Sporttechnik: Elektronischer Trainer
Sensorik plus Chips sollen die Bewegungsmuster von Schwimmern erfassen und helfen, ihr Training zu optimieren.
Spitzensportler haben es heute schwer, ihre Leistungen zu steigern. Die Physiologie des Körpers bietet kaum noch Potenzial, um die Bruchteile von Sekunden schneller zu sein als die ebenso gestählte Konkurrenz. Die größten Chancen bietet daher die Optimierung der Technik. Deshalb ziehen Schwimmerinnen und Schwimmer ihre Bahnen gegen den Widerstand von Seilen und unter steter Videoüberwachung. Ein "Abfallprodukt" der Forschungen am European Media Laboratory (EML) in Heidelberg könnte ihr Training künftig erleichtern und noch effektiver machen – der so genannte Digicoach.
Das private Forschungsinstitut für angewandte Informatik entwickelt im Rahmen des Projekts "Dr. Feelgood" informationsverarbeitende Systeme, die alltägliche Lebensvorgänge erfassen und auswerten, um daraus wertvolle Informationen für den Benutzer abzuleiten. Das können Angaben über den Blutdruck sein, aber auch Informationen über Fehlbelastungen nach einer Hüftoperation.
Der Physiker Steffen Noehte und sein Team verwenden zur Bewegungsanalyse Beschleunigungssensoren, wie sie in der Automobilindustrie heute üblich sind. Das sind beispielsweise mikromechanische Doppel-Plattenkondensatoren, deren Dielektrikum an einer beweglich aufgehängten Masse fixiert ist. Bei einer Beschleunigung wird es verschoben und so die Kapazität des Kondensators verändert.
Wenn für jede Raumrichtung ein eigener, linearer Beschleunigungssensor verwendet und dieser noch mit einem Messfühler für Drehwinkel kombiniert wird, lässt sich die Bewegung eines Körpers im Raum in allen drei Richtungen des Koordinatensystems beschreiben und analysieren. Mit Unterstützung des Heidelberger Instituts für Sport und Sportwissenschaft (ISSW) konnte der Physiker Markus Buchner zeigen, dass schon handelsübliche Sensoren, Datenspeicher, Rechner und Software das Training von Schwimmern verbessern können.
Er packte Sensoren, Datenspeicher und Batterie in eine wasserdichte Plastikschachtel von der Größe eines Walkmans und befestigte sie mit einem Gürtel am Rücken eines Schwimmers. Vom Startsprung weg über jeden einzelnen Schwimmzug und die Wende bis hin zum Zielanschlag registrierte der Rechner online und lückenlos die Beschleu-nigungswerte im Schwerpunkt des Schwimmers. Gleichzeitig wurden in der ersten Untersuchungsphase synchron Videoaufnahmen erstellt.
Den einzelnen Bewegungsphasen beim Schwimmen lassen sich charakteristische Beschleunigungsmuster zuordnen; beispielsweise bremst das Anziehen der Beine beim Brustschwimmen kurzzeitig die Bewegung. Mit diesem Wissen kann man aus den Beschleunigungswerten und der verstrichenen Zeit Geschwindigkeiten und Wegstrecken berechnen und die Messkurven den Einzelbildern der Videoaufnahme zuordnen. Anhand dieser Fülle von Informationen sollten Schwimmtrainer jeden noch so kleinen und bislang verborgenen Technikfehler entdecken können.
Doch bis zur Serienreife eines digitalen Coachs ist es noch weit. Bislang ließen sich die Daten nur per Datenleitung in guter Qualität an den Rechner übermitteln. "Wenn jemand ständig am Beckenrand ein Kabel nachführen muss, hat das System natürlich keine Zukunft", räumt Noehte ein. Daher arbeiten die Wissenschaftler an einem Funksender im Vier-Megahertz-Bereich, in dem sich jeder genehmigungsfrei tummeln darf. Doch das ständige Auf- und Abtauchen im Wasser verstimmt die Antenne. Die Lösung wäre eine Empfangsantenne in dem Wasserbecken. Für den Breitensport käme wohl nur ein Zwischenspeichern der Daten auf einem handelsüblichen Chip oder einer Flashkarte in Frage.
Der Trainer der Zukunft, so sieht es auch der Sportwissenschaftler Klaus Reischle am Olympiastützpunkt Heidelberg, wird kaum umhin kommen, Computerdaten zu analysieren und Kurven auszuwerten. Der Schwimmer selbst soll über Leuchtdioden (LEDs) in der Schwimmbrille während des Trainings Abweichungen von Sollwerten erkennen können. Inzwischen hat der Deutsche Sportbund Interesse gezeigt und wird die Entwicklung finanziell unterstützen, um den elektronischen Trainer auch für andere Sportarten nutzbar zu machen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2002, Seite 89
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben