Lexikon der Physik: Luft- und Raumfahrttechnik
Luft- und Raumfahrttechnik
Stephan Fichtner, Heidelberg
1. Einleitung und Historie: Der Traum vom Fliegen
Der Traum, sich vogelfrei im ›Luftmeer‹ bewegen zu können oder sich gar zu den Sternen emporzuschwingen, begleitet die Menschheit schon seit Anbeginn ihrer Existenz. Viele Mythen und Legenden – wie zum Beispiel die von Dädalus und Ikarus – bezeugen die uralte Neigung des Menschen, seine natürliche Umwelt zu verlassen und sich trotz aller Gefahren in die Lüfte zu erheben, dem Mond einen Besuch abzustatten oder sich einfach ›unter die Sterne des Himmels zu mischen‹. Die Idee vom ›magischen Flug‹ des Menschen war vermutlich auf allen Kontinenten und in allen Kulturen zuhause. Prähistorische Zeichnungen scheinen ebenso davon zu zeugen wie Bilder und Überlieferungen von sagenhaften Flügen. Der Drang des Menschen gen Himmel war dabei nie ausschließlich wissenschaftlich begründet. Die Grundhaltung vieler dieser Mythen war nicht zuletzt eine Herausforderung an die Götter. Was uns heute Begriffe wie Baikonur oder Cape Canaveral bedeuten, das mag für unsere Vorfahren der Olymp gewesen sein, Start- und Landeplatz waghalsiger Abenteurer auf dem Weg zu den Gestaden einer noch unbekannten Dimension. So schrieb Wilbur Wright: ›Der Wunsch, fliegen zu können, ist eine Idee, von der schon unsere Vorfahren begeistert waren, welche in früherer Zeit auf mühsamen Wanderungen durch unwegsames Gelände neiderfüllt zu den Vögeln aufgesehen haben, die mit hoher Geschwindigkeit über alle Hindernisse hinweg auf der endlosen Straße der Luft frei ihre Bahnen zogen‹. Unzählige Flugpioniere wie die Brüder Wright mußten jedoch in den Jahrhunderten davor ihre Begierde nach dieser ›endlosen Straße‹ mit schweren Verletzungen oder gar dem Tod bezahlen.
2. Vom Fahren in den Lüften
Eine positive Wende in der Wissenschaft vom Fliegen brachte der geniale italienische Erfinder Leonardo da Vinci (1452-1519), der sich sein ganzes Leben lang mit dem Problem beschäftigte. Er hielt den Flug von Menschen durchaus für möglich, sah dessen Realisierung aber an zwei Voraussetzungen gebunden: der präzisen Kenntnis des Vogelfluges sowie der experimentellen Methode. Da Vinci entdeckte dabei – entgegen der herrschenden aristotelischen Lehrmeinung – nicht nur den Luftwiderstand, sondern auch die Stromlinienform als Geometrie des minimalen Widerstands.
Die ›Ars Volandi‹, die Kunst des Fliegens, beschäftigte seinerzeit so berühmte Männer wie Johannes Kepler, Francis Bacon, Cyrano de Bergerac, Athanasius Kircher, Robert Hooke, Christian Huygens, Gottfried Wilhelm Leibniz und Jean-Jacques Rousseau. 1634 erschien ein Roman über die Fahrt zum Mond. Autor war der deutsche Astronom Johannes Kepler. Dieser hatte entdeckt, auf welchen Bahnen die Planeten um die Sonne kreisen. Obgleich ein wissenschaftlicher Denker, war seine Geschichte recht phantastisch. Sie enthielt jedoch genaue Beschreibungen der Mondgebiete, welche er durch sein Fernrohr gesehen hatte. Die erste ernsthafte Erörterung über die Raumfahrt wurde 1640 vom englischen Bischof Wilkins veröffentlicht. Er beschrieb darin erstmals die physikalische Beschaffenheit des Mondes und erörterte, unter welchen Bedingungen man auf dem Mond leben könnte. Die Kirche des Mittelalters verwarf alle realen Möglichkeiten des ›magischen Fluges‹ in eine andere Welt und lehrte, daß die Erde die einzige sei. Sonne, Mond und Sterne stünden nur am Himmel, um der Erde Licht und Wärme zu geben. So schrieb schon der Jesuitenpater Francesco de Lana Ende des 17.Jhs. über seinen Entwurf eines Luftschiffs: ›Ich sehe keine Schwierigkeit außer einer – Gott wird niemals zugeben, daß so eine Maschine zustande kommt. Er würde die Folgen verhindern, welche die bürgerliche Ordnung stören würden.‹
