Metzler Lexikon Philosophie: Doxa
griech. Schein, im Ggs. zu Realität; Meinung, im Ggs. zu Wissen. Schon im Lehrgedicht des Parmenides steht die Meinung, D., als unzulängliches Wissen, dem noema, dem Denken gegenüber (Frg. 8.50 f.) Denn mit der Unterscheidung von zwei Gestalten, dem Licht und der Nacht – die jeweils das andere nicht sind – haben die Menschen eine Zweiheit und damit ein Nicht-Sein an die Stelle der wahren Einheit des Seienden gesetzt: In dieser Welt des Scheins bewegen sich ihre Meinungen. Bei Platon richtet sich die Unterscheidung zwischen Wissen und Meinung nach den jeweiligen Objekten: Im Staat entwickelt Platon eine ausführliche Theorie der D. Danach sind Erkennen oder Wissen (episteme) und D. zwei verschiedene Vermögen (dynameis) des obersten Seelenteils, des logistikon, die sich auf zwei verschiedene Seinsbereiche beziehen: Das Wissen erkennt das Seiende, die Ideen; die Meinung richtet sich, da sie ja etwas meint und das Nichtseiende weder gewusst noch gemeint werden kann, auf etwas, was dazwischen liegt, etwas, was sich zwischen Sein und Nicht-Sein »umherwälzt« (479 d 4). Insofern erscheint die Meinung als zwar dunkler als das Wissen, aber heller als das Nichtwissen (agnoia). Man erhält also eine Skala folgender Art:
Gemeint ist damit folgender Unterschied: Der Schaulustige hält die sichtbaren Dinge für die wahren Dinge, obwohl sie in ständiger Veränderung sind, also mal schön sind, mal nicht schön sind, mal groß sind, mal nicht groß sind usw., d.h. sich in ständiger Zwischenstellung zwischen Sein und Nichtsein befinden, sei es, weil sie sich verändern (werden), sei es, weil sie in verschiedenen Beziehungen stehen. Dagegen sind die Gegenstände des Wissens durch die Identität mit sich charakterisiert: sie sind immer und nur das, was sie sind, sie sind mit sich identische Seiende. Ausführlich geht Platon darauf im Linien- und Höhlengleichnis ein. Die Linie, die die verschiedenen Seins- und die ihnen entsprechenden Erkenntnisformen darstellt, zerfällt in die beiden großen Teile der doxasta, der gemeinten Gegenstände, und der noeta, der gedachten Gegenstände, und die gemeinten Gegenstände wiederum zerfallen in die, die Gegenstand der Vermutung sind, und die, die Gegenstand des Fürwahrhaltens sind. Dem entsprechen die verschiedenen Erkenntnisformen: den doxasta sind das Vermuten und das eigentliche Meinen zugeordnet, den gnosta das Nachdenken und das Wissen.
Aristoteles widmet dem Meinen ein ganzes Kapitel in den An. post. (89 a 2 ff.): Wissen unterscheidet sich von der Meinung darin, dass Wissen allgemein ist und durch notwendige, d.h. nicht-kontingente Prämissen erreicht wird. Es gibt Dinge, die wahr, aber kontingent sind. Unser Bewusstseinszustand im Verhältnis zu ihnen ist (1) nicht Wissen; denn dann wäre notwendig, was kontingent ist; auch nicht (2) Anschauung (der Ausgangspunkt des Wissens) oder unbewiesenes Wissen (das Erfassen einer umittelbaren Proposition). Nun sind aber die Zustände des Geistes, die der Wahrheit fähig sind, Anschauung, Wissen und Meinung. So muss es also die Meinung sein, die mit dem befasst ist, was wahr oder falsch, aber kontingent ist. Meinung ist das Urteilen einer unvermittelten und nicht notwendigen Proposition. Dies stimmt auch mit den Tatsachen überein; denn sowohl die Meinung wie das Kontingente sind unsicher. Eine Meinung hat man, wenn man denkt, dass sich eine Tatsache auch anders verhalten könnte. Meinung und Wissen haben also verschiedene Objekte.
Literatur:
- T. Ebert: Meinung und Wissen in der Philosophie Platons. Berlin/New York 1974
- J. Mittelstraß: Die Dialektik und ihre wissenschaftlichen Vorübungen. In: O. Höffe (Hg.): Platon, Politeia. Berlin 1997. S. 229 ff
- E. Tielsch: Die platonischen Versionen der griechischen Doxa-Lehre. Meisenheim 1970.
MSU
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