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Die kluge Gen-Maus

Eine gezielte Genveränderung steigert das Lernvermögen von Mäusen. Ob sie auch Menschen zu Genies machen könnte, scheint zwar eher fraglich, doch bietet sie vielleicht einen neuen Ansatz zur Behandlung beginnender Altersdemenz.


Als ich mich für die wissenschaftliche Laufbahn entschied, hätte ich mir nie träumen lassen, dass meine Arbeit einmal Stoff für eine Unterhaltungssendung im Fernsehen liefern würde. Doch als meine Kollegen und ich im September letzten Jahres der Presse mitteilten, wir hätten Gene von Mäusen verändert und dadurch die Lern- und Gedächtnisleistungen der Nager verbessert, griff der Sender CBS die Neuigkeit gleich in seiner abendlichen Late-Night-Show auf. Der Showmaster, eine Art Mischung aus Harald Schmidt und Thomas Gottschalk, gab eine Hitliste von Aufsätzen aus der Feder hoch begabter Mäuse zum Besten – darunter "Die Erfindung der Klebfalle – unser Waterloo?" oder "Der Käseklau-Trick: schneller zuschnappen als die Falle".

Meine possierlichen Labortiere wurden so über Nacht zu Berühmtheiten. Ich erhielt säckeweise Post und bekam Dutzende von Witzen über clevere Mäuse zu hören, die dümmliche Menschen und ihre stümperhaften Fallen überlisten. Die Idee einer intelligenteren Maus fand offensichtlich allgemeinen Anklang und erschien jedermann amüsant – vielleicht wegen solch beliebter Comicfiguren wie Tom und Jerry.

Freilich hatten meine Kollegen und ich nie die Absicht, den Einfallsreichtum von Mausefallenkonstrukteuren auf die Probe zu stellen. Uns ging es vielmehr um die seit Jahrzehnten untersuchte große Frage, was genau im Gehirn beim Lernen passiert und woraus Erinnerungen eigentlich bestehen. Mit der Erzeugung der "cleveren" Maus – nicht einer einzelnen, sondern eines ganzen Laborstammes – bestätigten wir eine fünfzig Jahre alte Theorie über die Mechanismen des Lernens und der Gedächtnisbildung. Die erfolgreiche Genmanipulation bewies die zentrale Funktion eines bestimmten Moleküls auf Nervenzellen des Gehirns. Hier könnten einmal Medikamente gegen Hirnleistungsstörungen wie die Alzheimer-Krankheit ansetzen. Vielleicht ließe sich mit geeigneten Wirkstoffen sogar die Lern- und Merkfähigkeit gesunder Menschen steigern.

Die molekularen Grundlagen der beteiligten Prozesse zu verstehen ist bedeutsam: Denn weit mehr als die Gesichtszüge und die sonstige äußere Erscheinung bestimmt das Gedächtnis unsere Individualität und Persönlichkeit. Wer je den geistigen Verfall eines Alzheimer-Patienten miterlebt hat, kann dies nur bestätigen. Lernen und Gedächtnis reichen in ihrer Bedeutung sogar noch weiter. Über sie wird unsere Kultur und Zivilisation von Generation zu Generation tradiert, sie stehen als eine der treibenden Kräfte hinter der kulturellen, sozialen und Verhaltensevolution.

Dem menschlichen Gehirn, einem Netzwerk aus etwa 100 Milliarden Nervenzellen oder Neuronen, entspringen verschiedenartige geistige Eigenschaften wie Erinnerungsvermögen, Intelligenz, Gefühle und Persönlichkeit. Zu der grundlegenden Frage, wie es Gedächtnisinhalte speichert und repräsentiert, veröffentlichte der kanadische Psychologe Donald O. Hebb bereits 1949 eine ebenso einfache wie bestechende Idee: Eine Gedächtnisspur entstehe, wenn zwei verknüpfte Neuronen gleichzeitig aktiv seien – dadurch festige sich irgendwie ihr Kontakt, was den Informationsfluss zwischen beiden Zellen erleichtere. Die Kontakt- oder besser Schaltstellen zwischen zwei Nervenzellen heißen Synapsen; dort übermitteln bestimmte Botenstoffe – Neurotransmitter genannt – das Nervensignal von der "sendenden" zur "empfangenden" Zelle.