3. Leichter als Luft
Noch ehe durchgreifende Fortschritte auf dem Gebiet des Gleitfluges stattfanden, machte ein anderes Luftgefährt von sich reden: der Ballon.1792, 16 Jahre nach Cavendishs Entdeckung des Wasserstoffs, der den großen Vorteil hat, leichter zu sein als Luft, kam den französischen Brüdern Joseph und Jacques Montgolfier beim Betrachten des abendlichen Kaminfeuers der zündende Gedanke:
Sie hielten eine unten offene Hülle aus Seide über das Kaminfeuer, die sich daraufhin mit heißer Luft und Rauch füllte und zur Zimmerdecke emporschwebte. Schon im Juni 1783 stellten sie einen Ballon mit etwa 35 Metern Umfang aus Leinenstoff her und hängten diesen über ein Feuer aus Wolle und feuchtem Stroh. Die Hülle mit warmer Luft stieg damals angeblich fast 2 000 Meter hoch, bevor sich das erhitzte Gas abkühlte und der Ballon nur wenige Kilometer entfernt wieder landete. Ein von Menschenhand gefertigter Körper hatte sich tatsächlich ins ›Luftmeer‹ emporgehoben.
Am 21. November 1783 stiegen ein junger französischer Adliger, Francois Pilatre de Rozier, und der Marquis d`Arlandes in eine Ballongondel, die an einem der mittlerweile berühmten Montgolfieren hing. Kaum hatte sich die Ballonhülle, an deren Unterseite ein brennender, mit Stroh gefüllter Drahtkorb angebracht war, gestrafft, stiegen sie mit ihrem Gefährt in den Himmel über Paris. Obwohl die Ballonhülle zwischenzeitlich Feuer gefangen hatte, landeten sie nach 25 Minuten wieder wohlbehalten in der Nähe des Palastes. Der erste bemannte Ballonflug der Geschichte war gelungen. Das nächste Problem, welchem sich die Ballonfahrer gegenübersahen, war das der Lenkung ihrer Ballone. Zwar war man in der Lage, das Aufsteigen oder Absinken eines Ballons zu kontrollieren, steuern konnte man ihn jedoch nicht. Noch heute sind die modernen Ballonpioniere von den sog. Jetstreams zwischen Troposphäre und Stratosphäre abhängig, wollen sie deren Geschwindigkeiten von bis zu 400 Stundenkilometern für eine Erdumrundung von West nach Ost nutzen. Im März 1999 gelang dies erstmals dem Schweizer Bertrand Piccard – Enkel des legendären Physikers und Ballonfahrers Auguste Piccard, der Anfang der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts die ersten Stratosphärenballone konstruierte und damit im bemannten Aufstieg Höhen von über 16 000 Metern erreichte – zusammen mit seinem Co-Piloten, dem Engländer Brian Jones. Im dritten Anlauf umrundeten sie mit ihrem ›Breitling Orbiter 3‹ nonstop in gerade einmal 19 Tagen, 1 Stunde und 49 Minuten die Erde.
In der Meteorologie sind wissenschaftliche Erkundungen unter Einsatz von Ballonen bis zum heutigen Tag nicht mehr wegzudenken. Bereits an der Wende zum 19.Jh. wurden bei solchen Fahrten, die nicht selten von berühmten Forschern geleitet wurden, Höhen von 7 000 Metern und mehr erreicht. Letztlich war die Begrenzung der damaligen Flughöhen lediglich eine Frage der Ballonmaterialien. Um in größere Höhen vordringen zu können, benötigte man größere Füllvolumina – ein Problem, das erst im 20.Jh. durch die Einführung extrem leichter Kunststoffhüllen gelöst werden konnte. Heute steigen Forschungsballone bis in 50 000 Meter Höhe auf. In diesen Höhen sind Wellenlängen des elektromagnetischen Spektrums beobachtbar, die sonst nur durch ungleich teurere Weltraummissionen zugänglich wären.
