Chemie und Physik in der Küche
Bon Appetit! Wissenschaftler beginnen, die kulinarischen Meisterleistungen von Küchenchefs zu analysieren und zu erklären sowie - vorerst bescheidene - Vorschläge für Verbesserungen und neue ungewöhnliche Rezepte zu machen.
In unserer hochtechnisierten Welt scheint die Kochkunst eine der letzten Bastionen althergebrachter Methoden und der Hort jahrhundertelanger Erfahrung zu sein, die unberührt vom Geist der Naturwissenschaften geblieben ist. Wie eh und je geben die meisten Freizeit- und Gourmetköche eine Messerspitze Mehl als Bindemittel an Soßen, damit Fett und Bratensaft sich nicht scheiden, folgen bei der Zubereitung eines Souffles starr den Arbeitsanweisungen, die einst am Kohleherd ausprobiert worden sind, und halten sich peinlich genau an die tradierten Mengenverhältnisse der Zutaten, ohne zu wissen, warum oder gar ob – sie damit wirklich die optimalen Ergebnisse erzielen. Vielleicht ist die anspruchsvolle Küche auch aus diesem Grunde noch immer von einer Aura aus Aberglauben und Alchemisten-Hexerei umgeben.
Wir halten es geradezu für die Pflicht der Wissenschaft, die Meister der Kochkunst mit Gesetzmäßigkeiten und Techniken vertraut zu machen, die ihre Kreativität anregen können. Die Zeit scheint reif dafür. So zeigen Physiker wachsendes Interesse an Emulsionen, Festkörperdispersionen und Schäumen – also an der "weichen Materie", wie der Physik-Nobelpreisträger Pierre-Gilles de Gennes von der Universität Orsay diese für Speisen typischen Stoffgemische und Zustände umschrieben hat. Die moderne Strukturchemie erklärt das Verhalten großer Moleküle wie kompliziert aufgebauter Kohlenhydrate oder Proteine. Und neue Techniken in der Chromatographie helfen, die für Geruch und Geschmack verantwortlichen Bestandteile von Nahrungsmitteln und Getränken zu isolieren. Für viele althergebrachte und seltsam anmutende kulinarische Kunstgriffe zeichnen sich bereits wissenschaftliche Erklärungen ab.
Praktisch etabliert sich damit ein neuer Forschungszweig: die molekulare und physikalische Gastronomie. Wir möchten ein paar Kostproben daraus vorstellen – ein kleines Menü aus Vorspeisen, Hauptgericht, Dessert und Getränken. Anregungen dazu stammen aus Diskussionen vom ersten internationalen Arbeitstreffen über molekulare und physikalische Gastronomie, das im August 1992 in der sizilianischen Stadt Erice stattgefunden hat.
Rund ums Ei
Die in Frankreich beliebte Vorspeise Oeuf dur mayonnaise (hartgekochtes Ei mit Mayonnaise) gibt uns Gelegenheit, die Eigenschaften von Emulsionen eingehender zu betrachten. In diesen Gemischen, zu denen im Nahrungsmittelbereich Mayonnaise, Sahne, Butter und Sauce Bearnaise gehören, sind Tröpfchen einer Flüssigkeit in einer mit ihr nicht mischbaren anderen feinst verteilt (dispergiert).
Mayonnaise wird aus Pflanzenöl, Essig oder Zitronensaft und Eigelb hergestellt. Letztlich ist sie eine Emulsion von Öl in Wasser. Normalerweise kann man diese beiden Flüssigkeiten noch so heftig verquirlen – sie trennen sich immer wieder, und das Öl schwimmt auf. Mayonnaise ist nur deshalb stabil, weil das Eigelb Lecithine enthält, die als oberflächenaktive Substanzen wirken (Bild 2). Die beiden Enden der stabförmigen Moleküle haben unterschiedliche Eigenschaften: das eine ist hydrophil (wasserliebend), das andere dagegen hydrophob (wasserabweisend). Jedes der Öltröpfchen in der Mayonnaise-Emulsion ist von mindestens einer Schicht Lecithinmoleküle umgeben, die wie Stacheln von ihm abstehen. Weil die hydrophilen Enden nach außen ragen und sich gewöhnlich schwach elektrisch aufladen, verhalten sich die Tropfen nicht mehr wasserabweisend und stoßen sich ab, so daß sie nicht miteinander verschmelzen.
