Serie Praktische Psychologie: Macht der Gemeinschaft
"Vielen Dank, dass Sie meinen Fragebogen ausgefüllt haben! Als kleine Belohnung dürfen Sie sich nun einen dieser Stifte aussuchen." Heejung Kim hielt ihrem Gegenüber, einem wartenden Fluggast am Flughafen von San Francisco, fünf Stifte entgegen. Einer war orange, die anderen vier grün. Welchen Stift würde der Befragte wählen? Was derjenige nicht ahnte: Die Antworten auf den Fragebogen interessierten Kim weit weniger als die scheinbar unbedeutende Wahl des Schreibutensils.
Für den einzelnen, orangen Stift entschieden sich 74 Prozent der US-amerikanischen Teilnehmer – jedoch nur 24 Prozent der Befragten asiatischer Herkunft. Kim und ihre Mentorin Hazel Markus von der Stanford University publizierten die Studie im Jahr 1999. Sie gilt als Meilenstein der kulturvergleichenden Psychologie. Während diese Fachdisziplin heute zum festen Kanon der Psychologie gehört, war das noch bis in die 1970er Jahre hinein anders. Die Wissenschaft vom Erleben und Verhalten der Menschen sollte allgemein gültige, von der Kultur unabhängige Aussagen machen. Dieser Anspruch erscheint jedoch fragwürdig, wenn man bedenkt, dass mehr als 90 Prozent aller psychologischen Studien mit Probanden durchgeführt werden, die ein Team um Joseph Henrich in einem Fachartikel von 2010 als "WEIRD" bezeichnete: "western, educated, industrialized, rich, democratic" (englisch: weird = seltsam, verrückt). Diese Gruppe mache nur ganze zwölf Prozent der Weltbevölkerung aus.
Schon Anfang der 1970er Jahre trieb eine Gruppe junger Psychologen die Frage um, ob psychologische Befunde kulturübergreifend gelten. Sie gründeten 1972 die International Association for Cross-Cultural Psychology (IACCP). Wie wir heute wissen, haben kulturvergleichende Arbeiten das Verständnis grundlegender psychologischer Phänomene nachhaltig vertieft und erweitert. ...
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