4. Vom Aerostaten zum Zeppelin
Erst als die Entwicklung der Dampfmaschine soweit gediehen war, daß sie genügend Antriebskraft liefern konnte, gelang es, lenkbare Flugkörper zu bauen. 1852 baute Henri Giffard, ein französischer Ingenieur, das erste lenkbare, dampfgetriebene Luftschiff. Es hatte die Form einer Zigarre, war 44 Meter lang und mit einer 3 PS-Dampfmaschine ausgerüstet, die einen Propeller antrieb. Dieses Luftschiff legte bei günstigen Bedingungen in drei Stunden immerhin knapp 30 km zurück.
Bei starkem Gegenwind trieb das Luftschiff allerdings rückwärts. Die frühen Luftschiffe waren lange, mit Gas gefüllte Hüllen, an denen die Gondeln mitsamt den Propellern befestigt waren. Indem man Längsstreben zur Verstärkung benutzte, bekam man ein halbstarres Luftschiff. Ferdinand Graf von Zeppelin war der erste, der vollkommen starre Luftschiffe entwarf und auch bauen ließ, aus hauptsächlich militärischem Interesse. Seine Luftschiffe wurden in der Bevölkerung oft auch einfach ›Zeppeline‹ genannt.
Am 2. Juli 1900 stieg der erste Zeppelin, die LZ 1, am Bodensee zu seinem Jungfernflug auf. In seinem Innern befanden sich mehrere mit Gas gefüllte Zellen. Das Luftschiff hatte eine Länge von 128 Metern, besaß zwei 15 PS-Motoren und flog mit einer Geschwindigkeit von bis zu 32 km / h. Der größte Zeppelin, der jemals gebaut wurde, war die ›Hindenburg‹ (245 m Länge und 40 m Durchmesser). Ihre Fluggeschwindigkeit betrug 125 km / h. In dem 1936 fertiggestellten Luftschiff gab es sogar fließendes kaltes und warmes Wasser, eine Bar samt Musikkapelle sowie ein windgeschütztes Promenadendeck für Spaziergänge an frischer Luft. Im Mai 1937 explodierte die Hindenburg nach 63 Flügen (davon 37 Transatlantikflüge) bei der Landung in Lakehurst (USA) und brannte vollständig aus. 36 Menschen kamen dabei ums Leben. Dieses Unglück markierte das vorläufige Ende der Luftschiffahrt. Erst in jüngster Zeit entwickeln deutsche Firmen wieder Zeppeline für den Transport schwerer Lasten (Cargo Lifter).
5. Pioniere der Luftfahrt
Die sog. Gleiter, deren Prinzip sich heute noch in Segelflugzeugen im Freizeitbereich großer Beliebtheit erfreut, waren ein wichtiger Schritt auf der Entwicklung hin zum erfolgreichen Motorflugzeug. Das Gleitflugzeug benutzt die Luftströmung um seine Flügel herum für seinen Auftrieb. Pionierarbeit auf diesem Gebiet leisteten die Gebrüder Otto und Gustav Lilienthal. Noch während sie die Schule besuchten, baute Otto seinen ersten Gleiter. 1891 absolvierte er in Anklam seinen ersten erfolgreichen Gleitflug. Die Brüder Lilienthal hatten bei ihren Studien an Störchen in ihrer Heimat Pommern beobachtet, daß die Vögel meistens gegen den Wind starteten und hielten es daher bei ihren Gleitversuchen ebenso. Mit ihren zahlreichen Ein- und Doppeldeckern unternahmen sie über 2 000 erfolgreiche Flüge, bevor Otto Lilienthal am 9. August 1896 aus 15 Metern Höhe abstürzte und tödlich verunglückte. Seine Ideen wirkten jedoch unvermindert weiter und führten in Verbindung mit anderen technischen Errungenschaften – wie z.B. dem Daimlerschen Verbrennungsmotor – zur Realisierung des Motorfluges.
Wieder waren es zwei Brüder, Orville und Wilbur Wright, die den entscheidenden Schritt taten. Nach vielen Versuchen mit ihren als ›Flyern‹ bezeichneten Gleitflugzeugen, die sie u.a. in einem ersten Windkanal testeten, entwarfen und bauten sie einen Vier-Zylinder-Motor samt Propeller, den sie dann in einen ihrer Flyer einbauten. Dieser wog über 200 Pfund, entwickelte aber auch ca. 16 PS. Am 17. Dezember 1903 absolvierte Orville Wright den ersten von vier erfolgreichen, motorgetriebenen Flügen. Dabei überwand er nach nur zwölf Sekunden Flug eine Weite von 36 Metern – beim vierten schaffte er schon 260 Meter und blieb knapp eine Minute in der Luft. Dies war die Geburtsstunde des Motorfluges.
