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Metzler Lexikon Philosophie: Rechtsstaat

Der R. bildet zusammen mit den anderen Staatsstruktur- und Staatszielprinzipien (Demokratie, Sozialstaat und Bundesstaat) die zentralen Säulen des gegenwärtigen dt. Verfassungsgebäudes (Art. 20, Abs.1; Art. 28, Abs.1, S. 1 GG). Unter ihnen kommt der R.idee die Hauptrolle bei der Entstehung des modernen deutschen Verfassungsstaates zu. Sie entwickelt sich in Konfrontation mit der absolutistischen Staatstheorie, nach der Staatszweck die allumfassende Sorge des Staates um das Wohl der Untertanen ist, alle Staatsgewalt in der Person des Monarchen vereint wird und seine Souveränität absolut und zeitlich unbegrenzt ist, sieht man von der Unveränderbarkeit von Fundamentalnormen, »leges imperii«, ab (Bodin). Folglich sieht sie in der Begrenzung und Teilung der monarchischen Herrschaftsgewalt (»séparation des pouvoirs«, Montesquieu) und der Vernunftrechtsorientierung der Staatlichkeit die Mittel zur Wahrung der Freiheit des Bürgers, ihrer fundamentalen Zielsetzung: Die Staatsdefinition »l’état, c’est moi« (Louis XIV.) wird abgelöst durch »Vereinigung von Menschen, die unter Rechtsgesetzen leben« (Kant). Vorgezeichnet ist dieser Staatsbegriff in der englischen Verfassungstheorie des ausgehenden 17. Jh.: Die Begrenzung der Staatsfunktion auf die Sicherung von life, liberty und property (Locke). – Die Forderungen nach allein durch Gesetz legitimierter Staatstätigkeit, Verteilung der staatlichen Herrschaft auf mehrere sich gegenseitig kontrollierende Träger, Souveränität des Volkes, die als unabdingbare Voraussetzungen für die Umsetzung der liberal-utilitaristischen Maxime »das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl«(Bentham) angesehen werden, können als das Ergebnis der Rezeption von Kategorien und Forderungen der Aufklärung verstanden werden (»Handle so, dass die Maxime deines Handelns jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten kann«, Kant). Dies spiegelt sich auch begrifflich wider: R. wird in seiner ursprünglichen Bedeutung als der »Staat der Vernunft« (Welcker), der »Verstandesstaat« (von Mohl) definiert. – Den damit verbundenen Anspruch versucht man zunächst institutionell, d.h. über die Herausbildung einer eigenen Gerichtsbarkeit für die Verwaltung und damit der Möglichkeit, Akte der Exekutive durch eine von ihr unabhängige Staatsgewalt überprüfbar zu machen, umzusetzen, ergänzt durch ehrenamtliche Tätigkeit des Bürgers in der Verwaltung (von Gneist). Neben die solchermaßen zu ereichende Gesetzmäßigkeit der Verwaltung tritt in der Weimarer Republik die Herausbildung grundrechtlicher Abwehrrechte gegenüber der staatlichen Herrschaft (Art. 109 ff. WRV). Diese erfahren nach dem Scheitern des »formalen R.s« im 3. Reich wesentliche Stärkung: Staatliche Herrschaft wird auf den Schutz der Menschenwürde als oberstem Ziel aller staatlichen Aktivität ausgerichtet (Art. 1 GG), die Grundrechte werden als unmittelbar geltendes Recht konzipiert, ihre Durchsetzbarkeit über die Verfassungsgerichtsbarkeit garantiert (Art. 93 (1) 4a GG). – Die moderne, industrielle Massendemokratie erweitert den liberalen Gehalt des R.s um eine soziale Dimension: Die Idee der individuellen Freiheit als oberstem Ziel der politischen Ordnung muss sich erneut gegen – mit der Formel der (sozialen) Gerechtigkeit zunächst ausreichend legitimierte – (Umverteilungs-)Eingriffe (wohlfahrts-)staatlicher Herrschaft behaupten, so dass das Gewährleisten ausgewogener Politikgestaltung, die den Dualismus von Freiheit und Gleichheit so aufzulösen vermag, dass die Legitimation der politischen Ordnung nicht angetastet wird und eine ausreichend stabile Unterstützung der staatlichen Herrschaft durch die Wähler besteht, als Hauptaufgabe des modernen R.s angesehen werden kann.

Literatur:

  • J. Bentham: An Introduction to the Principles of Moral and Legislation, 1789
  • J. Bodin: Six livres de la République, 1576 (Sechs Bücher über den Staat, 1981)
  • E.-W. Böckenförde: Staat, Gesellschaft, Freiheit. Frankfurt 1976
  • R. v. Gneist: Der Rechtsstaat, 1879
  • I. Kant: Metaphysik der Sitten, 1797
  • J. Locke: The Second Treatise on Government, 1690 (Über die Regierung, 1978) – P.-C. Mayer-Tasch: Politische Theorie des Verfassungsstaates. München 1991
  • R. v. Mohl: Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg, 1829
  • Ch.-L. Montesquieu: De l’ésprit des lois, 1748 (Vom Geist der Gesetze, 1976)
  • U. Scheuner: Staatstheorie und Staatsrecht. Berlin 1978
  • K. Stern: Der Rechtsstaat. Krefeld 1971
  • C. Th. Welcker: Die letzten Gründe von Recht, Staat und Strafe, 1813.

MB

  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
IR Ines Riemer, Hamburg
JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
KH Kai-Uwe Hellmann, Berlin
KHG Karl-Heinz Gerschmann, Münster
KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
KRL Karl-Reinhard Lohmann, Witten
KS Kathrin Schulz, Würzburg
KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
LG Lutz Geldsetzer, Düsseldorf
LR Leonhard Richter, Würzburg
MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
OFS Orrin F. Summerell, Bochum
PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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