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Metzler Lexikon Philosophie: Bedürfnis

Der Begriff wird in philosophischen Zusammenhängen nicht in einheitlicher Bedeutung verwendet. In einer allgemeinen Definition wird das B. durch den Mangelzustand eines biologischen Organismus bestimmt. In erster Linie dient B. zur Bezeichnung der naturhaften Struktur des Menschen, wobei unterschiedliche anthropologische Annahmen gemacht werden, um die natürlichen B.se im Einzelnen zu bestimmen. Die anthropologischen Annahmen variieren je nach Menschenbild, so dass in der einen Position die triebhaften B.se wie Hunger, Durst und Sexualität die Natur des Menschen ausmachen, für eine andere Position das Selbsterhaltungs- und Machtstreben (Hobbes: Leviathan) zu den grundlegenden B.sen des Menschen zu zählen sind. Zur Bestimmung der naturhaften Seite wird meist ein willkürliches methodisches Verfahren praktiziert: Beliebig ausgewählte empirische Beobachtungen werden zu allgemeinen Naturkonstanten des Menschen uminterpretiert. – Im ethischen Kontext wird der Gegensatz zwischen höheren und niederen B.sen (z.B. Mill, Utilitarismus) thematisiert, wobei der Gegensatz zwischen sinnlicher Lust und geistigem Interesse und die Form der unmittelbaren Befriedigung das Unterscheidungsmerkmal abgibt. – Mit Hegel (Rechtsphilosophie, §§ 189–208) kommt eine sozialphilosophische Perspektive ins Spiel. Er weist darauf hin, dass der Mensch sich erst durch die Bearbeitung der Natur die Mittel zur Bedürfnisbefriedigung verschaffen muss. Die Bearbeitung der Natur geschieht in der Form der Arbeitsteilung. Spezifisch für die bürgerliche Gesellschaft ist das System gegenseitiger Abhängigkeit, d.i. ein System der B.se: Da jeder über sein B. hinaus Güter produziert, arbeitet jeder für die B.se der anderen. Hegel bezeichnet diese B.se, die erst in der Gesellschaft über den Austausch der Produkte befriedigt werden können, als gesellschaftliche B.se. In der bürgerlichen Gesellschaft bildet sich auf der Grundlage des gesellschaftlichen B.ses eine Form der Allgemeinheit, da die Individuen zueinander in Beziehung treten, sich gegenseitig anerkennen und damit auch die Allgemeinheit, deren Bestandteil sie sind, anerkennen. In diesen Beziehungen macht sich jede Person geltend und befriedigt sich vermittels der anderen (§ 182). – Im Anschluss an Hegel kritisiert Marx die Reduktion des gesellschaftlichen B.ses, in dem der andere Mensch immer nur als Mittel der eigenen persönlichen Befriedigung erscheint. Indem er den Menschen nicht aus der Perspektive der Konsumption, sondern der Produktion und der Arbeit bestimmt, führt er als Gattungsbestimmung des Menschen das B., sich mitzuteilen und zu vergesellschaften, an. Von dieser Bestimmung her beurteilt er die gegenseitige Instrumentalisierung der Menschen als Entfremdungsverhältnis. Über diese Kritik hinaus gewinnt Marx der Notwendigkeit der Naturbearbeitung eine weitere anthropologische Bestimmung ab: Da der Mensch den unmittelbaren Genuss der Natur in einem gesellschaftlich vermittelten Austausch überwindet, hat er die Ebene des tierischen Bereichs verlassen. Durch die Produktion von Gütern befriedigt er nicht nur seine B.se, sondern produziert auch neue B.se und damit seine eigene »zweite« Natur. Da die B.se immer gesellschaftlich produziert und in kulturellen Prozessen geformt sind, erweist sich von daher die naturalistische Annahme von rein biologischen B.sen als unzulässige Verkürzung. – Die weiterführenden Diskussionen zum Begriff des B.ses führen zu unterschiedlichen Differenzierungen. Marcuse verbindet die Emanzipation des Menschen mit der Unterscheidung zwischen wahren und falschen B.en und dem Recht des Menschen zu entscheiden, welche B.se entwickelt und befriedigt werden sollen. In der philosophischen Anthropologie werden den biologischen B.sen spezifisch menschliche zur Seite gestellt, bei Gehlen das sachliche Interesse an der Ausbildung von Handlungsmöglichkeiten, bei Fromm die psychischen B.se der emotionalen Bezogenheit und Verbundenheit.

Literatur:

  • H. Fleischer: Marx und Engels. Freiburg/München 1970
  • E. Fromm: Der moderne Mensch und seine Zukunft. Frankfurt 51971
  • A. Gehlen: Der Mensch. Frankfurt 111976
  • G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. §§ 189–208
  • H. Marcuse: Der eindimensionale Mensch. Neuwied/Berlin 1970
  • K. Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844. In: MEW Bd. 1. S. 467 ff
  • Ders.: Die Deutsche Ideologie. In: MEW Bd. 3. S. 20 ff
  • P. Prechtl: Bedürfnisstruktur und Gesellschaft. Würzburg 1983.

PP

  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
IR Ines Riemer, Hamburg
JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
KH Kai-Uwe Hellmann, Berlin
KHG Karl-Heinz Gerschmann, Münster
KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
KRL Karl-Reinhard Lohmann, Witten
KS Kathrin Schulz, Würzburg
KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
LG Lutz Geldsetzer, Düsseldorf
LR Leonhard Richter, Würzburg
MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
OFS Orrin F. Summerell, Bochum
PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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