Metzler Lexikon Philosophie: Wille
Neben dem Erkennen wird der W. bzw. das Wollen in der Tradition der Philosophie zu den Grundweisen der geistigen Betätigung des Menschen gerechnet. In der gegenwärtigen Diskussion steht die ethische Bedeutung des W.ns im Vordergrund. Der W. zeichnet den Menschen als ein freies Wesen aus, das nicht naturhaft determiniert ist. Nur aufgrund eines freien W.ns kann ihm Verantwortung für seine Entscheidungen und Handlungen zugeschrieben werden. Dadurch erhält der W. den Stellenwert einer notwendigen Voraussetzung für die Möglichkeit sittlichen Handelns. Bei Kant zeigt sich der W. in dem Vermögen, sich frei von den Antrieben der Sinnlichkeit oder den sozialen Zwängen bestimmen zu können. Charakteristisch für den Menschen ist seine Fähigkeit, von seinen Neigungen und Trieben Abstand nehmen und sie einer eigenen Beurteilung unterziehen zu können. Der W. wird bei Kant als ein Vermögen gedacht, der Vorstellung gewisser Gesetze gemäß sich selbst zum Handeln zu bestimmen (GMS 427). Der W. zeichnet sich durch die vernünftige Selbstbestimmung aus. – Die Diskussion über den Stellenwert des W.s konzentriert sich im Wesentlichen auf zwei Aspekte: (1) Kommt dem Menschen mit seinen Naturanlagen, Neigungen und Trieben tatsächlich eine solche Freiheit des W.ns zu? (2) Kommt dem W.n der Status einer selbständigen Substanz zu? Die erste Frage, die auch Kants Auffassung betrifft, wurde von Descartes durch die Annahme zweier Substanzen, nämlich Geist und Körper, beantwortet: Nur die Naturseite des Menschen könne der Determination unterliegen, dagegen ist er als Vernunftwesen frei, sich selbst zu bestimmen. Die Gegenposition dazu wird durch Hobbes’ Annahme markiert, dass der Mensch durch seine Leidenschaften bestimmt sei und die letzte Neigung oder Abneigung, die unmittelbar mit der Handlung oder Unterlassung zusammenhängt, als W. bezeichnet werden könne. W. ist deshalb die Neigung, die beim Überlegen am Schluss überwiegt (Leviathan Kap. 6). Der Status einer selbständigen Substanz wird u. a. durch die sprachanalytischen Untersuchungen von Ryle bestritten (Philosophie der normalen Sprache). Ein solches Substanzenmodell unterstellt seiner Ansicht nach, dass der W. als Ursache und das Wollen als Handlung zu begreifen sei. Seine Kritik an dieser Auffassung begründet er durch den Nachweis, dass man Willensakte nicht durch Tätigkeitsverben beschreiben kann, weshalb das Ursache-Handlungs-Modell als sprachlich sinnlose Konstruktion auszuscheiden ist. Der Begriff W. ist dann als Aspekt des menschlichen Handelns zu verstehen, nämlich willentlich bzw. absichtlich eine Tätigkeit zu vollziehen.
Literatur:
- Aristoteles: Nikomachische Ethik. Kap. III
- R. Descartes: Meditationen über die Erste Philosophie. 4. Meditation
- Th. Hobbes: Leviathan.- I. Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Akad.-Ausg. S. 412 ff
- G. Ryle: Der Begriff des Geistes. Stuttgart 1969. Kap 3
- A. Schöpf: Wille. In: Handbuch philosophischer Grundbegriffe Bd. 6. Hg. v. H. Krings/H. M. Baumgartner/Ch. Wild. München 1974.
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