Köche haben gelernt, daß ein Eigelb nur 150 bis 250 Milliliter Öl emulgieren könne. Nach Berechnungen des Journalisten Harold J. McGee, der über Wissenschaft und Kochen schreibt, ist dies jedoch ein viel zu niedriger Wert. Ein Eigelb enthält etwa zwei Gramm Lecithin; damit kann es bei durchschnittlich ein hundertstel Millimeter großen Öltröpfchen theoretisch bis zu 3,5 Liter Öl stabilisieren – also gut zwanzigmal so viel wie gemeinhin angenommen wird. Die Kunst besteht darin, genug Zitronensaft, Wein, Essig oder andere wäßrige Flüssigkeiten zuzugeben, daß die Öltröpfchen voneinander getrennt bleiben.
Wir plädieren nun keineswegs dafür, die traditionelle Regel zugunsten der Formel "ein Eigelb für 3,5 Liter Öl" aufzugeben – doch notfalls kann sie nützlich sein. Wünscht sich einer Ihrer Gäste zum Beispiel ein Oeuf dur mayonnaise und Sie haben nur ein einziges Ei im Kühlschrank, brauchen Sie nicht zu verzweifeln. Sie entnehmen mit einer Injektionsnadel etwa einen Milliliter Eigelb und rühren daraus einen Eßlöffel Mayonnaise an, während das kaum versehrte Ei hartgekocht wird.
In letzter Zeit hat die Verseuchung von Hühnereiern mit krankheitserregenden Salmonellen die Öffentlichkeit beunruhigt. In deutschen Altersheimen sind an Nachspeisen, die mit rohen Eiern schaumig geschlagen waren, sogar Menschen gestorben, und in einem Falle erkrankten bei einer Klausur hochrangige Politiker. In Gourmet-Zeitschriften wurden bereits Abgesänge auf weichgekochte Eier, zarte Omeletts und Tiramisu angestimmt.
Einer von uns (Kurti) wollte herausfinden, ob sich dieses Menetekel nicht mit wissenschaftlichen Methoden abwenden ließe. Als erstes stellte er fest, daß Eigelb zwischen 62 und 65 Grad Celsius gerinnt, wohingegen Salmonellen bei einer Temperatur von 59 Grad Celsius nur wenige Minuten überleben;
für ungefährliche Eier oder Eierspeisen mit flüssigem Dotter darf dessen Temperatur also 62 Grad Celsius nie übersteigen, muß andererseits aber mindestens sechs Minuten lang zwischen 59 und 61 Grad Celsius gehalten werden.
Die Temperatur im Innern eines Eigelbs kann man zerstörungsfrei mit einem Thermoelement kontrollieren. Es erzeugt eine Spannung, deren Höhe temperaturabhängig ist. Zur Messung zieht man einen feinen Thermodraht durch eine Injektionsnadel, befestigt ihn an der Spitze und schließt ein auf Celsiusgrade geeichtes Mikrovoltmeter an (Bild 3).
Mit diesem Gerät ließ sich eine Prozedur entwickeln, um aus einem rohen, salmonellenverseuchten Ei ein gesundheitlich unbedenkliches weichgekochtes zu machen. Zunächst legt man ein 60 Gramm Ei für 3,5 Minuten in kochendes Wasser. Wie Richard Gardner und Rosa Beddington von der Universität Oxford nachgewiesen haben, gerinnt dabei das Eiweiß, während sich der Dotter nur auf ungefähr 30 Grad Celsius erwärmt. Anschließend bringt man das Ei sofort in ein 60 Grad heißes Wasserbad, wo die Temperatur des Dotters in 7,5 Minuten auf 59 Grad Celsius steigt. Wie Versuche von Thomas J. Humphrey vom Labor für öffentliche Gesundheit in Exeter ergaben, waren nach weiteren 7 (insgesamt also 18) Minuten selbst Eier, die er zuvor mit, einer Million Bakterien vom Typ Salmonella enteritidis beimpft hatte, gesundheitlich unbedenklich.