Im Jahre 1973 entdeckten Timothy V. P. Bliss und Terje Lømo aus der Arbeitsgruppe von Per Andersen an der Universität Oslo (Norwegen) ein Verhalten bei tierischen Neuronen, das in den Kernpunkten Hebbs Theorie entsprach. Die Forscher stimulierten Nervenzellen eines bestimmten Hirnbereichs – seiner Form wegen Hippocampus ("Seepferdchen") genannt – mit einer Serie hochfrequenter elektrischer Impulse. Daraufhin stieg die Übertragungsfähigkeit der Schaltstellen und blieb über Stunden, Tage oder sogar Wochen erhöht. Das Phänomen erhielt den Namen Langzeitpotenzierung, kurz LTP (nach dem englischen Begriff). Das besonders Faszinierende an der Entdeckung war, dass gerade der Hippocampus bei Wirbeltieren einschließlich des Menschen maßgeblich zur Gedächtnisbildung beiträgt.

Wie spätere Studien anderer For-scher ergaben, verringert eine niederfrequente Stimulierung derselben Nervenbahnen im Hippocampus dagegen die Übertragungsstärke. Auch dieser Effekt besteht längerfristig und heißt daher Langzeitunterdrückung, oder kurz LTD (nach dem englischen Begriff). LTP- und LTD-ähnliche Vorgänge gelten mittlerweile als mutmaßliche Hauptmechanismen für das Speichern und Löschen von Erlerntem im Gehirn.

Inzwischen kennen wir bereits viele Varianten der LTP und LTD. Sie treten nicht nur im Hippocampus auf, sondern auch in vielen weiteren Hirnregionen, beispielsweise in der "grauen Substanz" der Großhirnrinde sowie im Mandelkern, der bei Emotionen mitspielt.

Welche molekulare Maschinerie steuert aber diese synaptischen Veränderungen und kontrolliert somit, wie Neurobiologen sagen, die Plastizität des Gehirns? Zahlreiche Forscher auf der ganzen Welt befassen sich mit dieser Frage. Wie sie nach und nach herausfanden, hängen die Hauptformen der LTP und LTD von einem bestimmten Molekültyp ab: Um sie auszulösen, bedarf es der Aktivierung so genannter NMDA-Rezeptoren in der Zellmembran der Empfänger-Neuronen. Benannt sind diese röhrenförmigen Proteinstrukturen nach N-Methyl-D-Aspartat, einer synthetischen Substanz, die sich zufällig an sie heftet. Geformt wird die Wandung der winzigen Kanäle nach Ansicht der meisten Fachleute von insgesamt vier Protein-Untereinheiten, die den Eintritt von Calcium-Ionen in die Nervenzelle kontrollieren. Zum Öffnen benötigt der Kanal zwei getrennte Signale: das Andocken des Neurotransmitters Glutamat sowie eine elektrische Spannungsänderung an der Zellmembran, eine "Depolarisation" (Abbildung auf Seite 42). Der Botenstoff signalisiert dem Kanal eine Aktivität der vorgeschalteten Zelle, die Depolarisation hingegen eine gleichzeitige Erregung der eigenen Zelle. Somit eignen sich die Rezeptoren perfekt als Detektoren für die "Koinzidenz" der Aktivität in zwei verknüpften Neuronen. Sie bieten ideale Voraussetzung, um die nach der Hebbschen Lernregel geforderten synaptischen Veränderungen einzuleiten, dem Gehirn also zu helfen, zwei verschiedene Ereignisse miteinander in Verbindung zu bringen.

Zwar hängen Langzeitpotenzierung sowie Langzeitunterdrückung von NMDA-Rezeptoren ab, doch galt es auch nachzuweisen, dass beide Prozesse mit Lernen und Gedächtnis zu tun haben. Dies gestaltete sich weitaus schwieriger als zunächst gedacht. In den achtziger Jahren blockierten Richard G. M. Morris von der Universität Edinburgh und seine Kollegen bei Ratten die NMDA-Rezeptoren biochemisch. Daraufhin absolvierten die Tiere einen bestimmten Test – im so genannten Morris-Wasserlabyrinth (Kasten auf Seite 39) – deutlich schlechter als unbehandelte Artgenossen. Dieses Ergebnis schien zwar weitgehend die Hypothese zu bestätigen, wonach Lernen und Gedächtnis auf LTP-Phänomenen beruhen. Da aber die eingesetzten Hemmstoffe oft die Sensomotorik und das Verhalten stören, hätten die kognitiven Einbußen auch eine Folge toxischer Nebenwirkungen sein können.

Vor vier Jahren, als ich bei Susumu Tonegawa am Massachusetts-Institut für Technologie (MIT) in Cambridge arbeitete, verfeinerte ich deshalb eine Methode, um den Rezeptor auf genetischem Wege auszuschalten. Dabei ging es um die Erzeugung so genannter Knockout-Mäuse – das sind Tiere, bei denen ein Gen gezielt lahmgelegt, gleichsam k.o. geschlagen ist. Aus den resultierenden Störungen und Ausfällen könnten Wissenschaftler auf die normale Funktion des Gens schließen.

Bei herkömmlichen Knockout-Mäusen ist das ausgewählte Gen schon in der befruchteten Eizelle inaktiv und damit natürlich in sämtlichen späteren Zellen ihres Körpers. Viele Typen von Knockout-Mäusen sterben jedoch bereits vor der Geburt oder kurz danach, da sie sich infolge des jeweils fehlenden Gens nicht normal entwickeln. Auch die Erbfaktoren für die verschiedenen Protein-Einheiten des NMDA-Rezeptors erwiesen sich als solchermaßen essenziell: Gewöhnliche Knockout-Mäuse, bei denen die Gene für den NMDA-Rezeptor überall ausgeschaltet waren, starben nach der Geburt. Daher ersann ich ein Verfahren, um eine kritische Untereinheit des NMDA-Rezeptors – NR1 – in nur einem einzigen Hirnbereich lahmzulegen. Als günstig erwies sich, dass dies für die so genannte CA1-Region des Hippocampus gelang, weil die meisten LTP- und LTD-Studien sich mit ihr befasst haben. Zudem war seit längerem bekannt, dass Menschen mit Schädigungen dieser Region an Gedächtnisproblemen leiden.

Dem Gedächtnis aufhelfen

Zusammen mit Matthew A. Wilson, Patricio T. Huerta, Thomas J. McHugh und Kenneth I. Blum vom MIT stellte ich fest, dass meine Knockout-Mäuse tatsächlich die Fähigkeit verloren hatten, die Stärke der synaptischen Verbindungen in der CA1-Region zu verändern. Die Tiere können infolgedessen räumliche Informationen nicht richtig im Gehirn repräsentieren und zeigen ein mangelhaftes Raumgedächtnis: Sie behalten nicht, wo in einem Wasserbecken die rettende "Insel" unter der Wasseroberfläche liegt. Wie spätere Untersuchungen in meinem eigenen Labor an der Univer-sität Princeton (New Jersey) ergaben, zeigen diese Mäuse ebenfalls Defizite bei einigen anderen Aufgaben, die kein Speichern räumlicher Informationen verlangen.

Obwohl diese Ergebnisse erneut auf eine entscheidende Funktion der NMDA-Rezeptoren bei der Gedächtnisbildung hinwiesen, lieferten sie ebenfalls noch keinen völlig schlüssigen Beleg. Ähnlich wie bei Morris’ Studien war auch bei unseren Knockout-Mäusen denkbar, dass ihre Einbußen auf einen unerwarteten Effekt der Manipulation zurückgingen, der nichts mit den LTP/LTD-Defekten zu tun hatte.

Um dies zu überprüfen, beschloss ich vor einigen Jahren meine Strategie umzukehren: Statt den NMDA-Rezeptor auszuschalten, wollte ich ihn nunmehr verbessern. Würde dies zugleich das Lernvermögen und das Gedächtnis der Tiere verbessern, dann käme angesichts aller Indizien dem NMDA-Rezeptor tatsächlich eine Hauptfunktion bei Gedächtnisprozessen zu.

Diesmal konzentrierte ich mich auf NR2, eine andere Klasse von Untereinheiten des Rezeptors. Sie umfasst mehrere Typen. Zwei davon sind NR2A und NR2B, jeweils codiert von eigenen Genen. Wachsen Tiere heran, verschiebt sich der Schwerpunkt ihrer "Teile-Produktion" allmählich vom B- auf den A-Typ. Wie man aus Laborstudien an so verschiedenen Wirbeltieren wie Vögeln, Nagern und Affen weiß, bleiben NMDA-Rezeptorkanäle mit "jugendlichen" Protein-Untereinheiten länger offen als solche mit "erwachsenen" Einheiten. Manche Forscher, darunter auch mein Team, vermuten darin den Grund, warum Jungtiere gewöhnlich schneller lernen und einmal Gelerntes besser behalten als ausgewachsene.