Auch in Europa brach nun das Flugfieber aus. Besonders in Frankreich gab es viele Konstrukteure wie Ferber, Blériot, Voisin, Esnault-Pelterie und Archdeacon, die die Lilienthalsche Gleittechnik weiterentwickelt hatten und jetzt auch zunehmend Motoren in ihre Gleiter einsetzten.
1909 wurden gleichzeitig an mehreren Orten und unabhängig von den Wrightschen Doppeldeckern stabile Eindecker gebaut. Ihr Vorteil bestand in einer relativ großen Eigenstabilität, die durch V-förmige Tragflächen, einem verlängerten Rumpf und einem großen Seitenleitwerk erreicht wurden.
0Bereits am 25. Juli 1909 startete Louis Blériot zum ersten erfolgreichen Flug über den englischen Kanal und gewann damit einen der vielen jetzt ausgelobten Preise für immer neue Rekorde in der Luftfahrt.
Der nächste Anreiz war der 1919 vom Hotelier Raymond Orteig gestiftete Preis von 25 000 Dollar für den ersten Nonstopflug von New York nach Paris.
Es dauerte volle acht Jahre und einige Todesopfer, bis der Preis schließlich an den Postpiloten und ehemaligen Schauflieger Charles Lindbergh ging. Mit seiner einmotorigen ›Spirit of St. Louis‹ hatte er sich ohne Fallschirm, Funkgeräte und Navigationsinstrumente auf die 5 800 Kilometer lange Strecke gewagt, die er im Alleinflug in 33,5 Stunden bewältigte. Am Abend des 21. Mai 1927 umkreiste er schließlich den Eiffelturm und landete wohlbehalten auf dem Pariser Flughafen Le Bourget. Dieser Erfolg machte Lindbergh mit einem Schlage weltberühmt. Im Jahre 1928 gelang schließlich einer Junkers W 33 der erste Nonstopflug EuropañUSA in der wegen des Gegenwindes schwierigeren Ost-West-Richtung.
6. Von der Utopie zum Linienflug
In den zwanziger Jahren des 19. Jhs. wurden die ersten Luftverkehrsgesellschaften gegründet, die einen fahrplanmäßigen Linienverkehr aufnahmen. Bereits am 5. Februar 1919 nahm die ›Deutsche Luft-Reederei‹ (DLR) den täglichen Linienflugverkehr zwischen Berlin und Weimar (ca. 200 km) mit AEG-Doppeldeckern auf. Die niederländische Fluglinie KLM flog seit 1920 planmäßig Passagiere nach London. In Deutschland schlossen sich 1923 mehrere Fluglinien zur ›Deutschen Aero-Loyd‹ zusammen, die 1926 mit der ›Junkers Luftverkehr‹ zur ›Deutschen Luft-Hansa AG‹ fusionierte. In den dreißiger Jahren entwickelte sich die Verkehrsfliegerei in Riesenschritten. Immer größere, schnellere und leistungsfähigere Flugzeuge wurden gebaut. Ende der dreißiger Jahre wurden Passagierflugzeuge bereits mit Druckausgleichs- und Klimaanlagen ausgestattet. So konnte man sich in große Höhen wagen, ohne daß die Passagiere Atembeschwerden bekamen oder froren. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges umfaßte das Streckennetz des Weltluftverkehrs bereits 450 000 Kilometer und wurde von 2 000 Linienmaschinen versorgt. Deren Streckenleistung betrug damals bereits 300 Millionen Kilometer, und jährlich wurden schon etwa 4,5 Millionen Fluggäste durch die Luft transportiert.
7. Im Rausch der Geschwindigkeit
In den ersten Nachkriegsjahren wurde in den USA und England mehrfach versucht, den Geschwindigkeitsrekord für Flugzeuge zu brechen.
