Metzler Lexikon Philosophie: Mahāyāna
(sanskrit, Großes Fahrzeug). Der Name M. ist eine Eigenbezeichnung, die das neue Erlösungsideal dieser Richtung des Buddhismus hervorhebt: im Gegensatz zum Hīnayāna, der den nur für sich selbst Erlösung anstrebenden Arhat (Pāli: arahant), der nur ein Mönch sein konnte, ins Zentrum stellte, wurden im M. die Laien insofern direkt mit in die Heillehre aufgenommen, als sie auf dem Weg zur Erlösung einerseits Hilfe von dem neuen Ideal des Bodhisattva erwarten konnten, andererseits auch selbst Erleuchtung, also die Buddhaschaft erringen konnten: so bot der M. mehr Individuen (großes Fahrzeug) die Möglichkeit, Heil oder Erlösung zu erlangen. Für den einfachen Laien bot der M. die Möglichkeit, über die Verehrung (Bhakti) der zahlreichen Buddhas und Bodhisattvas, die einen regelrechten Pantheon bildeten, zwar nicht die Erlösung, aber doch bessere Wiedergeburtsstadien, z.B. im »glückseligen« Lande Sukhāvatī des Buddha Amitābha (»Buddha des unermesslichen Glanzes«, chin. Amitofo, jap. Amidabutsu), zu erlangen. Die neuen Lehren schlagen sich in Sūtras jüngeren Datums (ab Chr. Geb.) als die des Hīnayāna und unterschiedlichen Inhalts nieder (Saddharmapuṇḍarīka-S. »S. vom Lotos des wahren Gesetzes«, Prajñāpāramitā-S.s »S.s von der Vollkommenheit der Erkenntnis«, Avataṃsaka-S. »Diadem-S.«, usw.). Wichtige philosophische Konzepte sind einmal die Lehre von der Leere (śūnyatā Mādhyamika): alles, selbst das Nirvāṇa, ist leer (śūnya). Durch die erfahrene Erkenntnis dieser Wahrheit (prajñā, vijñāna) kann man die Erleuchtung, positiv als »Glück« (sukha) gefasst, erlangen. Eine weitere Erweiterung erfuhr der Buddhismus im M. durch die Drei-Leiber-Lehre (trikāya): nicht der historische Buddha (nirmāṇa-kāya »manifester Leib«) gilt als die höchste Stufe der Buddhaschaft, sondern ihm übergeordnet sind die transzendenten Buddhas (saṃbhoga-kāya) über denen als Absolutes der Dharma-kāya (»Dharma-Leib«) steht. Die wichtigsten Schulen des M. sind die der Mādhyamika und die der Yogācārin (»die der Lehre der Yogaübung anhängen«) oder Vijñānavādin (»die der Lehre der Erkenntnis anhängen«, chin. faxiang, jap. hossō). Die bekanntesten Vertreter der Letzteren sind Vasubandhu und Asaṅga (4. Jh. n.Chr.). Vijñānavāda vertritt einen Idealismus, indem er annimmt, dass alle Erscheinungen der Außenwelt »nur Geist« (cittamātra) sind. Geist erscheint in zwei Arten von Bewusstsein: das Denkbewusstsein (manovijñāna), das das vermeintliche individuelle Bewusstsein konstituiert, und das überindividuelle »Speicherbewusstsein« (ālayavijñāna), in dem Eindrücke und Karma gespeichert werden, die letztlich die Herausbildung eines illusionären individuellen Denkorgans (manas) = Individuums verursachen. Mit dem Speicherbewusstsein wird versucht, z.T. das buddhistische Paradoxon einer Wiederverkörperung ohne Seele, Individuum (anātman) aufzulösen. Der Erlösungsvorgang besteht hier in einer Erkenntnis ohne Objekt, die durch meditative Übungen (yoga) erreicht werden kann. In Ostasien ist – neben dem Tantra (chin. mijiao, jap. mikkyo »Geheim-, esoterische Lehre«) und den Entwicklungsformen der chinesischen Schulen (chin. Tiantai, jap. Tendai; chin. Huayan, jap. Kegon, usw.) – besonders eine Richtung des M. zu erwähnen: die des (chin.) Chan oder (jap.) Zen, für die Meditation (sanskrit: dhyāna) und eine dadurch mögliche Erleuchtung (chin. wu, jap. satori) im Mittelpunkt steht und sich philosophisch auf Mādhyamika und Vijñānavāda zurückführen lässt.
Literatur:
- E. Conze: Buddhistisches Denken. Frankfurt 1990. S. 277 ff
- H. Dumoulin: Zen-Buddhismus. 2 Bde. Bern 1985
- U. Schneider: Einführung in den Buddhismus. Darmstadt 21987. S. 177 ff
- H.-W. Schumann: Buddhismus. Stifter, Schulen u. Systeme. Freiburg 1978
- Ders.: Mahayana-Buddhismus. München 1990
- Th. Stcherbatsky: Buddhist Logic. 2 Bde. Leningrad 1930–32.
MD
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