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Metzler Lexikon Philosophie: Herrschaftsformen

Herrschaft ist der grundlegenden Definition M. Webers zufolge die »Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden« (Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 51972. S. 28). Im Unterschied zum allgemeineren Begriff der Macht (»jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht«) ist Herrschaft ausdrücklich auf die Zustimmung der ihr Unterworfenen angewiesen. Damit wird die Frage, wie diese Zustimmung zustandekommt, wie sich Herrschaft legitimiert, zu einem grundlegenden Kriterium der Klassifikation von H., die wiederum in der europäischen politischen Theorie seit der Antike zur Charakterisierung von Staatsformen dienen. H. beschreiben die Institutionalisierungen von Herrschaftsverhältnissen innerhalb sozialer Verbände, d.h. nicht allein auf der Ebene von Staaten, sondern beispielsweise auch innerhalb von Familien, Vereinen oder Unternehmen. Systematisch ausformuliert worden sind sie aber in erster Linie im Blick auf staatlich organisierte Herrschaft, auf die Staatsverfassung. Bereits Aristoteles, für den Herrschaft eine Grundkategorie zwischenmenschlicher Beziehungen darstellt, unterscheidet die Herrschaft des Hausherrn über den Haushalt (oikos), d.h. über Sklaven, über die er privatrechtlich, wie über einen Besitz, verfügen kann, aber auch über seine Frau und seine Kinder, von den Herrschaftsverhältnissen innerhalb der politischen Organisation des Staates (polis). Im ersten Fall erscheint die hierarchische Relation von Herrschenden und Beherrschten (»Herr und Knecht«) als das Ergebnis einer vermeintlich natürlichen Ungleichheit – Sklaven, Frauen und Kinder wären demnach nicht in der Lage, ihren eigenen Unterhalt zu sichern bzw. ihr Leben vernunftgemäß zu gestalten – und wird daher selbst als natürliches, unwandelbares Verhältnis wechselseitiger Rechte und Pflichten gedacht. Im MA. und in der frühen Neuzeit wird dieses Modell auf die Beschreibung staatlicher H. übertragen, die sich als persönliches Rechtsverhältnis in der Äquivalenz von Schutz und Gehorsam realisiert. Für die antike Staatstheorie stellt eine solche Übertragung jedoch nur eine Extremform dar (Despotie, Tyrannis), die wie ihr Gegenstück, die völlige Herrschaftslosigkeit (Ochlokratie), nicht dem organisierten Zusammenleben prinzipiell gleichrangiger und freier Bürger – der Gemeinschaft der Hausherren – angemessen ist. Um die Möglichkeiten politischer Herrschaft in der Polis systematisch zu erfassen, stellt Aristoteles einen Katalog der H. auf, in dem neben das rein quantitative Kriterium, ob die Herrschaft von einem einzelnen, von einer kleinen Gruppe oder von vielen bzw. allen (freien) Bürgern ausgeübt wird, die qualitative Frage tritt, ob die Macht zum Wohl der Allgemeinheit oder zum Nutzen der jeweils Herrschenden ausgeübt wird. So werden den »guten« H. Monarchie, Aristokratie und Politie (bzw. Demokratie) ihre jeweiligen Verfallsformen Despotie bzw. Tyrannis, Oligarchie bzw. Plutokratie und Ochlokratie (bzw. Demokratie; hier verstanden als die interessengebundene Herrschaft der Armen, im Gegensatz zur Oligarchie/Plutokratie, der Herrschaft der Reichen) gegenübergestellt. In der Neuzeit wird diese Theorie in zwei Richtungen erweitert und modifiziert: Zum einen wird Herrschaft als relationaler Begriff gefasst, d.h. es wird nicht mehr nur gefragt, ob die Herrscher gut oder schlecht handeln, sondern aufgrund welcher Prinzipien sie sich jeweils die Zustimmung der Beherrschten sichern. So ersetzt z.B. Montesquieu das qualitative Kriterium durch spezifische Werte: Monarchie beruht auf dem Prinzip der Ehre, Aristokratie auf Mäßigung und Selbstzucht und Demokratie auf Tugend, während die Despotie nur aufgrund von Furcht und Schrecken bestehen kann. Zum anderen werden formale Kriterien für die Unterscheidung »guter« und »schlechter«, republikanischer und despotischer (Kant) H. angegeben; bedeutsam sind hier das Prinzip der Gewaltenteilung, also der Trennung von Legislative, Exekutive und Jurisdiktion, das Prinzip der Repräsentation, Verfahren der Kontrolle und der politischen Partizipation und die Sicherung von bürgerlichen Grundrechten (Demokratie, Rechtsstaat). M. Weber greift beide Stränge auf, wenn er drei idealtypische H. unterscheidet: charismatische Herrschaft beruht auf dem rational nicht begründbaren, »affektuellen« Glauben an außergewöhnliche, übernatürliche Fähigkeiten des Herrschers, traditionale Herrschaft auf der Wertschätzung überkommener Ordnungen und legale Herrschaft auf der Beachtung formal korrekter Satzungen und ihrer Umsetzung in Bürokratien. Nicht ausreichend berücksichtigt scheinen jedoch in der von Weber getroffenen Unterscheidung von Herrschaft als legitimer, d.h. auf Zustimmung beruhender Relation und der illegitimen Anwendung von Macht Momente struktureller Gewalt, mit denen in allen drei Typen legitimer Herrschaft gerechnet werden muss. So beruht Zustimmung in der Regel auf einer systematischen Unterbindung oder Verzerrung willensbildender Prozesse; institutionalisierte Regierungssysteme verhalten sich nicht neutral gegenüber gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Wesentliche Impulse für eine Theorie der H. im 20. Jh. gehen daher aus von einer Untersuchung von Herrschaftsstrukturen auf der Ebene ökonomischer und gesellschaftlicher Teilsysteme, d.h. etwa innerhalb von Verbänden und Parteien, im Rechtssystem, in Schule und Familie, im Verhältnis ethnischer Gruppen oder der Geschlechter; zunehmende Bedeutung hat auch die Analyse interkultureller Relationen (Postkolonialismus).

Literatur:

  • H. Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Frankfurt 1955
  • H. Günther: Freiheit, Herrschaft und Geschichte. Frankfurt 1979
  • J. Habermas: Faktizität und Geltung. Frankfurt 1992
  • R. Koselleck u.a.: Herrschaft. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Hg. v. O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck. Bd. 3. Stuttgart 1982
  • F. Neumann (Hg.): Handbuch politischer Theorien und Ideologien. Reinbek 1989
  • T. Parsons: Structure and Process in Modern Societies. Glencoe, Ill. 1960
  • E. Said: Culture and Imperialism. 1993
  • M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 51972.

WST

  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
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JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
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KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
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MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
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MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
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PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
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RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
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TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
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TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
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UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
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VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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