Der prinzipielle Unterschied zu Flugzeugen mit deutscher Technik lag dabei nicht in der Leistung der Triebwerke, sondern in der Aerodynamik. Bei ihren Versuchen in Hochgeschwindigkeitswindkanälen hatten deutsche Konstrukteure schon während des Krieges festgestellt, daß nur mit einer pfeilförmigen Tragflächenform, wie sie schon die Messerschmitt-262 besaß, die nächste große Hürde, die Schallgeschwindigkeit, überwunden werden könnte. Das Anwinkeln der Tragflächen und die Verwendung von Oberflächen aus möglichst glattem, widerstandsfähigem Material sorgte dafür, daß die gefürchtete Kopfwelle erst bei höheren Geschwindigkeiten auftrat und die Flugzeuge nicht mehr zerriß. Am 14. Oktober 1947 gelang es dem amerikanischen Testpiloten Chuck Yeager in einem von Raketenmotoren getriebenen Experimentalflugzeug, der ›Bell X-1‹, erstmals, die Schallmauer zu durchbrechen. Als er deren Schockwellenfront mit der Mach-Zahl 1,05 passiert hatte, setzten auch die sonst so gefürchteten Flatterschwingungen urplötzlich aus – ein neuer Meilenstein der Fliegerei war gesetzt. Zwischen 1947 und 1967 gelang dann nahezu eine Versechsfachung der Geschwindigkeit von Experimentalflugzeugen. War die X-1 noch mit 1,06 Mach (1 121 km / h) geflogen, so erreichte die X-15 bereits 6,72 Mach (7 254 km / h). Der internationale Wettbewerb unter den Passagierflugzeugunternehmen führte auch dazu, daß Ingenieure begannen, sich über ein Verkehrsflugzeug mit Überschalltechnologie Gedanken zu machen. In Europa wurden zwei Typen entwickelt: die Tupolew TU 144 sowie die in englisch-französischer Zusammenarbeit entwickelte Concorde. Die TU 144 flog erstmals am 31. Dezember 1968, die Concorde startete am 2. März 1969 erstmals von Toulouse aus. Nicht zuletzt der hohe Anschaffungspreis von 150 Mio. Dollar für eine Concorde, die hohen laufenden Kosten wie auch die begrenzte Anzahl an Passagierplätzen läßt ihre Entwicklung nicht wirtschaftlich erscheinen. Zudem wird die Concorde aufgrund ihres lauten Überschallknalls nur auf transatlantischen Strecken eingesetzt. Lediglich bei Militärflugzeugen und den für die nächsten Jahrzehnte konzipierten transatmosphärischen Flugzeugen wird die Überschalltechnologie wieder zum Einsatz kommen. Neben der Entwicklung der Concorde bietet Europa mit seinem erfolgreichen Airbus-Projekt nun erstmals den bisher marktbeherrschenden Großkonzernen Boeing, McDonnel Douglas und Lockheed erfolgreich die Stirn.
8. Aufbruch in den Weltraum
Der erste durch Raketenkraft angetriebene Raumflugkörper wurde 1949 als zweistufige Konstruktion in den USA abgeschossen; das aktive Raumfahrtzeitalter begann dann schließlich am 4. Oktober 1957, als ein 83 kg schwerer russischer Satellit mit seinen Piep-Signalen die Welt in Aufruhr versetzte. Der erste Sputnik war gestartet. In nur 96,2 Minuten umkreiste der erste künstliche Mond der Menschheit, Sputnik-1, auf einer um 65,1 ° gegen den Äquator geneigten Bahn den Planeten Erde. Seine elliptische Umlaufbahn führte ihn auf seinem erdnächsten Punkt bis auf 215 km an die Erde heran, im erdfernsten dagegen bis auf eine Entfernung von 947 km von der Erdoberfläche weg. Am 7. Januar 1958 verglühte Sputnik-1 schließlich wieder in den dichteren Schichten der Atmosphäre.
Mit dem Start dieses ersten Satelliten begann das operationelle Zeitalter der Raumfahrt. Auch sorgte der ›Sputnik-Schock‹ in den Vereinigten Staaten dafür, daß zu Zeiten des sich immer stärker abzeichnenden ›Kalten Krieges‹ zwischen den Großmächten bedeutend mehr Mittel für Raumfahrtmissionen zur Verfügung gestellt wurden. Noch im März des gleichen Jahres empfahl ein Sonderausschuß die Einrichtung einer Behörde, die das nationale Raumfahrtprogramm der Vereinigten Staaten koordinieren sollte. Es war die Geburtsstunde der amerikanischen National Aeronautics and Space Administration (NASA). Am 3. November 1957 startete die Sowjetunion ihren zweiten Kunstmond, Sputnik-2 – diesmal an Bord: die Eskimohündin Laika, die kurz nach Beendigung der Experimente zugrunde ging.