Weil die zum Abtöten von Salmonellen erforderliche Temperatur unter der Gerinnungstemperatur des Eidotters liegt, kann man sogar rohe Eier für Mayonnaise und andere Gerichte sterilisieren. Geben Sie das Eigelb in eine Schüssel und stellen Sie diese für etwa 15 Minuten (bei gelegentlichem Umrühren) in ein 62 Grad Celsius warmes Wasserbad.
Mayonnaise läßt sich aber auch aus dem Dotter hartgekochter Eier herstellen, indem man ihn in etwas Essig verrührt; denn bei der Gerinnung des Eigelbs bleiben die Lecithine intakt. Tatsächlich empfehlen das die meisten französischen Kochbücher für Mayonnaise tartare, die nicht nur die üblichen Zutaten Essig, Senf, Salz und Pfeffer enthält, sondern zusätzlich mit Zwiebeln, Kapern und Kräutern gewürzt ist.
Dennoch sind einige Geheimnisse um die Zubereitung von Eiern immer noch nicht recht erklärlich. Für zahlreiche Gerichte wie Custard (einen britischen Pudding aus Milch und Eiern), Zabaglione (italienische Eierlikörcreme) und einige eingedickte würzig-pikante Soßen muß das Eigelb mit einer anderen Flüssigkeit zusammen erhitzt werden; dabei erlebt man immer wieder frustriert, daß es in der Hitze gerinnt. Dieses Malheur läßt sich, wie erfahrene Köche wissen, oft mit einer Messerspitze Mehl vermeiden. Für den Grund wurde in Erice immerhin eine Hypothese vorgebracht.
Normalerweise liegen die langen Proteinmoleküle des Eigelbs in einer kompliziert gefalteten Form vor. Beim Erhitzen brechen die für die Faltung verantwortlichen schwachen Bindungen wie Wasserstoff- und Schwefelbrücken jedoch teilweise auf; dafür werden solche zu anderen Molekülen geknüpft. Infolge dieser Denaturierung, bei der die charakteristische Proteinstruktur verlorengeht, verklumpen die Moleküle das Eigelb gerinnt.
Mehl besteht im wesentlichen aus zwei Arten von Stärke: Amylose und Amylopektin, einem linearen und einem stark verzweigten Polymer von Traubenzucker (Glucose). Bei hohen Temperaturen quellen die Mehlkörner im Wasser auf; dabei spalten sich Kohlenhydratmoleküle ab und gehen in Lösung. Die langen Stärkeketten scheinen die Gerinnung der Eiproteine zu hemmen, indem sie deren Beweglichkeit einschränken und sie so am Verklumpen hindern.
Ob es sich wirklich so verhält, muß allerdings noch experimentell abgesichert werden. Dabei sollte sich auch ermitteln lassen, wieviel Mehl benötigt wird und welche Stärke am effektivsten ist. Dies zeigt, daß selbst die einfachsten Vorgänge beim Kochen noch ergiebige Forschungsgründe sind.
Köstlich umhüllte Luft: Soufflés
Wenden wir uns nun einem etwas anspruchsvolleren Gericht zu,: dem Soufflé. Es kann so delikat sein, wie seine Zubereitung heikel ist. Ein perfektes Souffle bläht sich beim Überbacken enorm auf und ist danach außen knusprig gebräunt, während das leichte, schaumige Innere auf der Zunge zergeht. Die elementaren Zutaten sind Eischnee, eine zähe Masse wie Bechamelsoße (eine gekochte Mischung aus Butter, Mehl und Milch) und oft Eigelb. Hinzu kommen je nachdem Fisch, Käse, Schokolade oder Marmelade sowie – als reine Geschmacksstoffe Vanille oder Liköre.
