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Metzler Lexikon Philosophie: Ich

In der antiken und ma. Philosophie wird dem Begriff des I. kein nur ihm eigentümlicher Bedeutungsgehalt zugeordnet. Ein philosophisch bedeutsamer Begriff des I. entwickelt sich erst im Zuge der Entstehung der neuzeitlichen Erkenntnistheorie und Metaphysik. – Bei Descartes bezeichnet das Pronomen »i.« eine in ontologischer Hinsicht von der Welt materieller Objekte (»res extensa«) grundsätzlich verschiedene, denkende immaterielle Ego-Substanz, die alleiniger Träger von Bewusstseinszuständen ist (»res cogitans«). In epistemischer Hinsicht zeichnet sich diese Ich-Substanz dadurch aus, dass sie zwar an den Inhalten ihres Wissens zweifeln kann, nicht jedoch daran, dass sie selbst es ist, die zweifelt. Im Denken des Zweifelns ist das I. unmittelbar seiner Existenz gewiss. – Bei Locke bezeichnet der Ich-Begriff das »bewußt denkende Wesen, gleichviel aus welcher Substanz es besteht (ob aus geistiger oder materieller, einfacher oder zusammengesetzter)« (Versuch über den menschlichen Verstand II, 27, 17). Locke fragt also nicht nach dem ontologischen Status des I.; stattdessen führt er den Begriff des I. als das in Zeit und Raum fortdauernde Identitätsbewusstsein der Person ein, ohne das deren Verantwortbarkeit für ihre Handlungen nicht zu denken ist. Für diese Identität ist weder der Begriff des Menschen als individuelle Substanz hinreichend noch der Begriff einer immateriellen Seelensubstanz notwendig. – Leibniz definiert den Ich-Begriff durch das Merkmal der Selbstreflexion (als Nachdenken über sich selbst), das das I. von allem anderen Beseelten unterscheidet. Die Selbstreflexion befähigt die vernünftige Seele zur theoretischen Einsicht. – Hume wendet sich gegen die Auffassung, dass das I. eine vom Körper abtrennbare selbstbewusste Seelensubstanz sei, die als exklusiver Träger von Bewusstseinszuständen in Frage kommt. Auf der Basis seines Empirismus macht die Rede von einem solchen I. keinen Sinn, da eine solche Seelensubstanz nicht Gegenstand der Erfahrung sein kann. Das I. ist nach Hume nichts als eine Summe von assoziativ zusammengefassten Gedankeninhalten. – Diese Kritik am Begriff einer immateriellen Ego-Substanz wird von Kant mit seiner Unterscheidung von empirischem und transzendentalem I. aufgegriffen und differenziert. Das empirische I. ist Gegenstand der Erfahrung nur, insofern es Objekt des inneren Sinnes ist. Dabei wird keine immaterielle Seelensubstanz erkannt, sondern nur eine Abfolge von Bewusstseinszuständen. Das empirische I. ist dadurch ebenso Erscheinung wie andere Gegenstände der Erfahrung. Wie das empirische I. ist auch das transzendentale I. keine Seelensubstanz. Ebenso wenig ist es aber eine Erscheinung und kann daher nicht erfahren werden. Mit dem Begriff des transzendentalen I. als dem »Ich denke«, das alle meine Vorstellungen begleiten können muss (KrV, B 132), drückt Kant die formale Bedingung der Einheitlichkeit aus, die für alle Erfahrung notwendig vorauszusetzen ist, und wodurch sie kategorial strukturiert und synthetisiert wird. Insofern das I. sich auf seine inneren Zustände erkennend bezieht, ist es Teil der Erscheinungswelt und deren Gesetzen unterworfen; insofern es sich jedoch als praktisches frei zum Handeln bestimmt, ist es intelligibel. – Fichte greift sowohl die kantische Vorstellung des Ich als die Einheitsbedingung des Denkens, als auch die seit Descartes bestehende Forderung, dass das Wissen eine unbezweifelbare Basis haben müsse, auf: Das I. der »Wissenschaftslehre« wird zum absoluten Prinzip des Wissens. Dieses I. ist weder eine Seelensubstanz noch ein individuelles I., sondern eine sich in allem Wissen ausdrückende spontane Aktivität, die sich im »Sich selbst Setzen« und im »Setzen« des Nicht-I. durch eine »Thathandlung« ihre eigene Wirklichkeit als Wissen von sich selbst und von ihren »Gegenständen« gibt. »Absolut« ist dieses Prinzip »I.«, weil es aus keinem höherem abgeleitet werden kann und weil es sich im Wissen gleichsam selbst organisiert. Das absolute I. ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff des I. als empirisches, individuelles Selbstbewusstsein, der bei Fichte dem Begriff der Person entspricht.

