Metzler Lexikon Philosophie: Subjekt
(lat. subiectum: wörtl. »das Daruntergeworfene«), wird im Aristotelismus des MA. zum terminologischen Ausdruck für eine zugrundeliegende Wirklichkeit, von der anderes in seinem Sein abhängt und im Ausgang von der es aufgefasst werden muss, wenn es gewusst werden soll. In dieser ontologischen Bedeutung rückt der Begriff des S.s in enge Nähe zum Begriff der Substanz, ohne doch einfach mit ihm identifiziert werden zu können. So ist bereits nach Aristoteles das Zugrundeliegende (griech. Hypokeimenon) lediglich eine der verschiedenen Bedeutungen von »Substanz« und auch dies nur, sofern es ein erstes Zugrundeliegendes ist, das als solches von keinem anderen mehr ausgesagt werden kann. – Die Differenz zur Substanz verweist damit auf eine logische Bedeutung des Zugrundeliegenden, nach der es etwas ist, von dem anderes ausgesagt wird. Von hier aus hat sich unter Vernachlässigung des ontologischen Aspekts die auch heute noch geläufige grammatische Unterscheidung von S. und Prädikat entwickelt. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass das S. noch weit über das MA. hinaus vom Zusammenhang dieser Bedeutungen bestimmt und demgemäß ebenso als Gegensatz zu Attributen wie zu Prädikaten gedacht war.
Erst Descartes leitet eine Entwicklung ein, in deren Verlauf das S. eine erkenntnistheoretische Bedeutung annimmt, die an die Stelle der alten ontologischen Bedeutung tritt. Entscheidend ist dabei sein Versuch, die Gewissheit des denkenden Selbstbezugs als einzig unbezweifelbare Gewissheit zu erweisen. Denn dadurch wird das denkende Ich zur eigentlichen Grundlage aller Wissenschaft, zum letzten Zugrundeliegenden wissenschaftlich überhaupt erfassbarer Wirklichkeit. Obwohl Descartes vom S. noch ausschließlich in der alten scholastischen Bedeutung spricht, ist damit der Sache nach doch bereits bei ihm eine Identifikation von S. und denkendem Ich vollzogen, die für die Philosophie der Neuzeit insgesamt prägend wurde. Ihr deutlichster Ausdruck ist der neue Gegensatz von S. und Objekt und das neue Problem, wie dieser Gegensatz durch das S. im Erwerb objektiver Erkenntnis überwunden werden kann.
Hatte Descartes Existenz und Wissbarkeit von Objekten noch durch einen problematischen Gottesbeweis zu bestätigen versucht, gelangt Kant zu der Einsicht, dass objektive Erkenntnis nur möglich ist, wenn Objekte in ihrer Erkennbarkeit durch das Erkenntnisvermögen des S.s konstituiert werden. Vorausgesetzt ist dabei die Unterscheidung von transzendentalem und empirischem S. Denn objektive Erkenntnis kann offenkundig nicht von den empirisch auftretenden Eigenheiten verschiedener Individuen abhängig sein, sondern allenfalls von einer alle Individuen verbindenden intersubjektiven Charakteristik. – Entsprechendes gilt nach Kant im Bereich der Praxis. So ist das S. für ihn nur insofern moralische Person, als es den intersubjektiv verbindlichen kategorischen Imperativ gegen empirisch vorherrschende Neigungen in eine freie Willensbestimmung umzusetzen vermag. Die erkenntnistheoretische Bedeutung des S.s hängt deshalb eng mit einer ethisch-moralischen Bedeutung zusammen.
Es war zunächst Fichte, von dem dieser Zusammenhang weiter herausgearbeitet wurde, indem er das S. jenseits der Differenz von Theorie und Praxis ansiedelte und nicht mehr als ein besonderes Sein, sondern wesentlich als Aktivität auffasste. Noch weiter ging Hegel, der im Anschluss an Schellings Kritik der fichteschen Unterscheidung von Ich und Nicht-Ich die idealistische Systemkonstruktion durch die Bestimmung der Substanz als S. zum Abschluss zu bringen versuchte. Da damit v.a. gemeint ist, das Sein dürfe nicht nur als Objekt der Reflexion, sondern müsse als in sich reflektiert begriffen werden, ist Hegels Auffassung des S.s zugleich als Radikalisierung seiner modernen Verankerung im Ich, wie als Rückgriff auf die logisch-ontologische Bedeutung zu verstehen, die er in der Antike besaß. Auf dieser Grundlage soll der Begriff der Sittlichkeit auch den Gegensatz zwischen praktischem S. und der objektiven Welt der Institutionen vermitteln.
Im Zuge der nicht zuletzt gegen Hegel gerichteten Metaphysikkritik des 19. und 20. Jh. ist auch der Begriff des S.s zunehmend unter Druck geraten. Eine wirkliche Ausnahme stellt hier allein die Husserl’sche Phänomenologie dar, die sich noch einmal ausdrücklich in die cartesianische Tradition stellt. Prägend wirken dagegen bis heute eher Versuche ihrer Überwindung, wie etwa Heideggers Daseinsanalytik, sein hierin noch radikaleres seinsgeschichtliches Denken oder Wittgensteins Spätphilosophie, die sich an Sprachspielen bzw. Lebensformen orientiert. Selbst im Kontext einer weithin kantianisch inspirierten Moral- und Rechtsphilosophie verhindern metaphysikkritische Vorbehalte eine emphatische Bezugnahme auf dessen dualistischen Subjekt-Begriff.
Literatur:
- R. Bubner: Rationalität, Lebensform und Geschichte. In: H. Schnädelbach (Hg.): Rationalität. Frankfurt 1984
- H. Caton: The Origin of Subjectivity. New Haven/London 1973
- R. Descartes: Meditationen. Hamburg 1977
- K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn 1976
- H.-G. Gadamer: Hegels Dialektik des Selbstbewusstseins (Ges. Werke Bd. 3). Tübingen 1987
- D. Henrich: Selbstverhältnisse. Stuttgart 1982
- I. Kant: Kritik der reinen Vernunft. Transzendentale Deduktion
- M. Heidegger: Sein und Zeit (Gesamtausg Bd. 2). Frankfurt 1977
- Ders.: Die Frage nach dem Ding (Gesamtausgabe Bd. 41). Frankfurt 1984
- E. Husserl: Cartesianische Meditationen. Hua Bd. I. Den Haag 1950
- G. Ryle: The Concept of Mind. London 1949.
WAM
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