Die in verschiedenen Rezepten genannten Mengenangaben schwanken erheblich. Alle Kochbücher stimmen jedoch darin überein, daß der Eischnee und die zähe Masse gut vermischt werden müssen; außerdem wird immer wieder betont, daß beim Unterheben des Eischnees unter die Bechamelsoße keinesfalls der Schaum zerstört werden darf.
Einige Köche schieben die fertige Soufflé-Masse nach dem Einfüllen in die Auflaufform sofort in den vorgeheizten Ofen. Andere dagegen behaupten, daß, die Mischung bei Zimmertemperatur bis zu eine Stunde oder im 40 Grad Celsius warmen Wasserbad bis zu 30 Minuten lang aufbewahrt werden kann. Es soll sogar möglich sein, Einzelportionen einzufrieren und kurz vor dem Backen wieder aufzutauen. Wir haben all dies ausprobiert mit durchweg annehmbaren Ergebnissen. Allerdings gelang das sofort gebackene Soufflé am besten. Bleibt die Masse stehen, vereinigen sich allmählich Bläschen, und Luft entweicht.
Auf jeden Fall muß der Auflauf immer unverzüglich serviert werden; denn ein gut aufgegangenes Soufflé beginnt bereits Sekunden oder Minuten nach der Entnahme aus dem Ofen zusammenzufallen. Dies läßt sich im großen und ganzen leicht erklären. Die in der viskosen Masse eingeschlossene Luft dehnt sich beim Erhitzen aus, und der gerinnende Eischnee stabilisiert dann die Blasen bis zum Abkühlen. Allerdings bläht sich ein Soufflé im Backofen bis auf das Dreifache seines ursprünglichen Volumens auf, während die Wärmeausdehnung der Luft nur 20 Prozent ausmacht; demzufolge wirkt verdampfendes Wasser als zusätzliches, entscheidendes Treibmittel. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur ein SouMe aufzuschneiden: Es entweicht heißer Dampf.
Schon vor 25 Jahren wurde erstmals der Temperaturverlauf während des Backens im Souffle-Teig gemessen – mit einem Thermoelement in einer Injektionsnadel, die vor dem Aufheizen etwa 20 Millimeter eintauchte. Wie sich zeigte, steigt die Temperatur im Innern der Masse in den ersten zehn Minuten auf 45 Grad Celsius. Danach bleibt sie für eine Weile konstant (vermutlich weil das Protein gerinnt) oder sinkt sogar (wenn der Fühler in einen kühleren, noch nicht gegarten Bereich gerät). Nach weiteren 25 Minuten – je nach Größe des SouMes kann es auch etwas länger oder kürzer dauern – steigt die Temperatur dann schnell weiter an, während der Auflauf zu dampfen beginnt und damit anzeigt, daß er fertig ist. Wer nichts gegen elektronische Temperatursonden in der Küche hat, kann damit bequem das Garen überwachen.
Reduzieren bei Unterdruck und Garen im Mikrowellenherd
Bisher ging es hauptsächlich darum, diverse Praktiken beim Kochen zu erklären; unser Bestreben ist aber auch, womöglich Ergebnisse zu verbessern. Bei manchen Zubereitungen können sich selbst kleine Abwandlungen auf den Geschmack auswirken. Betrachten wir zum Beispiel das Eindampfen einer Bouillon zur Bereitung eines Fonds.
