Metzler Lexikon Philosophie: Neuplatonismus
einflussreiche philosophische Richtung der Spätantike, welche unter Integration anderer philosophischer und außerphilosophischer Elemente eine Weltdeutung im Sinne der platonischen Transzendenzphilosophie anstrebte. Als »Begründer« der neuplatonischen Bewegung gilt der Ägypter Ammonios Sakkas (gest. um 242), dessen Persönlichkeit aber, da er keine Schriften hinterließ und die Überlieferung spärlich ist, nur schwer zu erfassen ist. Sein »Schüler« Plotin (205–270) gründet 244 in Rom eine Philosphenschule und verfasst 54 Abhandlungen (sog. Enneaden). Damit ist Plotin die mit Abstand wichtigste Quelle des frühen N., sein Schülerkreis wird zum eigentlichen Träger der Bewegung. Der N. avanciert schnell zur führenden philosophischen Richtung der späten Kaiserzeit und breitet sich in den Bildungszentren des Reiches aus (Syrien: Jamblichos; Pergamon: Sallustios, Kaiser Julian; Alexandrien: Hierokles). Spätestens seit Plutarch v. Athen (gest. 433) gibt er in der traditionellen platonischen Lehr- und Forschungsstätte, der Athener Akademie, den Ton an. Unter dem Scholarchen Proklos erreicht die Akademie ihre letzte große Blüte. Als Kaiser Justinian 529 die Schule schließen lässt, verlassen die verbliebenen Mitglieder (darunter Damaskios, Simplikios) das Reich für drei Jahre. Auch im lateinischen Westen bestimmt neuplatonisches Denken das geistige Leben sowohl der heidnischen (Macrobius, Symmachus) wie der christlichen Bildungsschicht. Als deren bedeutendste Vertreter können Marius Victorinus, (der frühe) Augustinus und Boethius gelten. – Bei aller Verschiedenheit der einzelnen neuplatonischen Philosophen besteht Einigkeit in ihren Grundanschauungen: Sie alle sehen sich in der »wahren« Nachfolge Platons als Erneuerer seiner Philosophie nach einer Periode der Skepsis (Akademie). Die »Erneuerung« besteht hauptsächlich in der Besinnung auf die platonische Metaphysik, speziell die Ideenlehre. Diese Transzendenzphilosophie – bei Platon nur ein Moment seines Gesamtwerkes – wird zum Zentrum, dem praktisch alle anderen Disziplinen dienstbar gemacht werden. Platons »Idee des Guten«, seine höchste Wesenheit, entfaltet Plotin in drei »Hypostasen« (Eines-Geist-Seele), seine Nachfolger differenzieren diese zu einem hierarchischen Emanationssystem aus, um so das platonische Chorismos-Problem, die Trennung bzw. das Verhältnis von Endlichem und Unendlichem, Immanenz und Transzendenz, zu lösen. In diesem Bemühen greift der N. auch auf andere Denkrichtungen zurück und bemüht sich, besonders Aristoteles und seine Schule, aber auch die Stoa und den Neupythagoreismus (nicht jedoch den diesseitsbezogenen Epikureismus) zu integrieren. Desgleichen öffnet sich der N. östlichen Mysterienkulten und Religionen bis hin zur Magie. Dabei sieht er sich in einer zunehmend christlich werdenden Welt betont als philosophisch-religiöse Alternative (überliefert sind z.T. heftige Polemiken gegen die Christen). Dies wieder führt zu der paradoxen Erscheinung, dass christliche Apologeten, zu intensiver Beschäftigung mit dem N. herausgefordert, diesen ins Christliche übersetzen und zur philosophischen Fundamentierung ihrer Glaubenslehren benutzen. Auf diese Weise wirkt der N. in starkem Maße in der Patristik weiter und über sie das ganze MA. hindurch (wichtig: Pseudo-Dionysius Areopagita). Nach der arabischen Eroberung des östlichen Mittelmeerraums im 7. Jh. dringt der N. auch in die Philosophie des Islam ein (Farabi, Avicenna, Sufismus) und wirkt von dort auch auf die christliche Philosphie des MA. Eine neue Blüte erfährt er im Westen in der Renaissance (Akademie von Florenz).
Literatur:
- W. Beierwaltes: Denken des Einen. Frankfurt 1985
- W. Theiler: Forschungen zum Neuplatonismus. Berlin 1966
- C. Zintzen (Hg.): Die Philosopie des Neuplatonismus. Darmstadt 1977.
JS
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