Biosensoren für die Umweltanalytik
Gegenwärtig werden erhebliche Anstrengungen unternommen, die in der Medizin schon sehr weit fortgeschrittene Biosensor-Technologie auch in der Umweltanalytik zu nutzen. Spitzenforschung findet in Japan, den USA und in Europa statt. Es fällt auf, daß die größten Fortschritte in Regionen erzielt werden, wo führende Forschergruppen aus Biochemie und Molekularbiologie eng mit angesehenen Wissenschaftlern aus Physik und Elektronik zusammenarbeiten.
Die Europäische Union unterstützt bereits seit einigen Jahren derartige Verbundprojekte in ihrem Programm "European Community Environment and Climate", aus dem zuletzt das Projekt "Biosensors for Environmental Diagnostics" hervorgegangen ist. Hierzu haben Wissenschaftler aus ganz Europa beigetragen. Sie sind mit ihren Biosensoren auch aktiv an Messungen unter Feldbedingungen beteiligt, zuletzt an einer Meßkampagne im September 1998 in Berlin. Das Interesse war groß – sogar eine Delegation von Wissenschaftlern aus Rußland und Usbekistan reiste an. Dort ergab sich nicht nur die Gelegenheit, die Vorzüge der jeweiligen Geräte überzeugend darzustellen, sondern auch – wie es der Ökotoxikologe Peter-Dieter Hansen von der Technischen Universität Berlin formulierte – die Gummistiefel anzuziehen und die hochempfindlichen Systeme an einem belasteten Berliner Gewässer der rauhen Wirklichkeit auszusetzen.
Bereits im Altertum waren die Folgen von Umweltbelastungen für Gesundheit und Lebensqualität bekannt. Während die gut belegten Fälle bis hin zur Neuzeit nur relativ kleine Gebiete betrafen, nahmen die Umweltprobleme mit dem Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert rasch globale Ausmaße an. Die Kombination aus Bevölkerungszuwachs und zunehmender Industrialisierung führte weltweit zu unübersehbaren Umweltproblemen. Eine Lösung erscheint aus heutiger Sicht nur durch die Technik selbst möglich. Doch Verbesserungen setzen gesicherte Kenntnisse der Umweltsituation voraus. Hier spielt die Umweltanalytik eine zentrale Rolle. Sie muß empfindlich genug sein, um Schadstoffe auch in geringen Mengen zu erfassen. Gleichzeitig soll sie aber auch Schadstoffströme aufspüren. Obwohl die analytische Chemie hochentwickelt ist, lassen sich selbst mit aufwendigen und teuren Meßverfahren nicht alle Stoffe in einer Umweltprobe vollständig erfassen. Zudem fehlen geeignete Verfahren, die es Behörden und anderen Untersuchungsstellen erlauben, aus den in niedrigen Konzentrationen festgestellten Einzelsubstanzen deren schädigende Wirkung auf die Umwelt vorherzusagen. Das Verknüpfen chemischer Analysendaten mit Toxikologie und Ökologie aber ist unerläßlich.
Wie also kann die chemische Umwelt- und Spurenanalytik sinnvoll ergänzt werden? Dies gelingt nur, indem man auf biologische Wirkungsprinzipen zurückgreift. Zwar stehen heute bereits eine Reihe biologischer Systeme zur Verfügung, die sich für Prüf- und Meßverfahren eignen, allerdings stehen diese noch weit hinter den Erwartungen zurück. Häufig sind derartige Biotests unwirtschaftlich oder liefern kaum zu reproduzierende Ergebnisse. Auch lassen sich mit sogenannten Bioindikatoren lokale Umweltverhältnisse analysieren. Hierbei werden Verunreinigungen in einem Biotop durch die Existenz oder das Fehlen bestimmter Organismen angezeigt. Da solche Systeme aber träge reagieren, liegen Analysen oft viel zu spät vor, zum Beispiel lange nachdem eine Schadstoffwelle einen Fluß passiert hat. Gebraucht werden aber schnelle, sensible Meßsysteme, die gezielt schädigende Wirkungen, etwa auf das Immunsystem, die Gene oder den Hormonhaushalt, signalisieren und dabei ganze Schadstoffgruppen erfassen – eben Biosensoren.
