Metzler Lexikon Philosophie: Realgrund/dealgrund
Die Unterscheidung zwischen einem R. und einem I. ist innerhalb der in der deutschen Schulphilosophie geführten Diskussion um den »Satz vom zureichenden Grund« (principium rationis sufficiens) von Bedeutung. In ihrer deutschen Formulierung geht die Unterscheidung offenbar auf Ch.A. Crusius zurück, der sie als Übersetzung der lateinischen Ausdrücke »ratio essendi« und »ratio cognoscendi« wählt. Unter einem I. (oder Erkenntnisgrund) versteht Crusius einen Grund, »welcher die Erkenntnis einer Sache mit Überzeugung hervorbringt«, von dem er den R. unterschieden wissen will, der die Sache selbst ausserhalb den Gedanken hervorbringt oder möglich macht (Met. § 34). Crusius kommt es darauf an, dass man R.e im Sinne physischer Ursachen nicht mit Erkenntnisgründen verwechseln dürfe. In ethischer Hinsicht scheint mit einer mangelnden Unterscheidung der beiden Arten von Gründen nach Crusius zudem eine deterministische Auffassung einher zu gehen, da man dann, wenn man als hinreichende Gründe für Ereignisse nur die sogen. R.e auffasst, die »Grundtätigkeiten der Freiheit« nicht erklären könne. Kant nimmt Crusius’ Unterscheidung zunächst auf, wenn er von dem Unterschied zwischen einer »ratio essendi vel fiendi« und einer »ratio cognoscendi« spricht. Bei Letzterer handelt es sich danach um eine »ratio antecedenter determinans«, d.h. um eine Ursache, die dem, was sie bewirkt, vorhergeht, während die ratio essendi lediglich eine »ratio consequenter determinans« ist, d.h. ein Grund, der in dem Sinne nachträglich bestimmend ist, dass er als ein Kennzeichen (criterium) fungiert. Der Sache nach nimmt Kant auch in seinem Gottesbeweis die Konzeption des R.es in Anspruch. In seiner späteren kritischen Philosophie spielt die Unterscheidung jedoch keine Rolle mehr. Die in der Schulphilosophie diskutierte Problematik, die um die Suche nach hinreichenden R.en und um die notwendige Unterscheidung der R.e von den I.en kreist, ist mit der Kantischen Konstitutionstheorie gegenstandslos geworden: »Der Satz: Alle Dinge haben ihren Grund, oder, mit anderen Worten, alles existiert nur als Folge, d.i. abhängig seiner Bestimmung nach, von etwas anderem, gilt ohne Ausnahme von allen Dingen als Erscheinungen im Raume und Zeit, aber keineswegs von Dingen an sich selbst« (Akad.-Ausg. 8, 213). Bei Fichte, Schelling und Hegel ist zwar gelegentlich von R.- und I.en die Rede, doch bleiben auch sie der Kantischen Kritik an der Auffassung von R.en verpflichtet. Hingegen knüpft Schopenhauer an das erkenntnistheoretische Motiv der Crusianischen Unterscheidung zwischen R.- und I.en an. Er unterscheidet vier Arten von Gründen und erblickt im Satz vom Grund die gemeinsame Grundlage aller apriorischen Erkenntnisformen und somit auch die »Grundlage aller Wissenschaft«. Auch für ihn bleibt aber die Kantische Restriktion der Kausalität auf den Bereich der »Erscheinungen« maßgeblich. Im Anschluss an Schopenhauer nimmt im 20. Jh. N. Hartmann das Konzept des R.es wieder auf.
Literatur:
- S. Majetschak: Realgrund. In: HWPh. 8. S. 136–140
- A. Schopenhauer: Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grund. Sämtl. Werke 7. Wiesbaden 1950.
JH
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