Daher nahm ich eine Kopie des Gens für den B-Typ und koppelte sie mit einem speziellen DNA-Stück: Es veranlasst das Zusatzgen, auch im ausgewachsenen Gehirn aktiv zu sein. Ich injizierte dieses Erbmaterial in befruchtete Mäuse-Eier. Einige bauten es dauerhaft in ihr eigenes Erbgut ein. Die resultierenden Mäuse – Knockin-Mäuse sozusagen – trugen eine angeschaltete Extrakopie des NR2B-Gens (siehe Grafik auf Seite 40).

Zusammen mit Guosong Liu vom MIT und Min Zhuo von der Washington-Universität in Saint Louis (Missouri) stellten meine Kollegen und ich fest, dass aktivierte NMDA-Rezeptoren bei solchen Tieren bis etwa 230 Millisekunden offen bleiben – fast doppelt so lange wie bei normalen Artgenossen. Außerdem konnten die Neuronen im "erwachsenen" Hippocampus enger gekoppelte synaptische Verbindungen erstellen als bei gleichaltrigen normalen Mäusen. Diese Verbindungen gleichen tatsächlich denen von jugendlichen Mäusen.

Im nächsten Schritt überprüften Ya-Ping Tang und weitere Mitglieder meiner Arbeitsgruppe die Lern- und Erinnerungsfähigkeiten unserer veränderten Mäuse, denen wir die Stammbezeichnung Doogie gaben – nach Doogie Howser, einem Fernsehserien-Wunderkind in den Vereinigten Staaten. Zunächst unterwarfen wir die Tiere einem grundlegenden Gedächtnistest – dem Wiedererkennen von Objekten. Wir brachten Doogie- und Kontrollmäuse in einen oben offenen Kasten und ließen sie fünf Minuten lang zwei darin befindliche Gegenstände inspizieren. Einige Tage später setzten wir dieselben Tiere wieder in den Kasten, diesmal war jedoch einer der beiden Gegenstände durch einen anderen ersetzt. Die Doogie-Mäuse erinnerten sich offenbar sofort an das alte Objekt und verbrachten ihre Zeit überwiegend damit, das neue intensiv zu beschnuppern. Die normalen Mäuse dagegen musterten beide Objekte gleich lang, als wäre ihnen keines vertraut. Offensichtlich hatten sie den einige Tage zurückliegenden Kontakt schon wieder vergessen. Durch entsprechende Versuche mit unterschiedlichen Abständen zwischen Erstkontakt und Test stellten wir fest, dass Doogie-Mäuse sich vier- bis fünfmal länger an erkundete Objekte erinnern als ihre normalen Artgenossen.

Lernen Doogie-Mäuse schneller?

In einer zweiten Testreihe prüften Tang und ich die Fähigkeit der Tiere, einen leichten Elektroschock an den Pfoten mit dem Aufenthalt in einer bestimmten Versuchskammer oder mit einem bestimmten Warnton zu verknüpfen. Als wir die Prüflinge einige Tage später wieder in die fragliche Kammer setzten beziehungsweise ihnen den Ton vorspielten, fielen die Doogie-Mäuse häufiger sogleich in eine typische Schreckstarre – sie erinnerten sich offenbar besser an das unangenehme Erlebnis.

Aus all dem schlossen wir, dass die genmanipulierten Tiere das bessere Gedächtnis haben. Doch lernten sie auch schneller? Lernen und Gedächtnis verkörpern miteinander verquickte Teile ein und desselben Prozesses: Informationen werden über Sinnesstrukturen aufgenommen, ins Gehirn eingespeichert, dort aufbewahrt und bei Bedarf wieder daraus abgerufen. Lern- und Gedächtnisleistungen sind deshalb für den Experimentator oft nicht leicht voneinander abzugrenzen. Lernen ist ohne Gedächtnis nicht zu messen, und ohne Lernen gibt es im Gedächtnis nichts zu messen.

