Lexikon der Mathematik: statistischer Grundraum
Begriff aus der mathematischen Statistik.
Die Untersuchungen der mathematischen Statistik gründen sich im allgemeinen auf folgende Ausgangssituation: Gegeben sei eine zufällige Variable \({\mathcal{X}}\) mit Werten in einem meßbaren Raum \([M, {\mathcal M}]\), für die eine Verteilungsannahme \({P}_{{\mathcal{X}}}\in Q\) getroffen wird, d. h., für alle \(A\in {\mathcal M} (A\subseteq M)\) ist \({P}_{{\mathcal{X}}}(A)\) die Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Ereignis \({\mathcal{X}}\in A\) beobachtet wird. Das Tripel \([M, {\mathcal M}, Q]\) heißt statistischer Grundraum. Man denkt sich dabei das einer statistischen Untersuchung zugrundeliegende Datenmaterial zu einer Beobachtung x ∈ M zusammengefaßt, die als Realisierung von \({\mathcal{X}}\) aufgefaßt wird: \(({\mathcal{X}}(\omega)=x,\omega \in \Omega)\). Dabei werden der Urbildraum \([\Omega, {\mathcal{A}},P]\), auf dem \({\mathcal{X}}\) definiert ist, wie auch die Abbildungsvorschrift \({\mathcal{X}}\) selbst nicht explizit angegeben.
Ein wichtiger Spezialfall eines statistischen Grundraumes entsteht, wenn \({\mathcal{X}}\) eine mathematische Stichprobe \({\mathcal{X}}=\overrightarrow{X}=({X}_{1},\mathrm{\ldots},{X}_{n})\) vom Umfang n aus einer Grundgesamtheit \([{{\mathbb{R}}}^{1},{{\mathcal B}}^{1},{P}_{X}]\) (\({{\mathcal B}}^{1}\) die σ-Algebra der Borel-Mengen aus ℝ1) ist, wobei für PX die Annahme \({P}_{X}\in {\mathcal{P}}\) getroffen wird. In diesem Fall sind \(M={{\mathbb{R}}}^{n}, {\mathcal M} ={{\mathcal B}}^{n}\) (σ-Algebra der Borel-Mengen aus ℝn), und \({P}_{{\mathcal{X}}}={P}_{X}^{(n)}\) das n-fache Produktmaß von PX. Die Annahme \({P}_{X}\in {\mathcal{P}}\) führt auf das Verteilungsmodell
Das generelle Anliegen der Statistik besteht darin, die Kenntnis über die Wahrscheinlichkeitsverteilung \({P}_{{\mathcal{X}}}\) gegenüber der ursprünglichen Annahme \({P}_{{\mathcal{X}}}\in Q\) anhand von Beobachtungswerten von \({\mathcal{X}}\) weiter zu präzisieren. Dies kann durch die Angabe von Schätzungen (Schätztheorie) oder die Ausführung statistischer Tests (Testtheorie) erfolgen. Dabei stützt man sich wesentlich auf die Betrachtung von Statistiken (Stichprobenfunktionen, Stichprobe), die den Stichprobenraum in einen geeigneten Bildraum abbilden.
Vielfach ist die Familie Q eines statistischen Grundraumes in parametrisierter Form Q = (Qγ)γ∈Γ, gegeben, d.h., es ist \({P}_{{\mathcal{X}}}={Q}_{\gamma 0}\), wobei γ0 ∈ Γ den wahren, aber unbekannten Parameter der Verteilung darstellt. Die Methoden der Statistik, die diese parametrische Verteilungsform voraussetzen, werden in der parametrischen Statistik zusammengefaßt. Verfahren zur Identifizierung von \({P}_{{\mathcal{X}}}\), ohne die Voraussetzung der Parametrisierung zu treffen, werden als Verfahren der nichtparametrischen Statistik bzw. verteilungsfreie Verfahren bezeichnet.
Beispiele. 1) Sei V ein zufälliger Versuch, der in der n-maligen Durchführung eines zweipunktverteilten Versuches (Versuchsausgänge: 0=Erfolg oder 1=Mißerfolg) mit Erfolgswahrscheinlichkeit p besteht, und sei \({\mathcal{X}}\) die zufällige Anzahl der Erfolge bei Durchführung von V. Dann sind die Elementarereignisse ω des Versuchs alle aus den Zahlen 0 und 1 bildbaren n-Tupel, \({\mathcal{X}}(\omega)=x\in M=\{0,1,\mathrm{\ldots},n\}\), und \( {\mathcal M} \) ist die Potenzmenge von M. Weiterhin gilt für die Verteilung von \({\mathcal{X}}:{P}_{{\mathcal{X}}}\in Q\), wobei Q die Menge aller Binomialverteilungen mit festem Parameter n und unbekanntem Parameter γ = p ∈ [0, 1] ist.
2) Sei \({\mathcal{X}}=\overrightarrow{X}=({X}_{1},\mathrm{\ldots},{X}_{n})\) eine mathematische Stichprobe aus einer normalverteilten Grundgesamtheit, d.h. Xi ~ N(μ, σ2), i = 1, …, n, mit unbekanntem Erwartungswert μ und unbekannter Varianz σ2. Dann ist \({\mathcal{P}}\) die Menge aller N(μ, σ2)-Verteilungen mit γ = (μ, σ2) ∈ ℝ1 × ℝ+. In diesem Fall ist M = ℝn und \( {\mathcal M} ={{\mathcal B}}^{n}\). Die Familie Q der Wahrscheinlichkeitsverteilungen für \({\mathcal{X}}\) besteht dann aus allen n-dimensionalen Normalverteilungen mit dem Erwartungswertvektor EX = (μ, …, μ) und der Kovarianzmatrix σ2I für (μ, σ2) ∈ ℝ1xℝ+.
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