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Metzler Lexikon Philosophie: Yīn Yáng

(Yin und Yang), zwei Grundprinzipien der alten chinesischen Naturphilosophie. Der ursprüngliche Sinn der Wörter ist Schattenseite von Berg oder Tal (Yin) bzw. Sonnenseite (Yang). Im weiteren Sinne und auch jetzt noch umgangssprachlich in vielen damit gebildeten Komposita bedeutet Yin das Schattige, Dunkle, Geheimnisvolle, Verborgene, »Unterirdische«, auch das Weibliche, insbesondere dient es zur Übersetzung von »negativ«; Yang bedeutet entsprechend das Klare, Helle, Offenbare, Hervortretende, auch das Männliche, dann auch die Übersetzung von »positiv«.

Im alten Buch der Wandlung (Zhou Yi, Buch der Wandlung aus der Zhou-Dynastie) werden Yin und Yang zuerst als Grundprinzipien behandelt und graphisch notiert: Yang als einfacher Querstrich, Yin als durchbrochener Querstrich. Zu jeweils dreien (untereinander notiert) ergeben sich acht komplexe Symbole (Ba Gua). Das ausschließlich aus Yangzeichen bestehende (Qian) wird dem Himmel zugeordnet, das nur aus Yin-zeichen bestehende (Kun) der Erde. Sie werden in der Interpretation als Vater und Mutter aller Dinge angesprochen. Die gemischten Gua vertreten ihre »Kinder«, nämlich Donner (Zhen), Wind (Xun), Wasser (Kan), Feuer (Li), Berg (Gen) und See (Dui). Aus je zwei Gua werden dann 64 Neben-Gua (Bie Gua) mit jeweils sechs Yin- oder Yangstrichen kombiniert und ihnen weitere Dinge, Sachverhalte oder Situationen zugeordnet. Die Anzahl, Rangstellung oben oder unten und das Lageverhältnis zueinander der einzelnen Yin- und Yangstriche in den Gua und Nebengua dient als Grundlage für die diagnostische Erkenntnis des Wesens der zugeordneten Dinge und Verhältnisse: Erkenntnis der Dinge ist reduktive Erklärung aus den Yin Yang-Konstellationen. Mit Münzen oder glatten und geknickten Stäbchen geworfen, sind sie im alten China auch für Orakel, Horoskope und Prognosen verwendet worden, und so wurden sie wahrscheinlich auch zum Ursprung vieler Glücks- und Geschicklichkeitsspiele. Der Dualismus der Yin-Yang-Spekulation – der im Abendland im spätantiken Manichäismus und in der bipolaren »romantischen« Naturphilosophie Schellings eine Parallele hat – wurde in China zur Grundlage des naturphilosophischen und naturwissenschaftlichen Denkens. Unter den neun klassischen Schulen der chinesischen Antike trat eine Yin Yang-Schule (Yin Yang Jia) auf, für welche die Interpretation des Buches der Wandlung Ausgang ihrer Theoriebildung über Kosmos und Menschlichkeit wurde. Ihr Hauptvertreter Zou Yan (ca. 305–240) brachte die Yin Yang-Lehre mit der (älteren) Lehre von den fünf Naturelementen Wasser (Shui), Feuer (Huo), Holz (Mu), Gold (bzw. Metall Jin) und Erde (Tu) und ihrem Wirkungszusammenhang in Verbindung und etablierte so ein (dem empedokleischen vergleichbares) Natursystem von zwei antagonistischen Grundkräften und Elementen, die in zyklischer Folge die Dinge hervorbringen. Die Naturkreisläufe parallelisierte er zugleich mit der Abfolge der Dynastien und suchte daraus politische Prognosen zu gewinnen. Dies wurde später zur Grundlage des politischen Orakel- bzw. Prognosesystems (Chen Wei; vgl. San Tong Shuo). Die »monistischen« Schulen suchten ihrerseits Yin und Yang von ihrem Grundprinzip abzuleiten. Da auch Lao Zi schon davon gesprochen hatte, dass »alle Dinge eine hintere Yin- Seite und eine vordere Yang-Seite haben«, stellt schon der Verfasser des ältesten Kommentars zum Buch der Wandlungen bündig fest: »Ein Yin und ein Yang, das heißt Dao« (Yi Zhuan). Diese Einheit wird von Lao Zi und im Daoismus auch als das »Urprinzip« (Tai Ji) bezeichnet, daneben ist bei Lao Zi auch vom Nichts (Wu) und vom absolut Unbestimmten (Wu Ji) die Rede, aus dem alles Sein (You) entstehe, so dass auch diese als Prinzipien vor Yin und Yang gesetzt werden konnten. Im berühmten Vorwelt-Diagramm (Xian Tian Tu, vgl. Tai Ji), einem kosmogonischen Schema des Hervorganges der fünf Elemente und aller Dinge aus dem Tai Ji und dem Wu Ji, steht ganz oben ein leerer Kreis als Wu Ji, links davon aber zugleich Yin und rechts Yang. Tai Ji steht als zweiter halb heller und halb dunkler Kreis darunter. Zhou Dun-yi (1017–1073) kommentiert: »Tai Ji bringt durch Bewegung Yang hervor. Wenn eine Aktivität an ihre Grenze gelangt, wird es ruhig. Durch Ruhe erzeugt Tai Ji das Yin« (Zhou Dun-yi: Tai Ji Tu Schuo, Kommentar zum Tai Ji-Diagramm).