Auch Husserl unterscheidet mehrere Ich-Begriffe: Zwar kommt jedem empirischen I. ein transzendentales zu; dennoch ist das reine I. nicht mit dem »I. als der realen Person, mit dem realen Subjekt des realen Menschen« (Ideen, Hua. Bd.IV, S. 104) zu verwechseln. Das reine I. stellt als die Bedingung der Möglichkeit von Bewusstseinsakten das diese Akte vollziehende identische Subjekt dar. Es steht mit der Welt in einer antithetischen Beziehung, bei der die Thesis des I. eine »notwendige« ist, insofern der Gedanke des Nichtseins der »leibhaft gegebenen Erlebnisse« des I. in sich widersprüchlich ist, während die Thesis der Welt eine »zufällige« ist, weil das »leibhaft gegebene Dingliche« (Ideen, Hua Bd.III.1, S. 98) sein oder nicht sein kann. In dieser antithetischen Beziehung zeigt sich das Wesensmerkmal der Gerichtetheit des I. auf Gegenständlichkeit, die sich in jedem Bewusstseinsakt ausdrückt: jedes cogito fordert ein cogitatum, Bewusstsein ist immer Bewusstsein von etwas. Neben der Intentionalität des I. ist die »Möglichkeit einer originären Selbsterfassung« (Ideen, Hua Bd.IV, S. 101) ein weiteres Wesensmerkmal des I.

Die sprachanalytische Philosophie (Sprachphilosophie, analytische) untersucht die mit dem Gebrauch des Pronomens »i.« einhergehende Funktion der Selbstreferenz des Sprechers sowie die damit verbundenen epistemischen Einstellungen, um u.a. auf diese Weise Anhaltspunkte für eine Klärung des Sachverhalts »Selbstbewusstsein« zu gewinnen. Nach Strawson ist nicht eine körperlose Ego-Substanz das ausgezeichnete Referenzobjekt des Ausdrucks »I.«, sondern der Sprecher, der mittels dieses Pronomens auf sich verweist. Folgt man Strawson, so ist die Idee einer reinen Ego-Substanz das Ergebnis einer Fehlinterpretation des Sachverhalts, dass die Selbstzuschreibung von Bewusstseinszuständen weder auf Beobachtung beruht noch hinsichtlich der »Identifikation« des Referenzobjektes fehlgehen kann. Diese beiden Besonderheiten im Gebrauch des Ausdrucks »i.« bei der Selbstzuschreibung mentaler Zustände berechtigen nicht dazu, auf eine distinkte Ego-Substanz zu schließen. Mit dem Pronomen »i.« wird also nicht identifiziert (wie etwa äußere Gegenstände identifiziert werden), sondern eine identifizierbare Person gemeint. – Shoemaker knüpft seine Überlegungen an die beiden genannten Besonderheiten des Gebrauchs von »i.« bei der Selbstzuschreibung mentaler Zustände an. Demnach ist die Verwendung des Pronomens »i.« bei dieser Art Selbstzuschreibung fundamentaler als bei seiner Verwendung in der Selbstzuschreibung von Prädikaten, die physische Sachverhalte ausdrücken, insofern diese auf der Möglichkeit nicht-perzeptiver Selbstreferenz beruht. Beide Verwendungsweisen sind spezifische Merkmale seines Gebrauchs als Referenzausdruck. – Castañeda schließt aus der epistemischen und referentiellen Besonderheit im Gebrauch von »i.« gegenüber anderen Indikatoren auf eine ontologische Priorität: Weder bei der Identifikation der Entität noch bei der Bestimmung der Klasse von Entitäten kann sein richtiger Gebrauch fehlschlagen. – Chisholm expliziert die Besonderheiten von »i.« nicht als Merkmale der Sprachverwendung, sondern als Merkmale von Referenz und Intentionalität. Demnach ist jeder intentionale Fremdbezug eines Subjekts als Relation Gegenstand einer propositionalen indirekten Attribution, während sich das Subjekt dieses »In-Beziehung-Stehen mit anderem« selbst direkt als Eigenschaft zuschreibt.

Literatur:

  • P. Bieri (Hg.): Analytische Philosophie des Geistes. Königstein/Ts. 1981
  • H.-N. Castañeda: Sprache und Erfahrung. Frankfurt 1982
  • R. M. Chisholm: The First Person. Brighton (Suss.) 1981
  • P. F. Strawson: Einzelding und logisches Subjekt. Stuttgart 1972.

RK

  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
IR Ines Riemer, Hamburg
JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
KH Kai-Uwe Hellmann, Berlin
KHG Karl-Heinz Gerschmann, Münster
KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
KRL Karl-Reinhard Lohmann, Witten
KS Kathrin Schulz, Würzburg
KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
LG Lutz Geldsetzer, Düsseldorf
LR Leonhard Richter, Würzburg
MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
OFS Orrin F. Summerell, Bochum
PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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