Brühen aus Fleisch oder Fisch und Gemüse sollten auch als eigenständiges Gericht oder für Suppen kräftig, also etwas eingekocht sein. Als Basis (französisch fond) für Soßen aber muß man sie auf ein Zehntel bis Zwanzigstel ihres Ausgangsvolumens konzentrieren ("reduzieren" in der Küchensprache). Nun hat Dampf im allgemeinen eine andere Zusammensetzung als der ursprüngliche Sud, die insbesondere von der Verdunstungstemperatur abhängt. So verflüchtigt sich beim Eindampfen von Wein zunächst mehr Alkohol als Wasser. Es sollte demnach einen Unterschied machen, ob man eine Brühe bei l00, 80 oder 60 Grad Celsius eindampft. Um den Siedepunkt zu erniedrigen, muß man allerdings Unterdruck anlegen, wofür man im einfachsten Falle eine Wasserstrahlpumpe und ein druckstabiles Gefäß braucht, die mit einem Vakuumschlauch verbunden werden. Zweifellos schont das Reduzieren bei niedrigeren Temperaturen empfindliche Inhaltsstoffe.
Einen Unterschied macht auch, auf welche Weise man Speisen erhitzt. Traditionell gelangt die Wärme von außen nach innen, ob man die Nahrungsmittel nun in einer Flüssigkeit kocht, dämpft, brät oder anbräunt, in einem heißen Gas backt oder röstet oder in der Infrarotstrahlung eines glühenden Mediums toastet oder grillt. Weil in verschiedenen Teilen eines Gerichts bei der Zubereitung unterschiedliche Temperaturen herrschen, sind Geschmack und Konsistenz nicht einheitlich. Unsere Gaumenfreuden beim Verzehr eines medium gebratenen Steaks, eines knusprig-warmen Brötchens oder eines lockeren Omeletts sind auch das Ergebnis von Temperaturgradienten und Inhomogenitäten in Struktur und Gefüge.
Durch Zufall wurde während des Zweiten Weltkriegs eine Möglichkeit des Garens entdeckt, bei der sich das Innere eines Stoffes schneller aufheizt als die Oberfläche: Es zeigte sich, daß von einer Radaranlage ausgesandte elektromagnetische Strahlung mit einer Wellenlänge von etwa zehn Zentimetern selbst dicke Materialien durchdringt und dort einen Teil ihrer Energie als Wärme abgibt.
Solche Mikrowellen absorbieren freilich ausschließlich polare Moleküle wie die von Wasser, die insgesamt zwar elektrisch neutral sind, aber ungleichmäßig verteilte Ladungen tragen. Sie werden dabei zum Rotieren oder Umklappen angeregt, und durch innere Reibung wandelt sich diese kinetische Energie schließlich in Wärme um. Eis absorbiert keine Mikrowellenstrahlung, weil die Wassermoleküle in einer bestimmten Orientierung im Kristall fixiert sind und nicht rotieren können. Mithin läßt sich eine wäßrige Flüssigkeit im Innern eines Eisblocks zum Kochen bringen und so die Umkehrung der amerikanischen Spezialität "Gebackenes Alaska" produzieren: "Gefrorenes Florida".
Wenn Fleisch im Mikrowellenherd zubereitet wird, erwärmt es sich in kürzester Zeit gleichmäßig auf 100 Grad Celsius und bleibt auf dieser Temperatur, solange es noch Wasser enthält. Die chemischen Reaktionen, die das Fleisch zart machen, indem sie die zähe Gerüstsubstanz Kollagen in Gelatine spalten (Bild 4), laufen dadurch viel rascher ab. Garen per Mikrowelle ist deshalb besonders schnell und energiesparend. Andererseits verleiht herkömmliches Kochen in einer Bouillon mit Wurzelzeug, Kräutern und Gemüsen einem Stück Fleisch erst den geschätzten herzhaften Geschmack.
Gebratenes Fleisch ist noch würziger als gekochtes, weil Bräunungsreaktionen, die bei Temperaturen über 100 Grad Celsius erst richtig einsetzen, aus Zuckern und Aminosäuren durch Quervernetzung teils besonders geschmackvolle chemische Verbindungen erzeugen. Bei solchen Maillard-Reaktionen – benannt nach ihrem Entdecker, dem französischen Biochemiker L. C. Maillard ( 1878 bis 1936) – entsteht die knusprige Bratenkruste. Während der Mikrowellenherd hier kläglich versagt, eignet er sich für andere Bräunungsreaktionen – beispielsweise für die Karamelisierung von Zucker – sehr wohl.
