Metzler Lexikon Philosophie: Rechtstheorie
Die R. ist weniger eine inhaltlich eindeutig strukturierte und konturierte Theorie als vielmehr ein Sammelbegriff für unterschiedliche Theorieansätze, die entweder die Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft insgesamt oder eines ihrer Teilgebiete zu fundieren und zu sichern suchen. Dabei wird R. häufig als »Basisdisziplin der Rechtswissenschaft« (Maihofer) begriffen, die als Wissenschaftstheorie des Rechts nicht nur innerjuristische Theoriebestände und -desiderate nach wissenschaftlichen Standards bearbeitet und systematisiert, sondern darüber hinaus auch außerrechtliche Theorien wie Erkenntnistheorie, Sprachtheorie sowie psychologische und soziologische Theorien für den juristischen Diskurs fruchtbar macht. Daher bezeichnet Dreier die R. im Anschluss an I. Agge als »Grenzpostendisziplin«, »die nachbarwissenschaftliche Informationen, und zwar empirische wie theoretische, auf ihre Relevanz für die Rechtswissenschaft im engeren Sinne prüft«. Dagegen betont Luhmann die interne Funktion der R. für das Rechtssystem: R. ist in systemtheoretischer Lesart als ständig »mitlaufende Selbstreferenz« eine Form der Selbstbeschreibung des Rechtssystems, die Eigenart und Autonomie des Rechts reflektiert und die Identität des Systems sichert. – Obwohl R. als Theorie von unmittelbarer Praxis entlastet ist, bleibt sie doch an der juristischen Praxis orientiert: So ist es nicht zuletzt ihre Aufgabe, der Rechtsdogmatik in analytischer, empirischer und normativer Hinsicht zuzuarbeiten (vgl. Dreier), sie ist daher als »Reflexionstheorie« des Rechts immer auch »praktische Theorie« (Luhmann). – Wenn auch gelegentlich noch darauf hingewiesen wird, dass eine definitive Unterscheidung zwischen R. und Rechtsphilosophie im Einzelfall nur schwer durchzuführen ist (vgl. z.B. Kaufmann), hat sich die R. als Theorie des positiven Rechts doch in Abgrenzung von der Rechtsphilosophie formiert. Daher wird historisch die R. erst mit den Arbeiten der ˲Historischen Rechtsschule˱ (Savigny u. a.) angesetzt, die juristisches Denken unabhängig von den Paradigmen der praktischen Philosophie als eigenständige Reflexion etablierte. Noch die von Kelsen inspirierte »Internationale Zeitschrift für Rechtstheorie« (1926 ff.) grenzte sich ausdrücklich von der Rechtsphilosophie ab und definierte »eine Theorie des positiven Rechts« als ihr originäres Arbeitsgebiet, zu dessen Aufgaben rechtsphilosophische Fragen der »Gerechtigkeit, des richtigen, gerechten, des natürlichen oder absoluten Rechts« nicht mehr gehören sollten.
Literatur:
- S. Buckel (Hg.): Neue Theorien des Rechts. Stuttgart 2006
- R. Dreier: Was ist und wozu Allgemeine Rechtstheorie? Tübingen 1975
- E. Hilgendorf: Die Renaissance der Rechtstheorie zwischen 1965 und 1985. Würzburg 2005
- A. Kaufmann/W. Hassemer (Hg.): Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart. Heidelberg 72004
- H. Kelsen: Reine Rechtslehre. Wien 21960
- N. Luhmann: Rechtssoziologie. Opladen 21983
- W. Maihofer: Rechtstheorie als Basisdisziplin der Jurisprudenz. In: H. Albert u. a. (Hg.): Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft. Düsseldorf 1972
- G. Roellecke (Hg.): Rechtsphilosophie oder Rechtstheorie? Darmstadt 1988
- B. Rüthers: Rechtstheorie. München 32007.
FG
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