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Medikamentensucht : Riskante kleine Helfer

Schlaftabletten können ernsthaft krank ­machen. Da viele Nebenwirkungen jedoch typischen ­Demenzsymptomen ähneln, bleibt das Problem oft unerkannt, warnt der Suchtexperte Rüdiger Holzbach.
Mann Pille

Dienstagabend in der Medikamentensprechstunde der LWL-Klinik Lippstadt: Mathilda S.* sitzt mir gegenüber, eine 74-Jährige, die seit knapp drei Monaten unsere Einrichtung besucht. Sie kommt alle zwei bis drei Wochen, immer begleitet von ihrem etwas älteren Ehemann. Heute werden wir uns das letzte Mal sehen, denn der Entzug von ihrer "geliebten" Schlaftablette ist abgeschlossen.

Anfangs kam sie auf Drängen ihres Mannes, dem aufgefallen war, dass sie zunehmend vergesslich und antriebslos wurde, sich kaum noch etwas zutraute. Ein Bericht im Fernsehen brachte ihn auf die Idee, dieser Wandel könne mit den Schlaftabletten zusammenhängen, die sie schon seit vielen Jahren einnahm. Er fand es beängstigend, wie das Mittel den Charakter seiner Frau veränderte, und meldete sie schließlich hier an.

Begonnen hat es bei Mathilda S. wie bei vielen an­deren auch. Sie beschreibt sich selbst als "schon immer etwas labil". Als vor 25 Jahren ihr einziges Kind an Krebs erkrankte, konnte sie abends schlecht einschlafen. Ihr Hausarzt verordnete Bromazanil – ein Beruhigungs­mittel aus der Gruppe der Benzodiazepine. Anfangs brach sie die längliche Tablette noch sorgfältig durch und nahm nur ab und zu ein Viertel. Doch als es ihrem Sohn unter der Chemotherapie schlechter ging, stei­gerte sie die Dosis auf ein bis eineinhalb Tabletten. Als sich dann noch die Schwiegertochter von ihrem Sohn trennte, nahm sie manchmal auch zwei oder drei Tabletten ein. Sogar tagsüber griff sie gelegentlich zu dem Medikament, etwa wenn sie sich nicht gut fühlte, zu sehr grübelte oder ihr schlicht die Kraft für den Alltag fehlte.

Mathilda S. ist kein Einzelfall. Allein in Deutschland gibt es laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen zwischen 1,4 und 1,9 Millionen Medikamentenabhängige, wobei die meisten davon zu Benzodiazepinen greifen. Auch die eng damit verwandten Z-Drugs oder Non-Benzodiazepine haben ein hohes Abhängigkeits­potenzial, obwohl sie vergleichsweise schnell vom Körper abgebaut werden. Warum verfallen so viele Menschen diesen Stoffen? ...

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  • Quellen

Eckert-Lill, C. et al.: Benzodiazepin-Entzug – Betreuung durch Apotheker und Hausarzt. In: Pharmazeutische Zeitung 21, S. 26-35, 2014

Holzbach, R.: Der Benzodiazepinentzug und dessen Behandlung. In: Suchttherapie 7, S. 97-106, 2006

Holzbach, R. et al.: Zusammenhang zwischen Verschreibungsverhalten der Ärzte und Medikamentenabhängigkeit ihrer Patienten. In: Bundesgesundheitsblatt 53, S. 319-325, 2010

Holzbach, R.: Benzodiazepin-Langzeitgebrauch und -abhängigkeit. In: Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie 78, S. 425-434, 2010

Jahnsen, K. et al.: Probleme bei der Dauertherapie mit Benzodiazepinen und verwandten Substanzen. In: Deutsches Ärzteblatt International 112, S. 1-7, 2015

Verthein, U. et al.: Langzeitverschreibung von Benzodiazepinen und Non-Benzodiazepinen – eine prospektive Analyse über 12 Monate. In: Gesundheitswesen 75, S. 430-437, 2013

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