Zur Geschmacksoptimierung kann man auch Herd und Mikrowelle kombinieren. Als Beispiel sei hier gebratene Ente a la Pravaz-Cointreau vorgeschlagen (zu Ehren des französischen Arztes Charles Gabriel Pravaz, einem der Erfinder der Injektionsspritze). Dazu bräunt man zunächst Teile einer zerlegten Ente auf dem Grill oder in der Pfanne an und injiziert in die knusprigen Fleischstücke dann Orangenlikör, der wegen seines hohen Wassergehalts Mikrowellen gut absorbiert (Bild 5). Im Mikrowellenherd wird schließlich auch das Innere gegart, was nur wenige Minuten dauert. Dieses Gericht ist sozusagen eine moderne Variante des Canard a l’orange.
Das Finale: Instant-Eiscreme für Hundertschaften
Der Nachtisch bildet den krönenden Abschluß eines jeden guten Essens. Dabei kann die Physik mit einem Rezept aufwarten, das nicht nur den Koch entlastet, sondern auch ein großartiges Schauspiel bietet. Unser Dessert wurde von Peter Barham von der Universität Bristol kreiert: Als spektakuläres Finale eines öffentlichen Vortrags über Speiseeis erzeugte der Wissenschaftler innerhalb von nur zwei Minuten genug Eiscreme für seine gesamte Zuhörerschaft. Selbstverständlich kann das Rezept auch den im Hausgebrauch üblichen Mengen angepaßt werden.
Gute, zarte Eiscreme besteht aus sehr kleinen Eiskristallen und ist voller Luftbläschen. Beim herkömmlichen Verfahren werden Milch, Eier, Zucker und Zusatzstoffe unter heftigem Schlagen allmählich abgekühlt. Dadurch kommt Luft in die Masse, und wachsende Kristalle werden mechanisch zerkleinert.
Auf einfachere und effizientere Weise erreicht man den gleichen Zweck, wenn man flüssigen Stickstoff direkt in die Ausgangsflüssigkeit schüttet (Bild 1). Bei einer Temperatur von -196 Grad Celsius wird sie so schnell abgekühlt, daß den schlagartig ausfallenden Eiskristallen keine Zeit zum Wachsen bleibt; zugleich erzeugt der Stickstoff beim heftigen Sieden unzählige winzig kleine Bläschen. Und da dichte Dampfwolken das Gefäß umwabern, wird auch dem Auge einiges geboten.
Man benötigt etwa gleiche Volumina Stickstoff und Speiseeismischung und sollte zur Zubereitung eine Metallschüssel verwenden, da Glas- oder Plastikgefäße durch den Kälteschock zerspringen könnten. Unter Umrühren mit einem Holzlöffel wird zunächst ungefähr die Hälfte des flüssigen Stickstoffs auf einmal in die Mischung geschüttet, danach langsam vom Rest so viel, bis das Eis cremig fest ist. Serviert wird die kalte Köstlichkeit, wenn keine Nebelschwaden mehr aufsteigen, also der Stickstoff vollständig verdampft ist.
Tragen Sie beim Hantieren mit flüssigem Stickstoff oder tiefkalten Gegenständen unbedingt Handschuhe und eine Schutzbrille und halten Sie genügend Abstand zu Ihren Gästen, damit diese keine Spritzer abbekommen. In Universitätsstädten kann man sich das Kühlmittel oft direkt bei den Fakultäten für Physik oder Chemie besorgen oder dort zumindest Adressen kommerzieller Anbieter erhalten. Am sichersten transportieren Sie den flüssigen Stickstoff in einer Vakuum-Thermoskanne, worin er sich bis zu einen Tag hält.