Um nun herauszufinden, ob die genetische Veränderung der Doogie-Mäuse ihnen das Lernen erleichtert, griffen wir auf ein klassisches Verhaltensexperiment zurück: das Auslöschen einer erlernten Furcht. Dazu trainierten wir die Mäuse zunächst wieder darauf, eine bestimmte Versuchskammer mit einer schlechten Erfahrung – dem leichten Elektroschock – zu assoziieren. Setzten wir sie später mehrmals in diese "fürchterliche" Umgebung, ohne dass ihnen etwas passierte, lernten sie, dass von der Kammer nun keine Bedrohung mehr ausging. Normale Mäuse hatten im Schnitt erst nach dem fünften Aufenthalt in der "entschärften" Kammer ihre Angst verlernt, Doogie-Mäuse hingegen bereits nach dem zweiten Mal. Entsprechendes galt auch für einen zuvor mit Schmerz verknüpften Ton. Als Letztes mussten unsere Versuchstiere anhand von optischen Wegweisern ein untergetauchtes Ziel in trübem Wasser finden. Diese anspruchsvollere Aufgabe verlangt viele kognitive Fähigkeiten: neben Lernen und Gedächtnis auch analytisches Vermögen und Verhaltensstrategien. Die Doogie-Mäuse übertrafen hier nun wieder ihre normalen Artgenossen (siehe Kasten auf Seite 39).

Unsere Experimente bestätigen somit die Voraussagen der Hebbschen Lernregel. Zudem weisen sie den NMDA-Rezeptor als einen molekularen Hauptschalter für verschiedenartige Lern- und Gedächtnisprozesse aus. Gleichwohl dürfte er nicht der einzige Akteur sein. In den nächsten Jahren wird man vermutlich viele weitere mitwirkende Rezeptoren und Biomoleküle finden.

Nach der Veröffentlichung unserer Ergebnisse im vergangenen Herbst hat man mich oft gefragt, ob alsbald hochintelligente Kinder auf gentechnischem Wege geschaffen oder Pillen entwickelt werden, die jeden zum Genie machen (siehe Kasten oben). Die Antwort lautet schlicht nein – und die Gegenfrage: Wollten wir das überhaupt?

Laut Lexikon und vielen Verhaltensbiologen zufolge ist Intelligenz kurz gesagt die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Zwar sind Lernen und Gedächtnis Bestandteile davon, doch gehört zur Intelligenz noch weit mehr, etwa logisches Denken, analytische Fähigkeiten und das Vermögen, frisch Gelerntes zu generalisieren. Auch Tiere müssen einerseits sich vielerlei Informationen einprägen, sie behalten und verallgemeinern sowie andererseits verschiedenartige Probleme lösen. Sie müssen sich beispielsweise im Gelände zurechtfinden und den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung erkennen, müssen lernen, wie sie Gefahren entkommen und giftige Nahrung vermeiden. Für uns Menschen gilt im Prinzip das Gleiche, wenn auch die Probleme anders gelagert sein mögen: So verfügt unsere Spezies über Intelligenzformen, die den damit Begabten – Mann wie Frau – zu einem genialen Mathematiker, einem erfolgreichen Unternehmer oder einem hervorragenden Balletttänzer machen können.

Da Lernen und Gedächtnis zwei Grundvoraussetzungen zum Lösen von Problemen sind, würde es mich nicht sonderlich überraschen, wenn die Verbesserung dieser Fähigkeiten auch zu einer höheren Intelligenz führt. Doch die verschiedenen Formen von Intelligenz bringen es mit sich, dass Art und Ausmaß der Intelligenzsteigerung zwangsläufig davon abhängen, welche Art von Lernen und Gedächtnis – das visuelle oder das räumliche zum Beispiel – bei der jeweiligen Aufgabe gefordert ist. So könnten Tiere, die im Labor Objekte besser wiedererkennen und schneller Auswege finden, sich auch in der Wildnis leichter tun – etwa beim Aufspüren von Nahrung oder beim Zurechtfinden im Gelände. Möglicherweise würden sie zudem eher ihren Feinden entkommen oder sogar lernen, Fallen auszuweichen. Doch niemals wird es gelingen, durch Genveränderungen Mäuse in menschliche Genies zu verwandeln.

