Editorial: Hinter der Streitkulisse
Über wenig können sich Ärzte, Gesundheitsexperten und Patienten so heftig entzweien wie über die Homöopathie. In dieser Hinsicht zeigt sie also eindeutig Wirkung: Die Kontroverse spaltet unsere Gesellschaft, ja sogar manche Familie. Denn wie es um die medizinische Schlagkraft der Globuli steht, darüber herrscht Zwist. Naturwissenschaftlich betrachtet ist ausgeschlossen, dass Kügelchen, die nach vielfacher Verdünnung statistisch gesehen keinerlei Wirkstoff mehr enthalten, Beschwerden lindern oder gar heilen können. Dem stehen ungezählte subjektive Erfahrungsberichte gegenüber, die derlei Mittel preisen. Alles Placebo, erwidern Kritiker – dies immerhin ein gut erforschtes Phänomen. Doch warum hängen so viele Menschen einer Alternative zur Medizin an, wenn sie so einfach zu entlarven ist? Schuld sind subtile psychologische Fallstricke, sagen die Medizinerin Natalie Grams und der Philosoph Nikil Mukerji. Ab S. 12 sezieren sie in sieben Schritten die Denkfehler der Homöopathie. Im Gespräch mit G&G geißelt die bis vor einigen Jahren selbst praktizierende Homöopathin Grams die vermeintliche Heilmethode gar als potenziell gefährlich.
Ist Donald Trump ein krankhafter Narzisst, wovon etliche Zeitgenossen überzeugt sind? War Martin Luther ein "analer Charakter", wie eine Biografin meint? Über die Persönlichkeit von Prominenten und historischen Geistesgrößen lässt sich ebenso trefflich debattieren. Doch die zuständigen Fachleute können allenfalls Ferndiagnosen stellen. Denn Trump füllt keine standardisierten Fragebögen zur differentiellen Persönlichkeitsdiagnostik aus – und sich einem Luther über die Epochengrenzen hinweg anzunähern, erscheint noch gewagter. Doch darf man das überhaupt? Vor allem in Bezug auf den aktuellen US-Präsidenten scheiden sich hier die Geister. Ferndiagnosen seien grundsätzlich unzulässig – an dieser als "Goldwater-Regel" bekannten Maxime hält zum Beispiel die Vereinigung amerikanischer Nervenärzte APA offiziell fest. Allerdings erachten es manche Psychiater geradezu als ihre Pflicht, zu analysieren, ob der mächtigste Mensch der Welt womöglich an einer Störung der Impulskontrolle, unter dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom oder an beginnender Demenz leidet. Unser Autor Joachim Retzbach fasst den Stand der Debatte ab S. 26 für Sie zusammen.
Eine gute Lektüre wünscht Ihr
Carsten Könneker
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