Der nächste Schritt auf diesem Weg war der Start eines Menschen in den Weltraum: Am 12. April 1961 startete der sowjetische Militärpilot Juri Alexejewitsch Gagarin auf der Spitze einer Wostok-Trägerrakete zum ersten ballistischen Flug ins All, am 21. Februar 1962 umrundete der amerikanische Astronaut John Glenn an Bord einer Mercury-Kapsel schließlich dreimal die Erde. Bei dem sowjetischen Projekt Woßchod-2 verließ der Kosmonaut Alexej Leonow als erster Mensch nach 17 Erdumkreisungen die schützende Kabinenatmosphäre des Raumschiffes durch eine eigens zu diesem Zweck angebrachte Luftschleuse und begab sich für etwa zehn Minuten in den freien Weltraum. Mit dem Raumschiff blieb er während dieser Zeit nur durch eine Art ›Nabelschnur‹ verbunden.
In Vorbereitung auf einen von Präsident John F. Kennedy in einer Rede am 25. Mai 1961 geforderten Flug eines Amerikaners zum Mond begann am 23. März 1965 das Gemini-Programm.
Mit der sowjetischen Mondsonde Luna-2 gelang es schließlich erstmals, den Erdtrabanten zu treffen. Am 14. September 1959 schlug die Sonde mit ca. 3,3 km / s hart auf der Mondoberfläche auf. Am 21. Juli 1969 setzte der Astronaut Neil Armstrong schließlich als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond. Er gehörte zur dreiköpfigen Besatzung der Mission Apollo-11, die am 16. Juli 1969 vom Kennedy Space Center auf Cape Canaveral gestartet war. Insgesamt kam es von 1969 bis 1972 zu sechs bemannten Mondlandungen; 12 Astronauten hielten sich insgesamt gut 80 Stunden lang außerhalb der Landefähren auf der Mondoberfläche auf und brachten knapp 400 kg Mondgestein zur Erde. Praktisch gleichzeitig mit den erfolgreichen Mondlandungen der Amerikaner gelangen der Sowjetunion im Oktober 1969 eine Reihe spektakulärer Rendezvousmanöver mit ihren Raumschiffen Sojus 6, 7 und 8, die als Vorbedingung für die Einrichtung einer Raumstation galten. Am 19. April 1971 wurde schließlich die erste Raumstation Saljut-1 in eine Erdumlaufbahn befördert, an der wenig später die ersten Sojus-Raumschiffe andockten. Die inzwischen eingeleitete Entspannungspolitik zwischen den Großmächten führte Mitte der 70er Jahre zu einem denkwürdigen Tag im Weltraum: Am 17. Juli 1975 reichten sich der Astronaut Tom Stafford und der Kosmonaut Alexej Leonow im Rahmen des 1972 gemeinsam beschlossenen Kopplungsmanövers Sojus-Apollo über dem Himmel von Europa die Hände.
9. Gegenwart und Zukunft der Raumfahrt
Mit der ersten erfolgreichen Landung einer amerikanischen Raumfähre vom Typ Space Shuttle am 14. April 1981 begann wiederum eine neue Epoche der Raumfahrt. Erstmals gelang es mit diesem Raumtransportsystem, mehrere Komponenten wiederzuverwenden. Die Raumfahrt trat damit in ein Stadium ein, in dem die Pionierzeit der Wegwerfraketen enden und ein geregelter bemannter Raumflugbetrieb aufgenommen werden sollte. Das amerikanische Shuttle startet zwar wie konventionelle Trägerraketen senkrecht in den Orbit, landet jedoch ähnlich einem Segelflugzeug nach erfolgreicher Mission wieder horizontal auf einer Rollbahn und kann danach wiederverwendet werden. Erstmals begannen hier die Grenzen zwischen den ursprünglich getrennten Gebieten der Aeronautik und der Astronautik zu verschwimmen. Auch in seiner Form gleicht der Raumtransporter einem kleinen Verkehrsflugzeug mit Deltaflügeln und bildet den vorläufigen Höhepunkt einer technischen Entwicklung, die mit der Entwicklung der ersten Experimentalflugzeuge (X-Flugzeuge) vor über 50 Jahren begann. Mehrfach flog auch das europäische Weltraumlabor Spacelab in der Nutzlastbucht des Space Shuttle in den Weltraum, bevor die erfolgreiche Serie von Starts am 28. Januar 1986 durch die Explosion des Space Shuttles Challenger, bei der die gesamte Besatzung ums Leben kam, jäh