Das Yin Yang-Schema ist von chinesischen Gelehrten als Vorläufer oder als Pendant zu vielerlei westlichen dualistischen Denkformen in Anspruch genommen worden. Vor allem gilt es als Grundentsprechung zum Denken im positiv-negativen Gegensatz und zum dialektischen Entgegensetzen. Insofern konnte auch das marxistische Denken und insbesondere die engelssche Naturdialektik bruchlos an die Yin Yang-Philosophie anknüpfen und hätte wohl kaum ohne diese genuin chinesische Traditionslinie in China so weiten Anklang gefunden. Auch im Westen hat es anregend gewirkt. Leibniz, der sich intensiv mit dem Gua-Formalismus der Yin Yang-Darstellungen beschäftigt hatte, hat ihm zweifellos Anregungen für den Entwurf des binären Zahlensystems zu verdanken. Er vermutete darüber hinaus, dass die chinesischen Schriftzeichen ursprünglich auf Gua-Kombinationen zurückzuführen seien und verwertete diese Idee in seinem Projekt einer charakteristica universalis. Nimmt man die Gua-Darstellung als Formalismus für die graphische Notierung der Gradabstufungen von Merkmalen in polaren Typologien, so gibt es freilich bisher noch keine Entsprechung für die Yin Yang-Symbolik im abendländischen Formelschatz der Logik oder Mathematik.

Literatur:

  • L. Geldsetzer/H.-d. Hong: Chinesisch-deutsches Lexikon der chinesischen Philosophie. Aalen 1986. Art. Gua als Symbole (Guà), Prognostizierungsdoktrin (Chèn Wěi), Ur-Idee (Tài Jí), Unbestimmtes (Wú Jí), Wirkungszusammenhang der fünf Elemente (Wŭ Dé Zhōng Shĭ), Yin und Yang (Yīn Yáng), Yin und Yang und ihr Wirkungszusammenhang mit den fünf Elementen (Yīn Yáng Wŭ Xíng Shuō)
  • R. Widmaier: Die Rolle der chinesischen Schrift in Leibniz’ Zeichentheorie (Studia Leibnitiana, Suppl. XXIV). Wiesbaden 1983.

LG/HDH

  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
IR Ines Riemer, Hamburg
JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
KH Kai-Uwe Hellmann, Berlin
KHG Karl-Heinz Gerschmann, Münster
KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
KRL Karl-Reinhard Lohmann, Witten
KS Kathrin Schulz, Würzburg
KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
LG Lutz Geldsetzer, Düsseldorf
LR Leonhard Richter, Würzburg
MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
OFS Orrin F. Summerell, Bochum
PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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