysis (1799/1800 erste Arbeit). 1800 wurde Poisson Repetiteur an der Ecole Polytechnique, 1802 stellvertretender Professor, 1806 Titularprofessor. Ab 1808 war er als Astronom am Längenbüro tätig, ab 1809 als Professor für Mechanik an der neugegründeten Faculté des Sciences. 1815 wurde er dazu Examinator an der Ecole Militaire, 1816 an der Ecole Polytechnique. Nach dem Tode von Laplace und der Emigration Cauchys 1830 war Poisson der einflußreichste Mathematiker Frankreichs. Im Jahre 1837 wurde er Baron.
Von Poisson sind annähernd 300 Arbeiten bekannt. In einer ersten Periode (bis 1807) interessierte er sich vorwiegend für die Theorie der gewöhnlichen und partiellen Differentialgleichungen. Er versuchte, diese Studien auf die Bewegung des Pendels in einem zähen Medium und auf die Theorie des Klanges anzuwenden.
In den Jahren ab 1808 förderte er Fouriers Wärmetheorie und arbeitete vorwiegend über theoretische Astronomie (mittlere Bewegung der Planeten, Erdrotation, Störungen) und Mechanik.
Poissons Beiträge dazu waren mehr formaler Art. Er vereinfachte und verbesserte den mathematischen Apparat und die Berechnungsverfahren auf überaus geschickte Art, dabei vorwiegend auf die Originalarbeiten von Lagrange und Laplace zurückgreifend. C.G.J. Jacobi und auch W.R. Hamilton sind in ihrer „mathematischen Technik“ noch stark von Poisson beeinflußt worden.
In einer dritten Phase seiner wissenschaftlichen Tätigkeit wandte sich Poisson vornehmlich der Anwendung der Mathematik auf physikalische Fragen zu, so der Potentialtheorie (Potential im Inneren von anziehenden Massen, 1813), der Beschreibung elektrischer und magnetischer Erscheinungen, und arbeitete über elastische Flächen.
Die vierte Periode von Poissons Schaffen (1814–1827) war geprägt durch eine enge Zusammenarbeit mit Laplace. Er forschte über die Schallgeschwindigkeit in Gasen, die Wärmelehre (Auseinandersetzung mit Fourier) und die Elastizitätstheorie (1828). Seine Ideen zur Wärmelehre (u. a. Konzept der „Wärmeflüssigkeit“ 1823) haben stark auf S. Carnot (1796–1832) gewirkt.
In seiner letzten Schaffensphase baute Poisson einerseits gewonnene Resultate noch aus („Theorie mathématique de chaleur“, 1835, 1837), wandte sich aber auch zwei völlig neuen Gebieten zu: Der Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf „zivile und kriminelle Fragen“ („Poisson-Verteilung“ 1837) und der Ballistik (1839, Berücksichtigung von Form und Rotation der Projektile, Berücksichtigung der Erdbewegung).
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