Edle Tropfen aus Eichenfässern
Trinken Sie zum Essen gerne einen guten Wein und genehmigen sich danach noch einen Digestif? In den letzten zehn Jahren wurde über die chemischen und biochemischen Grundlagen der Produktion von Wein und hochprozentigen Spirituosen intensiv geforscht. Nach den Analysen von Weinkundlern (Önologen) können bei Spitzenweinen mehr als 500 chemische Verbindungen zum Bouquet und Charakter beitragen.
Winzer lassen Weine und Brände vielfach in Eichenfässern reifen; denn chemische Reaktionen mit dem Holz, das eine Reihe komplexer Verbindungen wie Cellulose, Hemicellulose, Lignin, Tannine (Gerbstoffe) und Harze enthält, verbessern den Geschmack. Eichenholz wird deshalb bevorzugt, weil es hart und wasserabweisend ist und keines jener Harze enthält, denen die griechischen Retsina-Weine ihren typischen Geschmack verdanken.
Gegen Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre zeigte Jean-Louis Puech vom französischen Forschungsinstitut für Ackerbau in Montpellier, daß der Ethylalkohol in Spirituosen Tannine und Lignin aus dem Holz des Fasses löst. Er hatte sowohl Holzstücke in Alkohol eingelegt als auch Alkohol über zehn Jahre in einem Eichenfaß ruhen lassen. In dieser Zeit nahm die Konzentration von Tanninen im Holz um 75 Prozent ab, und die gelösten Gerbstoffe wurden zu einer Vielzahl von geschmacksintensiven Substanzen oxidiert. Am Ende lag die Ligninkonzentration an der Innenseite des Fasses um fünf Prozent unter der an der Außenseite; und während der Cellulosegehalt nahezu unverändert geblieben war, hatte sich die Hemicellulose in verschiedene Zucker wie Fructose (Fruchtzucker), Xylose (Holzzucker), Arabinose und Glucose aufgespalten.
Das für Molekulargastronomen wohl erstaunlichste Ergebnis war aber, daß zu den alterungsbedingten Abbauprodukten von Lignin auch Vanillin gehört. Dies mag den leichten Vanillegeschmack von altem Kognak, Rum oder Whisky erklären. In den meisten Ländern ist es den Herstellern geistiger Getränke gesetzlich verboten, den Geschmack ihrer Produkte durch Zugabe von Zucker oder anderen Chemikalien aufzubessern. Warum aber sollte sich der Konsument nicht selbst die Erkenntnisse der Chemie zunutze machen? Ein paar Tropfen Vanillearoma können billige Whiskysorten im Geschmack erheblich aufwerten.
All das waren nur wenige Beispiele für die Möglichkeiten der Naturwissenschaften auf dem Feld der Kochkunst. Entsprechend lassen sich viele andere Speisen und Getränke untersuchen. Vielleicht werden in künftigen Kochbüchern Anweisungen stehen wie: "Geben Sie zu ihrer Bouillon zwei Tropfen einer 0,001prozentigen Lösung von Benzylmercaptan in reinem Alkohol". Hoffen wir, daß Comus – der Schutzpatron der Kochkünstler – es den Musen gleichtut, die von wissenschaftlich-technischen Errungenschaften zur Konservierung, Restauration, Vervielfältigung und Verbreitung von Kunstwerken enorm profitiert haben, und die Naturwissenschaft endlich als Dienerin akzeptiert.
Literaturhinweise
The Physicist in the Kitchen. Von Nicholas Kurti in: Proceedings of the Royal Institution of Great Britain, Band 42, Teil 6, Heft 199, Seiten 451 bis 467 (1969).
On Food and Cooking: The Science and Lore of the Kitchen. Von Harold McGee. Macmillan, 1988.
But the Crackling Is Superb. Herausgegeben von Nicholas Kurti und Giana Kurti. Institute of Physics Publications, 1988.
The Curious Cook: More Kitchen Science and Lore. Von Harold McGee. North Point Press, 1990.
Les Secrets de la Casserole. Von Hervé This. Belin, Paris 1993.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1994, Seite 82
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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