Metzler Lexikon Philosophie: Tod
im weitesten Sinne das Aufhören des individuellen Lebens, das Aussetzen der organischen Tätigkeit eines menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Lebewesens, dessen körperliche Überreste von da an den Gesetzen des Anorganischen unterstehen. – In einem engeren Sprachgebrauch bezeichnet T. das Sterben des Menschen, wobei sich drei Bedeutungen unterscheiden lassen: (1) Tod als der Zustand nach dem Leben, das Totsein; (2) Tod als der Übergang vom Leben zum Nicht-mehr-Leben; (3) Tod als die personifizierte Ursache des Lebensendes.
Zum Phänomen des T.es scheint die Philosophie seit ihrem Anbeginn, d.h. seit der Antike ein besonders enges Verhältnis unterhalten zu haben; einiges spricht dafür, dass das Bewusstsein des T.es ein Beweggrund ist, aus dem heraus überhaupt philosophiert wird. Das eigentümliche Erkenntnisproblem, das mit der Frage nach dem T. verbunden ist, ist in der Geschichte der Philosophie jedoch erst vergleichsweise spät, d.h. in der Moderne, gesehen worden. Im Hinblick auf dieses zwischen 1831/32 (Tod Hegels und Goethes) und 1927 (Heidegger: Sein und Zeit) aufbrechende Problembewusstsein und die daraus erwachsenden theoretischen Neuansätze lassen sich grob zwei philosophische Konzeptionen des T.es unterscheiden: eine metaphysische und eine nachmetaphysisch-existentialphilosophische. – (1) Das metaphysische Todesverständnis, erstmals von Platon im Gorgias (523e) und eindringlicher dann im Phaidon (61c, 63e-64a, 64e-65a, 67d-e) ausgesprochen, begreift den T. als Scheidung von Seele und Leib. Hinter dieser Konzeption steht der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele, welche immateriell und präexistent nach ihrer vorübergehenden Wohnsitznahme im Körper sich von diesem wieder befreit. Der metaphysische Todesbegriff ist demnach unablösbar gebunden an die Annahme eines »Lebens« nach dem Leben bzw. nach dem T. – (2) Für das nachmetaphysische Todesverständnis hingegen ist diese Annahme nicht mehr verbindlich. Mit der von Kierkegaard eingeleiteten Subjektivierung des Todes tritt die Bedeutung der privilegierten Erfahrungsweise des je eigenen T.es in den Vordergrund. Der T. betrifft nun das Individuum als ganzes, seine volle Existenz und nicht mehr nur seine sterblichen Anteile. Dementsprechend verlagert sich das nachmetaphysische Erkenntnisinteresse auf die Frage nach der Gegenwart des T.es im Leben. Die sich darin abzeichnende »Inversion der Thanatographie« (H. Ebeling) findet in Heideggers Sein und Zeit ihre konzeptionelle Vollendung. Die spezifische menschliche Seinsweise, das Dasein als solches, ist nach Heidegger nun wesentlich ein »Sein zum Tode« (Sein und Zeit, §§ 46–53). Diese existentielle Ausrichtung auf den T. kann nach Heidegger entweder verfehlt oder in ihrer ganzen Tragweite erkannt und übernommen werden. Allein Letzteres ermöglicht dem Dasein einen ausgezeichneten, »von der Verlorenheit in die zufällig sich andrängenden Möglichkeiten« (§ 53) gereinigten Selbstbezug, eröffnet ihm die »ontologische Möglichkeit« eines »eigentlichen Ganzseinkönnens« (§ 53).
Gegen die fortschreitende Subjektivierung der Todesproblematik in der Moderne ist von verschiedener Seite Kritik erhoben worden. Sartre betont gegen Heidegger, das Moment des Unbegreiflichen, der Absurdität des T.es, welches sich einer Reduktion auf subjektive Seinsmöglichkeit widersetzt (L’Etre et le Néant). Er erneuert damit das Argument von der Unerkennbarkeit des T.es, das sich in der philosophischen Debatte von Epikur bis Feuerbach durchhält und das in modifizierter Form auch in das Denken Blochs und Marcuses Eingang findet.
Literatur:
- Ph. Ariès: Geschichte des Todes. München 1980
- J. Choron: Der Tod im abendländischen Denken. Stuttgart 1967
- H. Ebeling (Hg.): Der Tod in der Moderne. Frankfurt 31992
- L. Feuerbach: Gedanken über Tod und Unsterblichkeit. In: Sämtliche Werke. Hg. v. W. Bolin u. F. Jodl. Bd. 1. S. 3–90
- E. Fink: Metaphysik und Tod. Stuttgart 1969
- R. Fulton (Hg.): Death and Identity. New York 1965
- M. Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen 161986
- S. Kierkegaard: An einem Grabe (1845). In: Ges. Werke. 13. u. 14. Abt. Düsseldorf/Köln 1952
- H. Marcuse: The Ideology of Death. In: H. Feifel (Hg.): The Meaning of Death. New York 21965. S. 64–76
- R. Marten: Der menschliche Tod. Eine philosophische Revision. Paderborn/München 1987
- J.-P. Sartre: L’Etre et le Néant. Paris 1943 (dt.: Das Sein und das Nichts. Reinbek b. Hamburg 1993.) – G. Scherer: Das Problem des Todes in der Philosophie. Darmstadt 1979
- W. Schulz: Zum Problem des Todes. In: A. Schwan (Hg.): Denken im Schatten des Nihilismus. Darmstadt 1975. S. 313–333
- M. Theunissen: Negative Theologie der Zeit. Frankfurt 1991
- A. Toynbee (Hg.): Vor der Linie. Der moderne Mensch und der Tod. Frankfurt 1970.
AC
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