Radikalismus : Wege aus der Rekrutierungsfalle
Mériams Ehemann ist aus Frankreich nach Syrien in den Dschihad gezogen und hat die gemeinsame Tochter mitgenommen. Wir schreiben das Jahr 2013. Die ratlose junge Frau erhält Nachrichten per SMS, in denen ihr Mann erklärt, dass er mit dem Kind sterben möchte, als Märtyrer.
Sie wendet sich an unser Entrekrutierungsteam am "Zentrum für die Prävention von Sektenbewegungen im Zusammenhang mit dem Islam" in Paris. Schnell wird klar: Die Lage ist kritisch. Jetzt müssen wir umsichtig handeln. Die Frau darf ihrem Expartner nicht mit sachlichen Argumenten gegenübertreten oder seine Ideologie in Frage stellen. Sie muss Erinnerungen wecken. Mit ihm über den Tag sprechen, an dem sie sich kennen gelernt haben, über die Geburt der Tochter, über die Orte, die sie gemeinsam besucht haben.
Zehn Monate lang kommt keine Reaktion. Bis er dann auf einmal antwortet. Dass er sich erinnert. Daran, wie sie ausgegangen sind, wie sie als verliebtes Paar in einem Restaurant waren, dass sie einen Moment des Friedens erlebt haben. Er hat also noch Erinnerungen; er kann noch Gefühle empfinden.
Der Fall illustriert eine grundlegende Regel für die Entrekrutierung von Menschen, die sich einer fanatischen Bewegung angeschlossen haben: Die Vernunft hat keinen Platz mehr, man muss zunächst die Emotionen ansprechen. Leichter gesagt als getan. Denn als Mériam die ermutigenden Zeilen ihres früheren Partners las, hatte sie nur noch einen Wunsch: ihm zu sagen, dass er nun wohl endlich begriffen habe, wie idiotisch sein Vorhaben sei, und dass er so schnell wie möglich nach Hause kommen solle. Wir konnten sie davon abbringen. Ein einziger Satz in diese Richtung hätte die Arbeit von Monaten zunichtemachen können. ...
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