unterbrochen wurde. Es dauerte insgesamt mehr als zwei Jahre, bis der reguläre Flugbetrieb nach einer Generalüberholung aller Raumfähren wieder aufgenommen wurde. Nicht zuletzt wegen der beim Betrieb des amerikanischen Raumtransporters auftretenden Schwierigkeiten konzentrierte man sich auf sowjetischer Seite nach dem Jungfernflug des russischen Pendants Buran zunehmend auf das Projekt einer ständig bemannten Raumstation (Mir). Diese wurde anstelle der Saljut-Stationen am 19. Februar 1986 in eine schwach elliptische Umlaufbahn in rund 350 km Höhe gebracht. Seitdem ist sie ständig bemannt und wird regelmäßig von Sojus- und Progress-Transportraumschiffen versorgt. Nach und nach wurde sie um einzelne neue Wissenschaftsmodule zur Astronomie und Erderkundung, zur Werkstofftechnik sowie zur biologischen und medizinischen Grundlagenforschung ergänzt und ausgebaut. Mehrfach hielten sich Kosmonautenauf der Mir auf, um Erfahrungen über die Auswirkungen von Langzeitaufenthalten unter Schwerelosigkeit zu sammeln. Nach über 13 Jahren des Betriebs sowie nach einigen kleineren und größeren Unfällen und Pannen an Bord der Station soll diese voraussichtlich noch im Jahre 1999 kontrolliert zum Absturz gebracht werden.
Auch auf dem Gebiet der unbemannten Planetenerkundung ging es in den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Riesenschritten voran. Die automatische amerikanischen Sonde Viking Lander, die am 20. Juli 1976 erstmals weich auf dem Mars landete, enthielt eine kleine Wetterstation, ein biologisches Labor zur Suche von Spuren des Lebens sowie eine Farbkamera. Fast auf den Tag genau 21 Jahre später, am 4. Juli 1997, landete die Marssonde Pathfinder etwa 1 000 Kilometer westlich vom Landeplatz von Viking-1 im Ares Vallis und entließ einen kleinen Rover (›Sojourner‹), der autonom Untersuchungen der näheren Region vornahm. Mit der Hilfe eines Alpha-Protonen-Röntgen-Spektrometers des MPI für Chemie in Mainz gelang dabei erstmals eine präzise chemische Analyse des Staubes und der Steine im Ares Vallis. Damit konnten Rückschlüsse auf die komplexe geologische Entwicklung und u.a. auf eine frühere Existenz von Wasser auf der Marsoberfläche gezogen werden.
Als letztes Mammutprojekt der bemannten Raumfahrt im auslaufenden 20. Jahrhundert gilt der Aufbau der Internationalen Raumstation (ISS) unter Beteiligung der Vereinigten Staaten, Rußland, Kanada, Japan und Europa. Dieses Weltraumunternehmen soll mit unzähligen Aufbau- und Versorgungsflügen sowie Außenarbeiten an der Station bis zum Jahre 2004 realisiert werden. Es bleibt jedoch die Frage, ob mit Beträgen von 60 Milliarden Dollar Herstellungskosten und geschätzten 1,3 Mrd. Dollar Unterhaltungskosten pro Jahr nicht der unbemannten Weltraumforschung oder gar der Wissenschaft am Boden wichtige Gelder entzogen werden. ›Fabriken im Weltraum‹ werden aufgrund der noch viel zu hohen Transportkosten auf absehbare Zeit jedenfalls eher die Ausnahme bleiben. Schon eher zukunftstauglich sind da Bestrebungen im privatwirtschaftlichen Bereich, die Satelliten auf Erdumlaufbahnen als Kommunikationsgrundlage nutzen. Eine weitere aktuelle Entwicklung in der Raumfahrt basiert auf kommerziellen, seegestützten Starts von umgebauten Ölplattformen aus. Sea Launch, so der Name der Kooperation (erster geglückter Start am 28.3.1999), möchte so die Kosten für Starts von Trägerraketen weiter senken. In fernerer Zukunft liegen da schon die Ideen japanischer Unternehmen, die für die Zeit nach dem Jahr 2015 bereits Hotelbuchungen für einen Urlaub im Erdorbit anbieten wollen. Doch waren es in der Geschichte der Luft- und Raumfahrt ja oft die belächelten Spinner und Utopisten, die am Ende Recht behielten.
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