Fernziel: Medikamente gegen Demenz

Da die durchgeführte kleine genetische Veränderung die Leistung in einer ganzen Reihe von Lern- und Gedächtnistests aber so deutlich steigert, liegt es nahe, in der Rezeptor-Einheit NR2B einen neuen möglichen Ansatzpunkt zur Behandlung verschiedener altersbedingter Gedächtnisstörungen zu sehen. Denkbar wäre, nach Substanzen zu suchen, welche die Aktivität oder Konzentration der NR2B-Einheit steigern. Davon könnten körperlich rüstige Patienten mit beginnender Altersdemenz profitieren. Solche Wirkstoffe verbessern vielleicht auch die Merkfähigkeit von Alzheimer-Patienten im Frühstadium. Dahinter steht die Überlegung, die NR2B-Aktivität in noch vorhandenen gesunden Neuronen so zu beeinflussen, dass diese die Aufgabe der bereits ausgefallenen Zellen zumindest teilweise mitübernehmen können. Allerdings beansprucht die Entwicklung solcher Wirkstoffe mindestens zehn Jahre und ist mit vielen Unwägbarkeiten behaftet; außerdem wird man sorgfältig untersuchen müssen, ob und welche Nebenwirkungen beim Menschen auftreten. Optimistisch stimmt, dass die erhöhte NR2B-Aktivität bei den Doogie-Mäusen offenbar keine schädlichen Effekte nach sich zieht, auch nicht im Zusammenhang mit Krampf- oder Schlaganfällen (der NMDA-Rezeptor ist an solchen Störungen beteiligt).

Warum aber, fragt man sich, hat die Natur es überhaupt so eingerichtet, dass die Menge der "guten" Kanalkomponente NR2B mit zunehmendem Alter im Gehirn abnimmt, zu Gunsten der "schlechteren" NR2A-Untereinheit? Darüber gibt es verschiedene Lehrmeinungen. So mag das Drosseln der NR2B-Synthese verhindern, dass die Speicherkapazität des Gehirns überfordert wird. Alternativ – und das scheint mir plausibler – könnte das spätere Zurückfahren der Leistung einen evolutiven Vorteil für Populationen bieten: Es mindert vielleicht die Wahrscheinlichkeit, dass ältere, erfahrenere Individuen – die sich gewöhnlich bereits fortgepflanzt haben – jüngere bei der Konkurrenz um Lebensressourcen, wie Nahrung oder Partner, ausstechen.

Die Vorstellung, die natürliche Selektion habe die Lern- und Gedächtnisfähigkeiten erwachsener Individuen letztlich benachteiligt, birgt sicherlich Zündstoff. Spinnt man sie weiter, so bedeutet das, dass eine künstliche genetische Modifikation geistiger Attribute wie Lernen und Gedächtnis dem Menschen theoretisch ganz neue Horizonte öffnen kann, zu einer zielgerichteten und ungeahnt schnellen Evolution seiner Biologie, vielleicht seiner gesamten Zivilisation.




Fragen & Antworten


Wie unterscheiden sich so genannte Doogie-Mäuse von normalen, weniger "schlauen" Artgenossen?

Eine Genmanipulation hat sie so verändert, dass sie mehr als üblich von einer bestimmten Untereinheit eines Gehirnproteins herstellen. Diese molekulare Komponente ist eines der alternativ verwendbaren Bauteile für den N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor, kurz NMDA-Rezeptor.

Was bewirkt der NMDA-Rezeptor?

Er trägt dazu bei, die kommunikativen Verbindungen zwischen zwei Nervenzellen zu stärken, die gleichzeitig aktiv sind. Wissenschaftler sehen in solchen Verstärkungen die mutmaßliche Grundlage für Lern- und Gedächtnisprozesse.

Wie schlau sind Doogie-Mäuse?

Sie übertreffen ihre normalen Artgenossen beim Wiedererkennen von Testobjekten oder beim Wiederfinden einer Unterwasserplattform in trübem Wasser (ein Standardtest).

Auf welche Weise macht die Genveränderung sie klüger?

Die NMDA-Rezeptoren sind zugleich Ionenkanäle. Aktiviert bleiben sie bei den Doogie-Mäusen fast doppelt so lange wie sonst offen. Die verlängerte Öffnungszeit hilft dem Gehirn offenbar, nachhaltigere Gedächtnisspuren anzulegen.

Könnte dieselbe Technik auch Menschen zu besseren Leistungen verhelfen?

