Metzler Lexikon Philosophie: Welt
(1) Die vorherrschende Bedeutung von W. ist unserem alltäglichen Sprachgebrauch zufolge die Vorstellung unserer Erde, sofern sie von Menschen bevölkert und kulturell geprägt ist. Sie umfasst also die gesamte Menschheit in räumlicher und geschichtlicher Erstreckung, worauf sich beispielsweise Sachverhalte wie Weltgeschichte oder Weltwirtschaft beziehen. Die Bestimmung des Umfassenden und des alles mit allem darin Zusammenhängenden leitet hinüber zu der weiteren und ebenfalls geläufigen Bedeutung von W. als dem Universum, in dem unsere W. lediglich als Teil- und Weltkörper unter anderen zahllosen Weltkörpern des Weltalls vorkommt. Dass sich die Bedeutung W. jedoch keineswegs in dieser astronomischen Vorstellung erschöpft, ja, dass sie nicht einmal die Grundbedeutung ist, erweist sich an der Möglichkeit, das Wort W. auf vielfältige Weise zu verwenden, ohne den einen durchtragenden Sinn zu wechseln. Denn »überall, wo der Sprecher auf ein abgeschlossenes Ganzes, auf universale Fülle, welcher Art auch immer, zielt, springt das Wort Welt als Bezeichnung ein« (Grimmsches Wörterbuch, Sp. 1459). So spricht man von der »W. der Physik« oder von der »W. des Tieres«, von der »W. der Zahlen« oder der »Arbeitswelt«, von der »sinnlichen, geistigen, seelischen W.«
(2) Diesem mannigfaltigen Sprachgebrauch liegt trotz aller historischer Bedingtheit im Einzelfall ein hochabstrakter Begriff zugrunde, dessen wesentliche Merkmale vor allem sind: Ganzheit, Zusammenhang, Ordnung, Allheit oder Totalität von etwas Mannigfaltigem, so dass nicht nur alles, was unter eine Gattung fällt, den Begriff W. erfüllt, sondern alles, was je eine mögliche Verbindung dazu eingehen kann.
(3) Für das philosophische Verständnis des Begriffs ist es zweckmäßig, die historische Entwicklungslinie nach drei Sachphasen zu unterscheiden, wobei die zentrale Frage nach dem Grund von W. allererst eine Differenzierung nicht nur ermöglicht, sondern notwendig macht, da ohne sie die Frage nach der W. über den historischen und logischen Befund nicht hinauskäme. (a) Die Griechen fassten das Ganze des Wirklichen, die Totalität alles Seienden unter dem Begriff des Kosmos. Sie unterschieden innerhalb des einen Kosmos den sinnlichen vom geistigen, die Sinnenwelt (kosmos aisthetos, mundus sensibilis) von der Welt des Geistes (kosmos noetos, mundus intelligibilis). Während der Grund des Kosmos zwar der sinnfälligen Erscheinungswelt transzendendent ist, bleibt er dennoch kosmosimmanent. Das denkende Wesen Mensch betrachtet sich als ausgezeichneter Teil der W. – (b) Mit der jüdisch-christlichen Vorstellung eines Schöpfergottes tritt das Verhältnis von Grund und W. als Geschöpf Gottes, als das All alles Geschaffenen auseinander. Der Grund wird welttranszendent – der Mensch imago dei. Als saeculum und mundus nimmt nun der Begriff W. auch Bedeutungen an, die dem griechischen Kosmosdenken fremd waren, nämlich: Diesseitigkeit, Endlichkeit und Vergänglichkeit alles in Zeit Gewordenen. Außerdem tritt die Welt als »aliud Dei« (Augustinus) in den Gegensatz zum Unendlichen (Gott). In der säkularisierten neuzeitlichen Version wird die Welt ohne Bezug auf den transzendenten Grund schließlich »das mathematische Ganze aller Erscheinungen und die Totalität ihrer Synthesis« (KrV B348). – (c) Innerhalb dieser Entwicklung jedoch bereitete sich jenes philosophische Verständnis von W. vor, das spätestens seit der Renaissance für die Neuzeit entscheidend wurde. Das treibende Motiv in der Linie der Selbstvergewis- serung des Menschen war der Gedanke vom Menschen als Ebenbild Gottes. Der Mensch wird dadurch allem Geschaffenen und damit der W. gegenüber in unvergleichlicher Weise herausgehoben und gewinnt seinen Selbstand zur W. als »homo creator« (N. v. Kues) oder »ut Deus alter« (Bovillus). Er begreift sich als Subjekt und Prinzip von W. Das Verhältnis von Makrokosmos und Mikrokosmos hat sich dergestalt umgepolt, dass nun die W. im Großen ein Abbild der Welt im Kleinen ist. Der Mensch ist »humaner Seinsgrund von Welt«; die W. ist der Auslegungshorizont seiner Kreativität in Endlichkeit. Dies zwingt freilich dazu, die Frage nach dem Grund zu differenzieren, indem man den schlechthin zureichenden Grund von Wirklichkeit überhaupt, das Absolute oder Gott, von dem zwar in sich notwendigen, aber an sich kontingenten Grund von W. unterscheidet. Denn »das weltseiende Wesen Mensch ist dieser Grund deshalb nur in aporetischer Weise, weil … es sich nämlich nicht nur als das ontologische Weltsystem zur Anschauung bringen kann, sondern auch zur Anschauung bringen muss, wenn es überhaupt irgend etwas aus dem Grunde seiner Möglichkeit begreifen will« (R. Berlinger: Philosophie als Weltwissenschaft. Bd. 1. Amsterdam 1975. S. 15).
LR
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