Biosensoren in der Natur
Zu den Paradebeispielen biologischer Sensorsysteme zählt das des Seidenspinner-Männchens. Dieser Schmetterling findet über viele Kilometer hinweg den Weg zum Weibchen – ein dünner Strom von Duftmolekülen lenkt seinen Weg. Selbst unsere Nase vollbringt wahre Meisterleistungen. Sie ist imstande, aus einem Gemisch von unterschiedlichsten Duftkomponenten einzelne Gerüche herauszufiltern.
Solchen Bravourstücken der Natur abgeschaut sind die Biosensoren. Diese miniaturisierten Meßvorrichtungen liefern beim Kontakt mit der zu untersuchenden Probe einen Meßwert, der zumeist eine bestimmte schädigende Wirkung anzeigt, gelegentlich aber auch die Konzentration eines Einzelstoffs liefert. Hierüber entscheidet allein die Wahl der biologischen oder biochemischen Komponente. So gelingt es zum Beispiel mit Immunsensoren, die Konzentration einzelner Substanzen zu bestimmen. Wird dabei als biochemisches Erkennungssystem ein Antikörper verwendet, der ein bestimmtes Pestizid identifiziert, ermittelt der Biosensor aus der Anzahl der belegten Antikörper-Bindungsstellen die Konzentration des Pestizids in der Probe.
Wie empfindlich solche Nachweismethoden sein können, zeigt das Beispiel eines Atrazin-Sensors, der in einem Liter Probe – ohne diese vorher anzureichern – noch 0,05 Mikrogramm dieses Herbizids erkennt. Vergleichbare Konzentrationen werden erreicht, wenn man einen Zuckerwürfel in 50 Millionen Liter Wasser auflöst und davon wenige Tropfen für die Analyse verwendet. Ein ähnlich empfindlicher Sensor wird in der Medizin bereits seit 1974 eingesetzt, um die Glukose-Konzentration im Blut zu bestimmen.
In der Umweltanalytik besonders verbreitet sind jedoch biomolekulare Erkennungssysteme, mit denen sich schädigende Wirkungen aufzeigen lassen. Frühe Beispiele hierfür sind Sensoren zum Nachweis von Nervengasen aus dem Bereich der Organophosphate. Ihr Prinzip beruht auf einer Blockierung der Acetylcholinesterase, einem der Schlüsselenzyme des Nervensystems.
Andere Biosensoren dagegen nutzen Prozesse, welche die Photosynthese hemmen. Grüne Pflanzen und Cyanobakterien setzen Sauerstoff frei, wenn sie Licht in chemische Energie umwandeln. Pestizide und andere Schadstoffe können in diesen Ablauf eingreifen. Als Folge hiervon wird die Sauerstoffproduktion je nach Ausmaß der Schädigung gedrosselt oder sogar vollständig unterbunden. Biosensoren, die Teile der Photosynthese oder noch einfacher ganze Zellen der Cyanobakterien nutzen, reagieren hierauf rasch und empfindlich.
Die hier angeführten Beispiele zeigen, wie durch Auswahl geeigneter biologischer oder biochemischer Komponenten die schädigende Wirkung einzelner Stoffe oder ganzer Stoffgemische nachgewiesen werden kann.
Künftige Biosensoren sollen es dann erlauben, auch Messungen in Realzeit durchzuführen. Dies ist heute mit chemischen Sensoren bereits möglich. Vermutlich werden die Biosensoren der Zukunft mit selbstorganisierenden Systemen arbeiten, wie dies etwa für Biochips geplant ist, auf denen Nervenzellen wachsen. Doch bis dahin bieten sich Einmalsensoren an. Fortschritte auf dem Gebiet der Screen-Printing-Technologie gestatten es wiederum, Elektroden auf die unterschiedlichsten Materialien wie Plastik, Glas oder Keramik in den verschiedensten Ausführungen zu drucken; damit sind die wichtigsten Grundlagen für preiswerte elektrochemische Sensoren geschaffen. Diese Ansätze werden gegenwärtig weltweit vorangetrieben. So lassen sich Testbatterien von Sensoren zusammenstellen, die Umweltproben simultan auf unterschiedliche toxikologische und pharmakologische Wirkungen hin untersuchen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1999, Seite 939
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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