Theoretisch ja. Jedoch gehen Lern- und Gedächtnisleistungen beim Menschen weit über das Wiedererkennen von Objekten und das Auffinden eines Ortes hinaus. Und neben den wissenschaftlich-technischen Hürden, die bei der genetischen Veränderung von Menschen zu überwinden sind, drängen sich auch ethische und Sicherheitsfragen auf. Viel wahrscheinlicher ist, dass Pharmafirmen zunächst nach Wirkstoffen suchen, die am NMDA-Rezeptor angreifen, um auf diese Weise Menschen mit Gedächtnisschwächen zu helfen.

Literaturhinweise


Enhancing the Link between Hebb’s Coincidence Detection and Memory Formation. Von Joe Z. Tsien in: Current Opinion in Neurobiology, Bd. 10, Nr. 2 (April 2000).

Long-Term Potentiation – a Decade of Progress? Von Robert C. Malenka und Roger A. Nicoll in: Science, Bd. 285, Nr. 5435, S. 1870–1874 (17.09.1999)

Memory and Brain. Von Larry R. Squire. Oxford University Press 1987. The Organization of Behavior: A Neuropsychological Theory. Von Donald O. Hebb, John Wiley 1949.




Doogie-Mäuse auf dem Prüfstand


Beim ersten Test untersuchten wir, wie gut Mäuse behalten, dass sie einen Gegenstand (wie das gelbe Spielzeug im Bild oben) bereits früher kurz untersucht haben. Doogie-Mäuse beschäftigten sich tatsächlich intensiver mit dem neuen Objekt als gewöhnliche Artgenossen. Freilich lässt sich mit diesem Wiedererkennungstest nur eine bestimmte Form von Gedächtnis prüfen.

Daher unterzogen wir die Mäuse einem komplexeren Test: im "Wasserlabyrinth nach Morris". Dabei handelt es sich nicht um einen Irrgarten im herkömmlichen Sinne, sondern um ein mit trübem Wasser gefülltes Rundbecken von etwa 1,2 Metern Durchmesser, in dem sich knapp unterhalb der Wasseroberfläche eine durchsichtige, nahezu unsichtbare Plattform aus Plexiglas verbirgt. Das Becken selbst ist von einem schwarzen Duschvorhang umschlossen, den wir mit Orientierungsmarken versehen haben, zum Beispiel dem roten Punkt im zentralen Bild. Mäuse werden nicht gerne nass; wenn wir sie also für den Test in das Bassin setzen, schwimmen sie so lange umher, bis sie die Plattform finden. Auf ihr ruhen sie sich halbwegs im Trockenen aus.

Tatsächlich fanden Doogie-Mäuse die Plattform schneller als ihre normalen Artgenossen. Als Nächstes entfernten wir die Plattform, um zu prüfen, wie gut sich die Tiere deren vorige Position – in Relation zu Orientierungsmarken wie dem roten Punkt – gemerkt hatten. Doogie-Mäuse suchten intensiver als Kontrollmäuse in genau dem richtigen Bereich. Zur Belohnung trockneten wir sie sorgfältig ab und setzten sie eine Weile unter eine Wärmelampe.




Koinzidenz-Detektoren


Nervenzellen kommunizieren miteinander über spezielle Verbindungsstellen, die Synapsen. Bestimmte komplexe Pro-tein-Moleküle auf der nachgeschalteten Zelle sind nach derzeit gängiger Hypothese maßgeblich an der Bildung von Gedächtnisspuren beteiligt. Diese so genannten NMDA-Rezeptoren erfüllen gleichzeitig zwei Funktionen: Erstens dienen sie als Andockstellen für den Nervenbotenstoff Glutamat, zweitens bilden sie winzige Kanäle in der postsynaptischen Zellmembran, die, wenn geöffnet, Calcium-Ionen einströmen lassen. Zu ihrer Öffnung brauchen sie zwei Signale gleichzeitig: andockendes Glutamat, ausgeschüttet von der vorgeschalteten Zelle, sowie eine elektrische Erregung (angestoßen durch ein weiteres hier nicht gezeigtes Neuron), die ein Durchlass versperrendes Magnesium-Ion aus der Pore vertreibt. Somit können die Rezeptoren zwei zeitlich zusammentreffende Ereignisse miteinander verknüpfen – Voraussetzung für das Anlegen einer Gedächtnisspur. Die einströmenden Calcium-Ionen aktivieren biochemische Reaktionsketten, welche die Intensität der synaptischen Verbindung schließlich verstärken.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2000, Seite 36
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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